Die Unstatistik des Monats erfasst diesmal zwei häufige Fehler bei der Verwendung von Statistiken: die falsche Interpretation von bedingten Wahrscheinlichkeiten und der Repräsentativität von Stichproben. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 16. Mai wird unter der Überschrift „Die Liebe der Grünen zum SUV“ berichtet, dass mehr Anhänger der Partei Bündnis90/Die Grünen als Anhänger anderer Parteien einen SUV fahren würden: „Grünen-Wähler entscheiden sich derzeit am häufigsten für Geländewagen, also SUV …“ Sport Utility Vehicles, abgekürzt SUV, das sind diese als Geländelimousine oder Stadtgeländewagen bezeichneten Autos, die von Umweltschützern gern als Klimakiller geschmäht werden.
Entsprechend groß war das Medienecho auf den FAS-Bericht, schließlich haben sich gerade Politiker der Grünen, wie etwa Cem Özdemir vor der letzten Bundestagswahl, lautstark für ein Verbot oder zumindest eine höhere Besteuerung von SUV ausgesprochen. Grundlage der FAS-Story sind die bisher unveröffentlichten Ergebnisse einer Befragung des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Puls von 1.042 Personen, die in den nächsten sechs Monaten die Anschaffung eines Autos planen oder in den vergangenen zwölf Monaten ein Auto gekauft haben.
In dieser Gruppe fahren Anhängerinnen und Anhänger der Partei Bündnis 90/Die Grünen am häufigsten einen SUV (16,3 Prozent), gefolgt von Wählerinnen und Wählern der SPD (16,0 Prozent), der AfD (15,9 Prozent), der CDU/ CSU (15,6 Prozent), der FDP (13,4 Prozent) und der Linken (7,7 Prozent). Die „FAS“ folgert aus diesen Ergebnissen: „Jeder sechste Grünen-Sympathisant hat laut der Puls-Studie einen Geländewagen vor der Tür stehen.“
Nicht jeder sechste Grünen-Wähler muss SUV fahren
Eine derartige Verwechslung von bedingten und bedingenden Ereignissen kommt leider sehr häufig vor. So wird aus der Erkenntnis, dass nahezu 60 Prozent aller registrierten Sportunfälle bei den Männern auf Fußballspieler entfallen, gern die Schlussfolgerung gezogen, dass Fußball die gefährlichste Sportart sei. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass unter der Voraussetzung eines Unfallgeschehens ein Fußballer Opfer eines Sportunfalls ist, bedeutet eben nicht, dass nur weil ich Fußball spiele, die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ebenfalls rekordverdächtig ist. Dass nahezu 60 Prozent aller registrierten Sportunfälle auf Fußball spielende Männer zurückzuführen sind, erklärt sich vor allem daraus, dass viele Männer Fußball spielen.
Welche Parteipräferenz haben Nichtautobesitzer?
Ein zweites Problem der Schlussfolgerung, dass Grünen-Wähler am häufigsten einen SUV fahren, liegt in der von dem Beratungsunternehmen Puls verwendeten Stichprobe von Personen, „die in den nächsten sechs Monaten die Anschaffung eines Autos planen oder in den vergangenen zwölf Monaten ein Auto gekauft haben“. Wie so häufig ist nahezu ebenso interessant, wer nicht an der Befragung teilgenommen hat: hier Personen, die sich nicht gerade ein Auto gekauft haben oder eine entsprechende Anschaffung planen.
So kann die obige Angabe des Anteils der Grünen-Wähler unter den SUV-Fahrern nur sinnvoll interpretiert werden, wenn man gleichzeitig die Parteienpräferenzen derjenigen kennt, die grundsätzlich auf die Nutzung eines Autos verzichten oder sich nicht erst kürzlich einen Pkw angeschafft haben oder eine derartige Anschaffung planen. Ganz außen vor blieb ohnehin die Frage, ob das gerade angeschaffte oder zum Kauf geplante Fahrzeug ein E-Auto ist wie etwa der Audi e-tron, der Kia E-Soul oder der Hyundai Kona, alle drei unter den Top 10 neu zugelassener Stromer – und SUV.
Interpretation ohne Zusatzinformation nicht möglich
Das Problem ist ähnlich gelagert wie die Interpretation der durchschnittlichen Lohnunterschiede von Männern und Frauen als Diskriminierung. Löhne können nur von Personen erhoben werden, die eine Beschäftigung haben. Erfolgt Diskriminierung jedoch bei der Entscheidung, ob jemand eine Stelle erhält oder eben nicht, sagen durchschnittliche Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen wenig aus, wenn man nicht gleichzeitig die Unterschiede in der Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsmarktpartizipation beider Gruppen betrachtet. Selbst wenn keine Unterschiede in den durchschnittlichen Löhnen beider Gruppen existieren würden, kann erhebliche Diskriminierung existieren, wenn Frauen erst gar keine Stelle angeboten bekommen. Fazit: Ob die Anhängerschaft der Partei Bündnis 90/Die Grünen wirklich häufiger als die anderer Parteien „im SUV vor dem Ökoladen vorfährt“ kann ohne Zusatzinformationen aus der Puls-Studie nicht abgeleitet werden.
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