Es war ein kalter Tag im Januar 1923 bei Kohlehändler Elkan in Berlin-Wilmersdorf. Frau Wolter betrat das Geschäft. Sie musste ihre Wohnung heizen und brauchte daher Brennholz. Elkan hatte welches – doch zu ihrer großen Überraschung wollte er ihr keines verkaufen. Das jedoch wollte sich Frau Wolters nicht gefallen lassen, und so traf man sich wenige Tage später vor Gericht wieder. Der Vorwurf: Elkan habe das Brennholz zurückgehalten, weil er durch einen späteren Verkauf einen übermäßigen Gewinn erzielen wollte. Ein Strafbefehl über 10.000 Mark war gegen ihn ergangen.
Dagegen setzte Elkan sich zur Wehr. Das Holz sei frisch und nass gewesen, argumentierte er nun vor Gericht, und daher hätte es schlecht gebrannt. Er habe es also quasi zum Schutz der Kundin zurückgehalten. Doch der Staatsanwalt hielt dagegen. »In der heutigen Zeit des Wuchers mit Brennmaterialien kann man die vom Angeklagten behauptete menschenfreundliche Absicht, einer Hausfrau den Ärger mit nassem Holz zu ersparen, wirklich nicht glauben«, warf er ein. Der Richter schloss sich dieser Meinung an und erhöhte die Strafe aufgrund der Verwerflichkeit der Tat sogar auf 80.000 Mark.
Solche Prozesse waren die neueste Idee der Regierung, um den rasant steigenden Preisen nach der Ruhrbesetzung Herr zu werden. Wie schon zuvor die Regierung Wirth nahm nun auch die Regierung Cuno die Wucherer als vermeintliche Hauptschuldige an der Preisexplosion aufs Korn.
Schon am 13. Januar, zwei Tage nach Beginn der Ruhrbesetzung, traf sich Reichswirtschaftsminister Johann Becker mit den Spitzenvertretern aus Industrie, Handel, Handwerk, Genossenschaften und Gewerkschaften. Er bat um ihre Mitarbeit, denn sie sollten ihre Mitglieder zur Besonnenheit und Mäßigung bei Preiserhöhungen ermahnen. Diese würden aufgrund der neuen Lage nach der Ruhrbesetzung wohl kommen, sie sollten aber nicht über das unbedingt notwendige Maß erfolgen.
Gleichzeitig versuchte die Regierung die Wuchergesetze zu verschärfen. Schon seit 1919 gab es im ganzen Land spezielle Wuchergerichte, die eine Verordnung aus dem letzten Kriegsjahr gegen Preistreiberei umsetzen sollten. In der Verordnung wurde mit Strafe bedroht, »wer vorsätzlich für Gegenstände des täglichen Bedarfs oder des Kriegsbedarfs Preise fordert, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse einen übermäßigen Gewinn enthalten«.
Das Gleiche galt für eine weitere Initiative der Regierung. Denn sie begann auch einen Kampf gegen die »Schlemmerei«. Gemeint waren damit alle Arten von Festivitäten oder Luxus, die in den Augen der notleidenden Bevölkerung Verärgerung hervorrufen könnten. Die Idee war nicht neu. Bayern hatte schon im Dezember 1921 im Reichsrat ein Gesetz gegen »Schlemmerei« beantragt. Demnach sollte jeder mit Gefängnis oder Geldstrafen bestraft werden, der »aus Hang zum Wohlleben sich derart übermäßig der Genußsucht hingibt, daß dadurch angesichts der Not des Volkes Ärgernis erregt werden kann«. Das Gesetz scheiterte jedoch damals noch auf Reichsebene.
Doch einige Länder hatten daraufhin eigene Regelungen beschlossen. So wurden in Bayern öffentliche Kostümfeste, Trachtenfeste und Bauernbälle untersagt. Die preußische Regierung wies die lokalen Behörden an, Schlemmersteuern zu erheben. In Berlin wurde der 5-Uhr-Tanz verboten und ein Tanzverbot vor allem für Lokale, die von Touristen und Auswärtigen besucht wurden, erwogen. Denn diese besaßen üblicherweise Devisen und konnten dadurch aufgrund des Markverfalls in Deutschland in Saus und Braus leben.
Am 15. Januar schloss Reichsernährungsminister Hans Luther eine Vereinbarung mit den Spitzenverbänden des Hotel-, Gastwirtsund Kaffeehausgewerbes. Diese sah vor, dass künftig immer nur noch zwei Gerichte zur Auswahl stehen durften. Jedem Gast durfte nur noch ein Fleischgericht serviert werden, ausländische Delikatessen mussten ganz von den Speisekarten verschwinden.
Die Regelungswut ging so weit, dass eine Gesamtmahlzeit nur noch höchstens enthalten durfte: eine Suppe, ein Fischgericht, ein leichtes Zwischengericht, ein Fleischgericht mit Beilage, eine Nachspeise oder Käse oder Dunstobst oder Früchte. Eierspeisen durften nicht mehr zum Frühstück, Butter gar nicht mehr dargeboten werden. Zuwiderhandlungen sollten mit Geldstrafen von bis zu einer Million Mark belegt werden, und das Geld sollte einem Fonds zur Unterstützung notleidender Menschen zugutekommen.
Auch »Unsittlichkeiten und Unsauberkeiten, die sich im Theater und Lustbarkeiten und sonst, häufig ausländische Herkunft zur Schau tragend, vielfach breitmachen«, prangerte Cuno in etwas schräger Grammatik, aber vor allem in sehr altväterlicher Art an und bezeichnete sie als »Widerlichkeiten«. Dabei liege es ihm jedoch fern, einen Verzicht auf Freude zu fordern. Aber sie solle in würdiger Weise gefunden werden, durch Leibesübungen und Sport »sowie die Einkehr bei den Geistesschätzen alter deutscher Kultur«.
Wer das heute liest, schwankt zwischen Schmunzeln und Seufzen. Denn einerseits klingt das für unsere Ohren fast schon lustig. Andererseits ist es reichlich verstörend zu sehen, welchen Fragen sich die Regierung damals mit großem Ernst und viel Energie widmete, während gleichzeitig die Wirtschaft am Rande des Abgrunds stand. Das gilt umso mehr, wenn man weiß, dass das entsprechende Schreiben diverse Male zwischen allerlei Regierungsstellen hin- und hergeschickt wurde, um an ihm zu feilen.
Der Schwerpunkt der Regierungsarbeit schien seltsam verrückt. Das zeigt sich auch bei einem weiteren Gesetz, dem reichsweiten Schankstättengesetz, das Ende Februar verabschiedet wurde und den Alkoholkonsum einschränken sollte. Dazu erhielten die Länder das Recht, den Betrieb von Gastwirtschaften erheblich zu beschneiden, beispielsweise Lizenzen auch rückwirkend zu entziehen.
Kurz danach wurde auch noch Absinth verboten, jenes Getränk, das in den Jahren davor als »grüne Fee« bekanntgeworden war und vor allem in Künstlerkreisen genossen wurde. Nach Ansicht des Reichskanzlers war es jedoch ein »deutscher Art fremdes Genussmittel« und gesundheitsschädlich. Das Verbot wurde erst fast acht Jahrzehnte später, 1991, aufgehoben.
Natürlich trugen all diese Maßnahmen keinen Deut dazu bei, die finanziellen Probleme des Reiches zu überwinden und die Inflation zu bändigen. Darüber hinaus war es aber auch schier unmöglich, diese Gesetze anzuwenden. Die Polizei hätte praktisch ständig durch Restaurants streifen, Speisekarten kontrollieren und servierte Gerichte analysieren müssen, um die Einhaltung zu gewährleisten.
So viel Energie daher in all diese Vorhaben gesteckt wurde, so gering war deren Wirkung. Auch und vor allem deshalb, weil diese ohnehin nur an der Oberfläche kratzten, die wirklichen Ursachen der Notlage, den defizitären Staatshaushalt und das Gelddrucken durch die Notenbank, jedoch gar nicht berührten.
Um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Frank Stocker, Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldentwertung kam. FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten, 27,00 €.