Es ist kein Märchen, keine Fiktion, es ist die beklemmende Geschichte des Jungen mit dem Künstlernamen „ARON“, der Mitten in Deutschland in einem „Ghetto“ aufgewachsen ist, in dem „jeder Schritt raus aus der Wohnung ein Schritt in eine muslimische Welt war.“ Obwohl seine Eltern mit ihrer Auswanderung aus dem Iran in den 70er Jahren das Ziel gehabt hatten, ihm und seinen Geschwistern das Gefühl von Sicherheit zu geben und nicht in einem Ghetto aufzuwachsen, wie sie selbst im Norden des Iran in „Mahle“ (jüdisches Ghetto) in Babol aufwachsen mussten! Ironie des Schicksals?
Das ist die Geschichte von Arye Sharuz Shalicar, geboren 1977 in Göttingen als Sohn persischer Juden. Eine außergewöhnliche Biografie im Stil eines Entwicklungsromans, die gelesen werden sollte, um zu verstehen, wie es sich anfühlt, ein Jude zu sein. Nachempfinden, was es bedeutet, in der eigenen Haut fremd zu sein. Im Laufe der Zeit, vor allem nach dem Umzug von Spandau in den Wedding wird ihm bewusst: „Wenn du Jude bist, hasst dich die ganze Welt!“ Es ist der Kampf einer Ich-Findung. Ja, er ist Jude und er ist stolz darauf, aber das darf er nicht laut sagen!
Wenn das kein Antisemitismus ist, was ist das dann?
In all diesen Leidenszeiten geht es Arye um seine Identität, darum sich zu finden, um die Frage: Wer bin ich: Bin ich, was ich bin, oder was mir die anderen zuschreiben? Es geht um Freundschaften, die zur Feindschaft werden. Wer ist er? Ist er ein Perser, ein Deutscher oder „ein echter Drecksjude“, ein „Jahudi“, den man „vergasen sollte“, oder ein Mensch, der einfach in Frieden mit anderen leben wollte, das Leben genießen, Spaß haben und Freundschaft suchte. Die endlose Suche nach Glück, Frieden, Zugehörigkeit, Akzeptanz und sich selbst auszuhalten, nährt die Sehnsucht auf Beantwortung der Fragen: Wer bin ich? Wo ist mein Zuhause?
Durch den Zwang vermeintlich identitätsstiftender Gruppendynamik veranlasst den Jungen sogar bei allen kriminellen Machenschaften mitzumachen: „Wände beschmieren“, „leicht etwas klauen“, dabei sein, wo „die nächsten Gruppenschlägereien stattfinden“ und schließlich im Gefängnis landen. Also sich kriminalisieren lassen, um nicht ausgegrenzt zu werden.
Das ist doch nicht alles! Er wird sowohl bei Arabern als auch bei Juden in Berlin nicht als „Mitglied der Gemeinschaft“ anerkannt und voll aufgenommen. Er ist überall und doch nirgendwo! Er durfte zum Beispiel trotz des Besitzes eines jüdischen Gemeindemitgliedsausweises sein Auto nicht auf den Besucherparkplatz der jüdischen Bibliothek parken. Warum? „Weil er ja ein unbekanntes Gesicht ist.“
Vielleicht kommt in absehbarer Zeit kein Frieden zwischen Arabern und Juden zustande, weder im Nahen Osten, noch in Deutschland oder wenigstens Berlin, aber Arye ist auf dem Weg seines Glücks. In Israel hat er Frieden mit sich gefunden und vielleicht wird er uns irgendwann einmal als Friedensbotschafter beglücken, „Elohim Gadol!“
Nasrin Amirsedghi (geboren 1957 im Iran) ist eine in Mainz lebende deutsche Publizistin, Philologin, Orientalistin, Literatur- und Filmwissenschaftlerin persischer Herkunft.
Arye Sharuz Shalicar, »Ein Nasser Hund ist besser als ein trockener Jude«. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. dtv, 284 Seiten, 10,90 €.
Aryes Geschichte wurde verfilmt – Mehr Info über diesen Link