Einen gewichtigen Schwerpunkt in den Förderstrukturen von Regierungen in Bund und Ländern bilden mittlerweile die Migrantenverbände. Sie verteilen sich über ganz Deutschland, wobei der Großteil in Berlin ansässig ist oder zumindest eine Zweigstelle hat.
Die Dachverbände vertreten wiederum Hunderte von lokalen Migrantenorganisationen, die ebenfalls staatliche Gelder erhalten. Meist liegen ihre Fördersummen sogar noch über denen der Dachverbände, da diese lediglich als zentraler Anlaufpunkt dienen, die alltägliche Arbeit aber in den Projekten vor Ort geschieht. Mitunter sind einzelne Migrantenorganisationen auch in mehreren Dachverbänden aktiv.
Das Netzwerk aus dem Einwanderermilieu wird zunehmend unübersichtlicher, Fördermittel aber wollen alle haben. Der aus dem Bundesfamilienministerium und dem Bundesinnenministerium finanzierte Dachverband der Migrantenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) vernetzt beispielsweise »über 300 ethnisch übergreifende Mitgliedsorganisationen «. Auch der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (NEMO), ein Zusammenschluss von knapp 800 Vereinen, ist finanziell an die Innenbehörde angeschlossen.
Konkurrieren um Einfluss
Doch warum gibt es eigentlich mehrere Dachverbände und nicht nur einen? Mittlerweile konkurrieren die Lobbyverbände gegenseitig um Einfluss und unterscheiden sich in ihrem Herkunftsmilieu. Importierte ethnische Konflikte werden auch hierzulande ausgetragen.
Ebenfalls Mitglied von Bagiv ist der Zentralrat der Armenier, weshalb es auch kaum verwundert, hier keine türkischen Organisationen zu finden. Ihren Einfluss geltend macht die Türkische Gemeinde – die von 2015 bis 2024 insgesamt knapp 3,9 Millionen Euro an Fördermitteln über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einstrich und ebenfalls seit vielen Jahrzehnten in Deutschland ansässig ist – über den mittlerweile einflussreichsten Migrantendachverband: die »neuen deutschen organisationen« (ndo).
Behörden sind »zu weiß«?
Dem »postmigrantischen Netzwerk« gehören derzeit über 200 Vereine, Organisationen und Projekte an. Sich selbst beschreiben die Initiatoren als »Nachkommen von Arbeitsmigranten und Geflüchteten, Sinti und Roma, afrodiasporische Menschen, jüdische, muslimische und andere dialogsuchende Engagierte, Person of Color (PoC) oder Schwarze, Bindestrich-Deutsche oder eben anders«. Ihr Ziel: eine »postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland«.
Die Mitgründerin der ndo und langjährige Sprecherin des Vereins, Ferda Ataman, zeichnete in ihrer Rede auf dem Gründungskongress der ndo 2015 das Bild einer gespaltenen Gesellschaft zwischen denjenigen, die Deutschland neu denken wollen, und solchen, die mit der Veränderung nicht klarkommen. Ataman war seit 2018 auch Vorsitzende der »Neuen deutschen Medienmacher*innen«, die bis März 2019 Projektträger der ndo waren, und gehörte seit 2020 der Mitgliederversammlung der Grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung an.
Zentrale Forderungen der ndo sind seit jeher unter anderem ein bundesweites Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft, die Vergabe der Staatsbürgerschaft nach Geburtsrecht und einen Schulunterricht, der sich an den Herkunftsländern der Einwanderer orientiert. »Lehrpläne müssen explizit auf Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierungen eingehen«, heißt es. Gleichzeitig sind der ndo die Behörden in Deutschland zu weiß. »Die goldene Zeit des ›weißen Mannes‹ ist vorbei«, frohlockte deshalb schon 2021 die heutige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, – damals in ihrer Funktion als Sprecherin des Migrantenverbandes.
Trotzdem mangelt es noch immer an ausreichend Sichtbarkeit und Repräsentation«, schrieb der Verband. »Parteien, Behörden, Wohlfahrtsverbände und viele andere Bereiche « seien »immer noch überproportional weiß.« Es brauche eine »Quote für People of Color und Schwarzen Menschen, denn freiwillig funktioniert es offenbar nicht«.
Fleißiges Netzwerken
Doch die Forderungen an die Politik gingen noch weiter. Möglichst viele Ausländer sollen schnell wählen können. »Ab fünf Jahren fordern wir ein umfassendes Wahlrecht, auch auf Bundesebene«, heißt es im Manifest. Auch »Einbürgerungen sollten erleichtert und kostenlos werden«. Ein Teil dieser Forderungen – wie etwa die schnellere Einbürgerung – wurden bereits von der Ampelkoalition umgesetzt. Bei Politikern wie Nancy Faeser (SPD) oder Lisa Paus (Grüne) rannten die Aktivisten offene Türen ein.
Doch schon zu Zeiten der Vorgängerregierung netzwerkte man fleißig. So nahm ndo unter Angela Merkel (CDU) auch an den Voranhörungen des »Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus« teil, der am Ende über eine Milliarde Euro im »Kampf gegen Rechts« bereitstellte.
Finanziert wird der Dachverband nicht nur über das Bundesfamilienministerium. Auch aus Ländern wie Nordrhein- Westfalen streicht man Steuermittel ein. Zudem fließen hohe Beiträge aus der privaten Mercator-Stiftung und der Bertelsmann-Stiftung. Vor allem die Finanzierung vom Staat soll ausgebaut werden, was auch bei Terminen mit Politikern klargemacht wird.
Nur wenige Tage nachdem Nancy Faeser (SPD) im Februar 2024 einen neuen 13-Punkte-Aktionsplan »gegen Rechts« vorgestellt hatte, fand auch im Familienministerium eine Pressekonferenz mit Ministerin Paus zum Thema »Engagiert gegen Menschenfeindlichkeit« statt, bei der die Geschäftsführerin von »ndo«, Nursemin Sönmez, ebenfalls eine Ansprache hielt. Demütig versprach Paus, die direkt neben Sönmez saß: »Mein Haus arbeitet gerade mit Hochdruck an der Weiterentwicklung von ›Demokratie leben!‹ «
Durch keine Fakten gedeckt
Im Anschluss fiel Sönmez in ihrer Rede mit Aussagen auf, die durch keine Fakten gedeckt sind: »Über ein Viertel, 28,7 Prozent der Bevölkerung, ist von den jüngst entdeckten Deportationsplänen der AfD und anderen betroffen und steht im Fadenkreuz rechter Gruppen, die unter anderem bewaffnet sind«, behauptete sie.
Offenbar bezog sie sich auf den im Januar 2024 veröffentlichten Text des Rechercheportals Correctiv über ein privates Treffen in Potsdam am 25. November 2023.284 Im Anschluss kam es in ganz Deutschland zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Vor dem Landgericht Hamburg stellte das Rechercheportal Correctiv später jedoch selbst klar, dass »die Teilnehmer*innen nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben «.285 Im Schriftsatz heißt es weiter: »Dies ist zutreffend. Doch abermals: Dies wird in dem streitgegenständlichen Artikel nicht behauptet.«
Correctiv liegen also keine Kenntnisse über etwaige Deportationspläne der rund 25 Teilnehmer des Treffens in Potsdam vor, geschweige denn über Deportationspläne der AfD. Liegen Nursemin Sönmez eigene Kenntnisse über konkrete Deportationspläne der AfD vor, die öffentlich nicht bekannt sind? Eine entsprechende Anfrage von mir bei den »neuen deutschen organisationen« blieb unbeantwortet. Auch der zweite Teil des Satzes wirft Fragen auf.
Stehen tatsächlich 28,7 Prozent der Bevölkerung, also rund 24 Millionen Menschen in Deutschland, »im Fadenkreuz rechter Gruppen«, die »bewaffnet sind«? Wie kommt Sönmez auf eine derart absurde Aussage? Auch in diesem Fall blieb die Nachfrage unbeantwortet.
Kaum hinterfragter Lobbyismus
Teil des Netzwerks der »neuen deutschen organisationen« sind auch die »Neuen deutschen Medienmacher*innen«, die ebenfalls eigene Fördermittel aus dem Familienministerium erhalten. Seit dem vergangenen Jahr widmen sich diese verstärkt dem »Kampf gegen Desinformationen«. Richtet sich dieser Kampf also auch gegen die Chefin des eigenen Dachverbandes, die in Gegenwart der Familienministerin bewusste Falschaussagen traf?
Auf der Pressekonferenz machte Sönmez auf eine weitere Forderung aufmerksam, die seit Langem in der »zivilgesellschaftlichen « Szene kursiert: Eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das in Deutschland 2006 in Kraft trat. Sönmez forderte von der Regierung einen »effektiven Diskriminierungsschutz«. Dies beinhalte »für uns vor allem, die AGG-Reform dringend anzugehen«. Eine solche Reform hatte auch die Bundesregierung 2021 in ihrem Koalitionspapier versprochen – aber nicht mehr umgesetzt.
Verantwortlich für die AGG-Reform war niemand geringeres als Ferda Ataman – die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, die Ende 2023 ein Grundlagenpapier dazu vorlegte.286 Wir erinnern uns: Ataman war jahrelang als Vorstandsvorsitzende und Sprecherin der »neuen deutschen organisationen« tätig. »Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in der EU«, beklagte die 44-Jährige in dieser Funktion vor wenigen Jahren. Dann wechselte sie 2022 in die Bürokratie des Bundes, wurde Beauftragte für Antidiskriminierung und kümmerte sich fortan selbst um das Vorhaben »AGG-Reform«.
Die Lobbyorganisation »ndo« hatte somit eine Vertreterin in eine staatliche Position gehievt, damit diese nun die Vorhaben der linken Migrantenorganisationen umsetzen konnte. Parallel dazu sitzt Nursemin Sönmez als »ndo«-Geschäftsführerin neben Lisa Paus und fordert die Regierung auf, endlich tätig zu werden, während die Ministerin brav Versprechungen macht.
Forderungen orwellscher Prägung
Schon das Eckpunktepapier von Ataman beinhaltete zahlreiche Forderungen orwellscher Prägung: Demnach sollen Vielfalts-Trainings für alle Verwaltungsangestellten in Deutschland verpflichtend werden. Jede Person muss an die linke Ideologie glauben: Nach der Reform des AGG sollen »alle Beschäftigten im Rahmen der Aus- und Weiterbildung zu Diversity-Kompetenzen und antidiskriminierungsrechtlichen Grundlagen qualifiziert werden«, heißt es.
Bewerber für die Verwaltung werden unterdessen in den Kategorien linker Identitätspolitik sortiert. In den Behörden soll eine »diskriminierungssensible und diversitätsorientierte Rekrutierung« sichergestellt sein. Nicht mehr die Qualifikation spielt dann die wichtigste Rolle bei der Einstellung, sondern die Herkunft. Genauso, wie es im Manifest der »ndo« von 2015 bereits vorgesehen war.
Derzeit steht noch immer kein genauer Entwurf für die Reform. Der Prozess im letzten Bundeskabinett stockte, weil die FDP das Projekt kritisch beäugte. Sollte das Gesetz in naher Zukunft durch den Bundestag verabschiedet werden, würde der Lobbyismus linker Migrantenvereine ein weiteres Mal erfolgreich gewesen sein. Die SPD und die Grünen wollen jedenfalls an der AGG-Reform festhalten: »Wir werden das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reformieren«, versprachen die Grünen in ihrem Wahlprogramm.
Um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Björn Harms, Der NGO-Komplex. Wie die Politik unser Steuergeld verprasst. LMV, 288 Seiten, 22,00 €.