Schön war es nicht. Doch wer auf Berlins Kurfürstendamm flanierte und dann durch die Drehtür des Romanischen Cafés ging – dort gelegen, wo heute das Europacenter steht –, der achtete nicht auf die Gestaltung des Ortes. Er wollte sehen, und vor allem gesehen werden. Die kulturelle Elite jener Zeit verkehrte dort, von Else Lasker-Schüler über Bertolt Brecht und Max Slevogt bis zu George Grosz oder Hans Albers.
Dabei gab es eine feine Hackordnung. Die Erfolgreichen und Bekannten wandten sich nach dem Gang durch die Drehtür nach links und betraten einen kleinen Nebenraum mit etwa 20 Tischen, »Bassin der Schwimmer« genannt. Alle anderen mussten nach rechts treten, in den Hauptraum, der etwa dreimal so groß war und das »Bassin der Nichtschwimmer« genannt wurde. Hier verkehrten all jene, die mehr schlecht als recht über die Runden kamen, aber bei einer Tasse Café und einem Stück Torte den Zutritt in die Welt der Arrivierten suchten.
Auch während der Hochphase der Inflation saßen sie dort, die kleinen und großen Lichter der Berliner Kulturszene, eingehüllt in den Rauch der Zigarren und Zigaretten, eifrig diskutierend und debattierend – als eines Tages um die Mittagszeit plötzlich die Türen aufsprangen und die Polizei hereinstürmte: Devisenrazzia!
Alle Ausgänge waren besetzt, keiner kam mehr rein oder raus. Alle Gäste mussten ihre Taschen leeren. Insgesamt 80 Personen wurden gefilzt, elf mussten mit aufs Polizeirevier. Genau 214 Dollar, 30 Schweizer Franken, eine englische Pfundnote und 10 serbische Dinar wurden ihnen abgenommen.
Ähnliche Razzien fanden ab September 1923 in der ganzen Republik statt, anfänglich auf öffentlichen Straßen und Plätzen, wo Devisenschieber heimlich Geld tauschten, dann immer häufiger in Gaststätten und Cafés. Überall durchsuchten die Polizisten Kleidung und Handtaschen, konfiszierten sämtliche ausländischen Zahlungsmittel, die die Menschen bei sich hatten.
Grundlage dafür war die neue Devisenverordnung, die die Regierung Stresemann erlassen hatte. Zwar hatte die Vorgängerregierung erst Anfang August ihre rigide Gängelung der Devisenbesitzer aufgeben müssen. Doch die Devisennot des Reiches blieb akut. Denn den Deutschen drohte ein Hungerwinter. Immer mehr Landwirte wollten ihre Erzeugnisse nicht mehr gegen Papiermark verkaufen. Sie hielten die Lebensmittel lieber zurück oder ließen sie gar verfaulen. Die Regierung brauchte daher dringend Devisen, um die Lebensmittelversorgung zu sichern.
Gleichzeitig schätzte die Regierung, dass in Deutschland Devisen im Gegenwert von rund 1,5 Milliarden Goldmark zirkulierten oder unter Kopfkissen gehortet wurden. An dieses Geld heranzukommen, war daher das Ziel.
Zunächst versuchte es die Regierung auf freiwilliger Basis, versuchte die Industrie und Privatpersonen zur Zeichnung einer sogenannten »Goldanleihe« zu bewegen, die noch vom Kabinett Cuno beschlossen und am 15. August aufgelegt worden war. Goldanleihe hieß sie, weil sie wertbeständig war. Die Anteilsscheine lauteten auf US-Dollar, der kleinste Betrag war 1 Dollar. Die Einzahlungen konnten auch in Mark erfolgen. Doch wer sie in Devisen vornahm, bekam einen Rabatt, musste nur 95 Cent für einen Anteilswert von einem Dollar einzahlen.
Allerdings war der Erfolg dieser Anleihe begrenzt. Selbst aus der Wirtschaft kamen daher Forderungen nach Zwangsmaßnahmen. Die Regierung machte sich diese zu eigen, Vizekanzler Robert Schmidt (SPD) sprach sogar ganz offen von »diktatorischen Mitteln«, die nötigenfalls eingesetzt werden müssten.
Das Kabinett erarbeitete daraufhin eine Verordnung über die Ablieferung ausländischer Vermögensgegenstände, die der Reichspräsident am 25. August unterzeichnete. Diese sah vor, dass Vermögenssteuerpflichtige einen Teil des fälligen Betrages in Devisen abzuliefern hatten. Wer über keine Devisen verfügte, musste dies an Eides statt versichern und konnte mit drakonischen Freiheitsstrafen oder der Beschlagnahme des Vermögens belegt werden, wenn er einen Meineid abgab. Drei Wochen wurde den Steuerpflichtigen Zeit gegeben.
Wer über derartige Wertgegenstände verfügte, musste diese unverzüglich abliefern und erhielt dafür Anteile an der Goldanleihe in entsprechender Höhe. Wer Devisen, Wertpapiere oder Gold nicht abgab und enttarnt wurde, dessen Besitz konnte entschädigungslos eingezogen werden – so wie es im Romanischen Café in Berlin geschah. Zudem drohten Ordnungsstrafen bis zu 10.000 Goldmark, Zuchthaus bis zu zehn Jahren und eine öffentliche Bekanntgabe einer Verurteilung auf Kosten des Schuldigen.
Solch drastische Eingriffe in das Eigentumsrecht waren natürlich nicht mit der Verfassung des Reiches zu vereinbaren. Daher wurden drei Artikel der Verfassung außer Kraft gesetzt, namentlich das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis und die Gewährleistung des Eigentums.
Des Weiteren setzte die Regierung einen Devisenkommissar ein. Den Posten übernahm Geheimrat Hermann Fellinger, ein Beamter im preußischen Handelsministerium. Er hatte das Recht, sämtliche Dienststellen des Reiches für die Auffindung und Beschlagnahme von Devisen, ausländischen Wertpapieren und Edelmetallen einzuspannen. Die Beamten durften dazu Wohnungen durchsuchen, Post öffnen und alle entsprechenden Wertgegenstände auf der Stelle beschlagnahmen.
In Berlin hoben Polizisten gleich eine ganze »wilde« Devisenzentrale aus. Ein Schneider betrieb sie in seiner Wohnung, und er beschäftigte eine Armee von Agenten und Schleppern, die tauschwillige Ausländer vor den offiziellen Wechselstuben ansprachen und ihnen bessere Kurse boten. Zum Schein betrieb der Sohn die Schneiderei weiter, doch als die Polizei die Wohnung durchsuchte, fand sie Devisen in Betten und Matratzen, unter den Teppichen, in einem Schrank mit doppeltem Boden. In einem Salzbehälter kamen unter einer dünnen Salzschicht allein 300 englische Pfund zum Vorschein. Insgesamt nahmen die Polizisten Devisen im Wert von über 10.000 Dollar mit – und mehrere Dutzend Agenten, die während der Razzia an der Wohnung geklingelt hatten, um ihre Geschäfte abzuwickeln.
Allerdings kam es auch zu Einsätzen, die weit über das Ziel hinausschossen. So nahm die Polizei in Bremen bei einem Einsatz frisch angekommenen ausländischen Schiffsmatrosen auf offener Straße ihre Devisen ab. Zudem warnte sogar der Devisenkommissar selbst in einem Interview mit dem Berliner Tageblatt, dass gerade im Ausland Bedenken über seine Arbeit laut würden, denn man befürchte, dass auch Geschäftspartner in Deutschland von der Konfiszierung der Devisen betroffen sein könnten.
So spektakulär die Razzien daher waren und so pathetisch die Erfolgsmeldungen daherkamen, letztlich konnte auch diese Zwangsmaßnahme das Schicksal der Mark nicht wenden. Der Wertverfall ging weiter und erreichte immer neue Dimensionen.
Um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Frank Stocker, Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam. FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten, 27,00 €.