Tichys Einblick
Empörungsdemokratie vs. Streitkultur

Deutschland ist reif für eine besonnene Debatte …

… so lautete das Fazit der NZZ zum Erscheinen von Thilo Sarrazins „Feindliche Übernahme“. Doch eine redliche, vernünftige Streitkultur zur nach wie vor unbewältigten gesellschaftlichen Herausforderung von Integration wird immer unwahrscheinlicher.

Als 2010 Deutschland schafft sich ab erschien, stießen die langfristigen Modellrechnungen in Kapitel 8 auf besondere Ablehnung. Sie zeigten nämlich, dass im Verlauf einiger Generationen demografische Mehrheiten zwingend zu Minderheiten werden, wenn die eine Gruppe kontinuierlich schrumpft und die andere kontinuierlich wächst. Das unwillkommene Ergebnis wurde dem Autor, der doch nur Bote war, als besondere Bosheit zur Last gelegt. Der Modellrechnung legte ich damals einen Zeitraum von vier Generationen zugrunde, das sind rund 120 Jahre. Davon sind jetzt (der Autor spricht von 2018 – Anm. d. Red.) acht Jahre vergangen, und keine meiner damaligen Annahmen wurde bis heute falsifiziert bis auf eine: Ich hatte meinen Berechnungen zugrunde gelegt, dass es der Politik gelingen würde und sie auch willens sei, die jährliche Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten auf 100 000 zu begrenzen. Das Gegenteil war der Fall: Tatsächlich sind seit 2010 aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten etwa 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland zugewandert, und ein Ende ist nicht abzusehen.

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Die meisten davon sind männlich und extrem jung. Soweit sie bleiben, werden sie Familiennachzug in Anspruch nehmen und große Familien gründen. Der deutsche Sozialstaat macht bekanntlich die Familiengründung materiell auch dann attraktiv, wenn man sich wegen mangelhafter Qualifikationen und unzureichender Sprachkenntnisse nicht am ersten Arbeitsmarkt etablieren kann. Der Wohlstand von Transferempfängern in Deutschland wächst mit der Zahl ihrer Kinder.

Ein deutlich höheres Einwanderungsniveau aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten, als damals von mir unterstellt, wirkt sich auf alle wesentlichen Faktoren der kulturellen Integration und der demografischen Balance negativ aus:

Walter Laqueur hatte das Problem auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle so beschrieben: »Wenn man nun diese Menschen aufnimmt, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, kann das im Grunde nur zu Unheil führen. Diese Menschen, die kommen, erwarten, Arbeit zu finden, erwarten, genauso zu leben wie die Einheimischen. Wenn dies nicht der Fall ist, werden sie in ziemlich kurzer Zeit erbittert sein, sie werden sich beschweren und über Rassismus beklagen. (…) Die Annahme von Frau Merkel, das Problem sei gelöst, wenn man eine Million aufnehme, ist natürlich Unsinn. Die Zahl der Leute, die nach Europa wollen, ist viel, viel größer. (…) Der grosse Bevölkerungsstrom, nämlich der aus Afrika, hat noch kaum begonnen. Darüber ist sich Europa nicht im Klaren.«

Die andere Gesellschaft

Wie die vorhergehenden Abschnitte zeigen, steigt der Anteil der Muslime in den europäischen Gesellschaften, wie immer man ihn ermittelt und aufbereitet, anhaltend schnell und dynamisch. Besonders deutlich wird das, wenn man die jungen Altersklassen und die Geburten betrachtet.

Die Ballung der Muslime (und etwas abgemildert der gesamten migrantischen Bevölkerung) in den jugendlichen Altersklassen kann in einer alternden geburtenarmen Bevölkerung schon für sich genommen Unbehagen wecken. Dieses Unbehagen steigt mit dem Gefühl der kulturellen Fremdheit. Es wird weiter verstärkt, soweit Muslime durch Sprachbarrieren oder die Kleidung ihrer Frauen die Abgrenzung von der Kultur des aufnehmenden Landes noch betonen. Das macht den Unterschied zur Einwanderung von Osteuropäern, Indern oder Vietnamesen aus.

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Zu diesen Elementen, die je für sich schon bedrohlich wirken können, tritt die regionale Ballung hinzu. Sie schafft überall in Deutschland und Europa Inseln des Fremden, deren Wirkung dadurch verstärkt wird, dass viele Muslime, und gerade die besonders Gläubigen, an der Kultur und den Sitten des Aufnahmelandes wenig Interesse zeigen. Im Gegenteil, dort, wo sie lokal starke Minderheiten oder auch die Mehrheit bilden, versuchen sie eher, ihre Sitten und Gebräuche durchzusetzen, als sich anzupassen. Das ist eine europaweite Erfahrung, die von den französischen Banlieues über Belgien, die Niederlande, England, Deutschland und Dänemark bis nach Schweden reicht. Akzentuiert wird dies durch eine weitgehende Trennung des sozialen Lebens der Muslime von den Gesellschaften des Aufnahmelandes. Auch Werthaltungen passen sich nur langsam an westliche Standards an, wenn überhaupt. Auf bestürzende Weise wurde dies deutlich, als die oft schon seit vielen Jahrzehnten in Deutschland lebenden oder gar hier geborenen türkischen Staatsbürger zu zwei Dritteln beim türkischen Referendum über die Verfassungsänderung mit Ja stimmten und sich damit implizit gegen eine westliche Demokratie aussprachen. Ein Jahr später bekräftigten sie im Juni 2018 diese Haltung bei der Präsidentenwahl und wählten zu zwei Dritteln Erdoğan.

Noch schwieriger wird es, wenn Muslime in besonderem Maß mit Kriminalität, Gewalt oder Terror assoziiert werden. Aufgrund der Nachrichtenlage geschieht dies häufig ganz unwillkürlich, auch die betonte politische Korrektheit von Politik und Medien kann daran wenig ändern. Dies illustriert die nachfolgende kurze Meldung aus der FAZ vom 17. Juli 2017:

»Krawalle und Übergriffe bei Straßenfest: In der baden-württembergischen Stadt Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) ist es am Wochenende zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen einer Gruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der Polizei gekommen. Polizisten seien mit Flaschen beworfen worden, ein Teil der Jugendlichen habe sich mit einem Tatverdächtigen solidarisiert, den die Polizei festnehmen wollte. Dem Mann wird eine gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt. In der Nacht zum Sonntag zogen nach Darstellung der Polizei zudem ›Gruppierungen mit dreißig und fünfzig Personen‹ durch die Innenstadt gezogen, einige sollen mit Messern bewaffnet gewesen sein. Außerdem wurden mehrere Fahrzeuge der Polizei durch Flaschenwürfe beschädigt. In Schorndorf, einer Stadt mit knapp 40 000 Einwohnern, fand am Wochenende ein Stadtfest statt. Schon am Freitagabend meldeten drei Frauen der Polizei eine sexuelle Belästigung, in einem Fall werde nun gegen einen irakischen Mann ermittelt, teilte ein Sprecher der Polizei mit. Am Samstag soll dann eine 17 Jahre alte Frau auf dem Bahnhofsvorplatz von drei Männern festgehalten und begrapscht worden sein. Die Polizei ermittelt in diesem Fall gegen drei Männer aus Afghanistan.«

Diese Meldung fasst relevante Elemente der überall mit muslimischen Migranten bestehenden Problemlage wie unter einem Brennglas zusammen:

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Boris Palmer: Keine Partyszene, sondern Gewaltbereite mit Migrationsvordergrund
Die Meldung veranlasste offenbar den Schorndorfer Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) zu einer Intervention bei der FAZ. In einer späteren Ausgabe der Zeitung fehlt die Angabe zur Zahl der gewalttätigen Jugendlichen, auch fiel die Erwähnung der Übergriffe auf Frauen kürzer aus. Dafür wurde der Oberbürgermeister zitiert mit dem Hinweis, es habe sich bei den Gewalttätern »nicht nur um Flüchtlinge aus Schorndorf, sondern auch um Deutsche mit Migrationshintergrund sowie ortsfremde Flüchtlinge gehandelt«. Vermutlich ohne es zu wollen, machte der Oberbürgermeister damit klar, dass das Problem über seine Stadt und die aktuelle Einwanderungswelle weit hinausgeht. Er machte es damit größer und nicht kleiner. In der ARD-Tagesschau vom 17. Juli fiel der Migrationshintergrund der Gewalttäter dem Silberblick des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Opfer, es war nur noch von 1000 »jungen Menschen« die Rede. Nur der vorwitzige grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer äußerte sich klar: »Mir völlig unbekannte Gewalt und Übergriffe bei einem an sich friedlichen Fest. Und wieder sehr junge Asylbewerber mitten drin.«

Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, gab seinem ersten Buch den Titel Neukölln ist überall. Seine Beobachtungen und Beschreibungen wiederholen sich im westfälischen Ahlen, im rheinischen Frechen, in Düsseldorf-Oberbilk, in Duisburg-Marxloh, in Essen-Altenessen, im englischen Bradford, im schwedischen Malmö, im belgischen Molenbeek. Allein in Deutschland gibt es Hunderte solcher regionalen muslimischen Ballungen, die die Kultur und den Charakter der betroffenen Viertel und Städte verändern. Wer sich lediglich darüber freut, dass er eine Auswahl unter türkischen und marokkanischen Restaurants hat, wird sich daran nicht weiter stören. Wer dagegen eine gute Schulbildung für seine Kinder sucht und nicht möchte, dass die eigene Tochter unter Mitschülerinnen aufwächst, die mehrheitlich das Kopftuch tragen und eine aus westlicher Sicht rückständige und frauenfeindliche Sozialisation erfahren, der wird solche Viertel verlassen. Die Wanderung der einheimischen Bevölkerung und auch des liberalen und erfolgreicheren Teils der Muslime aus solchen Vierteln verstärkt die religiöse, ethnische und kulturelle Segregation.

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An Buschkowskys Schilderungen wird deutlich, dass das meiste, was in Neukölln und woanders besonders problematisch ist, nicht die Migranten generell betrifft, sondern sich bei den muslimischen Migranten konzentriert: patriarchalisches Familienbild, Gewalttätigkeit, Paralleljustiz, Unterdrückung von Frauen und Mädchen, Kriminalität, Bildungsferne, Familiengründung in jungen Jahren und überdurchschnittliche Kinderzahl. Buschkowsky nimmt wahr, dass unter vielen muslimischen Migranten die Distanz zu Deutschland eher wächst, auch wenn sie schon seit Generationen hier sind, ebenso die Anfälligkeit für religiösen Fundamentalismus und Radikalisierung. Er zitiert die Schätzung einer erfahrenen Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin, dass nur 20 Prozent der Türken und Araber die liberalen Einstellungen der westlichen Gesellschaft annehmen. Diese Gruppe zieht aus den migrantischen Vierteln weg, weil sie sich und ihre Familien dem Druck dieses Umfelds nicht aussetzen wollen. 30 Prozent sind unentschlossen, sie passen ihren Lebensstil und ihre Einstellungen taktisch an. 50 Prozent der muslimischen Migranten verharren über Generationen in den überkommenen Strukturen, gründen früh Familien und bekommen besonders viele Kinder.

Der Titel von Buschkowskys zweitem Buch Die andere Gesellschaft meint diese Welt der muslimischen Migranten. Im Vorwort beschreibt er den Straßen blick aus seinem Amtszimmer: je verhüllter die Frauen, desto mehr Kinderwagen und kleine Kinder. Dazu passen die Berichte von Berliner Lehrern über den wachsenden Druck auf muslimische Mädchen, dass sie einem bestimmten Religionsbild entsprechen sollen. Für seinen Heimatbezirk Neukölln fürchtet Buschkowsky, dass die andere Gesellschaft in wenigen Jahren in der Mehrheit sein wird. Der Bevölkerungsanteil der Muslime liegt in Berlin-Neukölln gegenwärtig bei rund 20 Prozent. Die demografischen Verhältnisse dieses Berliner Bezirks nehmen vorweg, was laut Pew Research 2050 für den Durchschnitt Deutschlands, also von Usedom bis zum Allgäu, gelten wird.

Auszug aus: Thilo Sarrazin, Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht. FBV, 450 Seiten, 24,99 €.


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