Die Welt, in der wir leben, verliert ihre Freiheit – die Freiheit zu reden, zu denken, zu streiten. Denn die Regeln dessen, was gesagt werden darf, werden autoritär festgelegt – von „Erwachten“. Wer nicht dazugehört, erfährt zu spät, was er noch darf, und tappt in Fallen. Was zunächst nur in der Politik üblich war, hat längst die Wissenschaft, die Unis, den Journalismus, die Schriftstellerei und neuerdings die Unternehmen erfasst, immer mehr auch das private Leben.
Ende der 1980er-Jahre wurden Ausstellungen beliebt, die dem „Dialog im Dunkeln“-Konzept folgten: In schwarz ausgeschlagenen, lichtlosen Räumen, meist labyrinthisch angelegt, konnten Sehende erfahren, wie Blinde ihre Umwelt erleben. In diesen „Dunkelkammern“ gab es jedoch keine Ecken und scharfen Kanten, alles war abgerundet, und stolperte man über eine Schwelle, landete man in weichen Kissen.
Auch die Orientierung in unserer Welt gleicht in vielem einem Im-Dunkeln-Tappen, zumindest für die Nichterwachten, für Normalos. Für sie ist es, als stießen sie ständig an spitze Kanten, verletzten sich an scharfen Schwertern, als Sprachblinde allen Stolperschwellen ausgeliefert, ohne Kissen, die einen Sturz abfedern könnten, den Genickbruch, den sozialen Tod riskierend. Denn wer sich in dieser neuen Welt den erleuchteten Erwachten sprachlich nicht anpasst, wird durch Ausgrenzung bestraft, er riskiert, den Job zu verlieren und seine bürgerliche Existenz.
Aber wie ist es dazu gekommen? Die moderne Welt gibt sich liberal und freundlich. Wir sollen der Wissenschaft folgen, aber die ist korrumpiert. Geforscht und gelehrt wird, was wenige Gurus längst vorgezeichnet haben. Wir folgen einer Energiepolitik, die das Land zerstört. Es wird uns eine Wirtschaftspolitik gepredigt, die in die Armut führt. Wir müssen uns medizinischen Experimenten aussetzen, und wer sich weigert, wird verfolgt.
Wie es die Woken längst mit Denkmälern und der Erinnerungskultur betreiben.
Nun hat Alexander Wendt darüber ein Buch geschrieben. Wendt ist den Leserinnen und Lesern von Tichys Einblick als Autor vieler Titelgeschichten, den Nutzern der Website als Verfasser zahlreicher brisanter Beiträge bekannt. Er schreibt brillante Texte, die immer präzise recherchiert, genau formuliert, kenntnisreich geschrieben und stets mit jenem feinen Spott versehen sind, der jede Bitterkeit wegbläst.
„Alexander Wendt ist die Noblesse des gegenwärtigen Journalismus. Gründlich, genau, unbestechlich, immer mitschwingend ein menschenfreundlicher Humor – Wendt ist ein Aufklärer auf der Gegenposition zur Ideologie“, schreibt Uwe Tellkamp, einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur.
Wendt ist Reporter. Sein Buch nimmt den Leser mit in die Welt, ins Theater, in Armenviertel, Szenecafés und Universitäten. Es ist eine Reisebeschreibung in die neue Welt der Woken, dahin, wo die Regeln ständig neu erfunden und interpretiert werden, an die wir uns zu halten haben, ohne dass wir wissen, dass es sie gibt.
Er durchdringt für uns Denken und Selbstverständnis dieser selbst ernannten neuen Elite. Ihr ist eines eigen: Sie verachtet uns. Wer ihr gehorsam folgt, wird nicht bestraft – aber er wird ärmer, unfreier. Der Wokismus ist die Ideologie einer Minderheit, die das Leben der Mehrheit der Menschen verschlechtert. Sie versprechen eine helle Zukunft und führen uns in die Finsternis.
Eine Dystopie? Nicht für den, der seinen Wendt dabei hat. Er macht mit seinem Buch den Lichtschalter an, und wir sehen alles im gleißenden Licht.
Alexander Wendt, Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht – und wie wir sie verteidigen können. Edition Olzog im Lau-Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 372 Seiten, 26,00 €.