Tichys Einblick
TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE

Die Inflation ist zurück, weil Fehler der Vergangenheit wiederholt werden

Kein anderes westliches Land hat in seiner jüngeren Geschichte eine Hyperinflation solchen Ausmaßes erlebt wie Deutschland vor 100 Jahren. Obwohl die Zeitzeugen längst tot sind, werden in fast jeder Familie die Geschichten aus dieser Zeit bis heute weitererzählt. Die Ängste und Nöte haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt.

Es ist ja nicht so, dass man nicht wissen könnte, was Inflation bedeutet. Nirgendwo sonst ist die Erinnerung so präsent an eine der größten Katastrophen der Wirtschaftspolitik:

„150 Milliarden Mark für ein simples Straßenbahnticket. 356 Milliarden für ein Roggenbrot. Und 2,6 Billionen Mark für ein Kilo Rindfleisch – die große deutsche Inflation, die vor hundert Jahren, im Jahr 1923, ihren Höhepunkt erreichte, war eine geradezu surreale Zeit. Die Preise stiegen in rasendem Tempo, verdoppelten sich innerhalb von Stunden, übersprangen alle Schwellen das bis dahin Vorstellbaren.“ So beginnt das neue Buch des Wirtschaftsexperten und Historikers Frank Stocker, der in 50 Kapiteln die Geschichte der größten deutschen Geldkatastrophe erzählt: anschaulich, detailgenau und lebendig.

Geschichte ist dazu da, um aus ihr zu lernen. Inflation ist kein Schicksal, sondern Folge des Versagens sowohl von Politik als auch von Zentralbank. Heute wie damals ist die Inflation selbst produziertes Unglück. Stocker vermeidet derartige Analogien und Rückschlüsse aus der Vergangenheit auf die Gegenwart. Sie drängen sich von alleine auf. Sie springen zwischen den Zeilen hervor und schmuggeln sich ins Bewusstsein. Das macht den Wert seines Buches aus.

Geschichte wiederholt sich nicht?
Der Kampf gegen Schlemmerei und Wucher – Deutschland im Januar 1923
Der historischen Bogen, den Stocker spannt, gründet in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, bis weit in die 20er Jahre hinein. In über 20 Kapiteln beschreibt der die sich überschlagenden Ereignisse im Jahr der Hyperinflation 1923: von der Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen, dem Kampf der Regierung gegen „Schlemmerei und Wucher“, dem „Blut-Karsamstag“ im Essener Krupp-Stahlwerk, über die Hungerrevolten, Devisenrazzien, Armenspeisungen, den Hitler-Putsch und das Treuegelübde im Rheinland, das Ende der Regierung Stresemanns, das „Wunder der Rentenmark“ und die neue Reichsbank, bis hin zur im Nachwort bang gestellten Frage: „Kann das wieder passieren?“

Und sind wir vielleicht schon auf dem Weg dorthin? Die heutige Inflation begann im Grunde mit der Einführung des Euro und setzte sich mit seiner sogenannten „Rettung“ fort.  Die Europäische Zentralbank versuchte die Inflation bewußt anzuheizen, weil sie glaubte, damit Wirtschaftswachstum zu erzeugen und die Staatsschulden erträglicher zu gestalten. „Inflationsziele“ wurden ausgegeben, und damit das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer stabilen Währung untergraben. Aus diesem Material wurde der Strick gefertigt, an dem die Stabilität erhängt wurde.

Am Anfang stehen immer Staatsschulden, die mit frisch gedrucktem Geld finanziert werden. Hunderte von Euro-Milliarden für den Süden Europas zur Rettung des Euros haben sein mögliches Ende beschleunigt. Explodierende Staatsverschuldung wegen der Corona-Krise und des Ukraine-Krieges akzelerierten den Wertverfall der Schuldenwährung. Ein Blick zurück zeigt die Parallelen.

„Die Ausgaben des Reiches waren seit der Ruhrbesetzung geradezu explodiert, während die Einnahmen nur geringfügig stiegen. (…) Die Schulden des Deutschen Reiches erhöhten sich entsprechend von 1,6 Billionen Mark zu Beginn des Jahres auf über 7 Billionen Mark Mitte April – eine Vervierfachung innerhalb eines Quartals. (…) Einer der wesentlichen Gründe für das Haushaltsdefizit war, dass die Steuereinnahmen zwar wuchsen, aber weit langsamer als Löhne und Preise. (…) Die Folge: In den neun Monaten zwischen April und Ende Dezember 1922 deckten Steuer- und Zolleinnahmen noch rund ein Viertel der Staatsausgaben, im März 1923 war es nicht einmal mehr ein Sechstel.“

Zum 125. Geburtstag
Ludwig Erhard führte Deutschland aus den Ruinen zum Wohlstand
Die Analogien zur Gegenwart sind frappierend. Damals wie heute versucht die Politik mit „Preisstopps“ und Sparapellen dagegen zu halten. In der Weimarer Republik eröffnete man Anstalten, um Haustiere zu töten – unnötige Fresser sollten kostengünstig verschwinden. Heute wird anstelle der Dusche der Wachlappen empfohlen. Damals wie heute allerdings schert sich die Preisentwicklung nicht um solcherlei Bagatellen. Ausbleibende Steuereinnahmen und Verfall der Wirtschaft werden aus der Staatskasse ausgeglichen, immer neue „Entlastungspakete“ geschnürt, dabei aber übersehen: Der Staat ernährt sich von der Wirtschaft, nicht die Wirtschaft vom Staat.

Am Ende steht eine zerrüttete Wirtschaft. Denn ohne stabiles Geld gibt es keine funktionierende Wirtschaft. Lange wußte man das. Ludwig Erhards Wirtschaftswunder gründet darauf, dass einerseits die Wirtschaft von übermäßiger Regulierung und staatlichen Preisfestlegungen befreit, aber gleichzeitig mit einer stabilen Währung versorgt wurde.

Der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck eilt jeden Morgen an einer Ludwig-Erhard-Büste vorbei in seine Dienstzimmer. Wofür die Büste steht – davon hat er keine Ahnung. Er ist dazu verurteilt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

„Die Inflation von 1923“ ist ein Geschichtsbuch. Aber man kann es nicht distanziert lesen. Historisches erschreckt, wenn alte Fehler wiederholt und Einsichten geleugnet werden.

Die Politiker der Weimarer Republik fanden für ihr Handeln einen Staat vor, der durch das Ende des Kaiserreichs zerrüttet war; es galt, einen verlorenen Krieg zu verarbeiten, gigantische Reparationsleistungen zu organisieren und enorme Kriegsschulden zu begleichen, und sich mit der wachsenden innenpolitischen Zerrüttung und Radikalisierung auseinanderzusetzen.

Die Politiker von heute fanden eine vergleichsweise glückliche Lage vor: Den höchsten Wohlstand der Geschichte, keine Kriegsfolgen, Frieden und eine funktionierende, weltweit führende Wirtschaft. Sie schaffen es aber, diesen Zustand in einen zu verwandeln, der an die düstersten Stunden Deutschlands erinnert.

Dieses Buch ist eine Warnung vor einer Generation von Politikern, die versagt hat.

Frank Stocker, Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam. FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten, 27,00 €.


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