Das Haus Farina hat zweimal in bedeutender Weise Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Zum einen 1714 mit der Erfindung eines innovativen, bahnbrechenden Produkts, einer erfrischenden Eau, welche die schwül-schweren Duftstoffe der Barockzeit ablöste. (Im Hause Farina ist immer von »die Eau« die Rede, wenn das hauseigene Produkt gemeint ist.) Die erfolgreiche, lange Zeit einzigartige Eau de Cologne fand seit 1800 Dutzende von Nachahmern. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war ein Farina der vierten Generation federführend an der Durchsetzung des modernen Markenschutzrechts beteiligt. Seit Juni 2019 zählt Farina Eau de Cologne zum von der UNESCO anerkannten immateriellen Weltkulturerbe.
Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz GmbH
Köln 1709
Gegründet: 13. Juli 1709 in Köln als Handelshaus
100 Prozent Familienbesitz 8. Generation
Gegenwärtig im 321. Jahr
Mit den Farinas tritt man ein in die farbenprächtige, galante und elegante Welt des Rokoko, dessen auffallendstes äußeres Merkmal neben dem namensgebenden Dekorelement, der muschelförmigen Rocaille, die wallenden Perücken und Kniebundhosen der Herren von Stand sind, die sogenannten culottes. Noch das letzte große Genie dieser Epoche, Wolfgang Amadeus Mozart, war bekanntlich nach dieser Mode der damals wohlhabenden wie tonangebenden Kreise gekleidet. (Auch Mozart war übrigens Farina-Kunde.)
Die Bauern und einfachen Leute, die sich keine seidenen Kniebundhosen leisten konnten, wurden dementsprechend sans-culottes genannt, ein Begriff, der dann am Ende des Jahrhunderts, als in Frankreich die Revolution ausbrach, zum Schlagwort wurde (auch in Deutschland sprach man in der Zeit von Sansculotten).
Doch zum Beginn des Jahrhunderts ist die Rokoko-Welt der absolutistischen Fürstentümer in Europa äußerlich noch ganz intakt: Der Adel und die Geistlichkeit sind die Inhaber der politischen und wirtschaftlichen Macht, die schmale bürgerliche Schicht ahmt, sofern sie es sich leisten kann, deren verschwenderischen Lebensstil nach und beteiligt sich an allerlei Unternehmungen des Handels und der Finanzen. Dies ist auch die Welt der Farinas.
Schon als 14-Jähriger wurde Giovanni Maria Farina, der spätere Erfinder der Eau de Cologne, in die Handelslehre zu einem Onkel nach Maastricht geschickt. Jener Onkel war im heute niederländischen Maastricht sogar Ratsherr; die Farinas waren also im Raum von Niederrhein und Maas bereits gut etabliert.
1709 gründete der ältere Bruder Giovannis in Köln eine Firma als Kommissions- und Speditionsgeschäft »Farina & Compagnie«. Es ist diese Firma, die bis heute Bestand hat; sie konzentrierte sich später ganz auf Produktion und Vertrieb der neu erfundenen, kommerziell so erfolgreichen Eau.
Giovanni Maria Farina, der geniale Parfümeur, wurde im Alter von knapp 23 Jahren auf Einladung seines Bruders 1714 auch Teilhaber: »Deine Wässerchen kannst du auch hier mixen. Wir räumen dir genug Platz ein«, schrieb der Ältere dem Jüngeren lapidar. Und so geschah es: Im gleichen Jahr kreierte Giovanni Maria jenes Duftwasser, das bis heute den Namen seines Erfinders trägt. Die älteste Duftmarke der Welt und sozusagen die Ur-Eau-de-Cologne, die er zu Ehren seiner Wahlheimat Köln benannte.
Giovannis olfaktorische Begabung, seine Duftnase, muss man sich wohl ähnlich vorstellen wie die von Jean-Baptiste Grenouille, der Hauptfigur des berühmten Romans Das Parfum. Aber Giovanni Farina stammte aus ganz anderen familiären Verhältnissen. Er war schon früh in der hohen Kunst der Destillation handwerklich versiert. Diese geradezu alchimistische Kunst der hochreinen Alkoholdestillation (Ethanolherstellung) war um 1700 nördlich der Alpen noch so gut wie unbekannt. Hier konnte man nur Fusel (schlechte, verunreinigte Alkoholqualitäten) herstellen. Die Ethanolgewinnung durch Destillation von Wein (daher auch: »Weingeist«) war eine persische Erfindung des Mittelalters (10. Jahrhundert) und durch arabische Vermittlung im mittelalterlichen Italien bekannt. (Auch das aus dem Arabischen übernommene Wort Alkohol bedeutet im Übrigen nichts anderes als »Geist des Weines«.) Giovanni Farina wurde in die Praktiken der italienischen Aromatiseure seiner Zeit bereits als ganz junger Mann eingeweiht.
Schon als junger Handelsagent reiste Giovanni von Maastricht aus kreuz und quer durch Europa und nahm viele Düfte und Gerüche in sein erstaunliches Duftgedächtnis auf. Prägend und für die Eau de Cologne ausschlaggebend blieben die Bergamotte-, Zitrus- und Neroli- sowie Blumendüfte seiner mediterranen Heimat. Der frische Duft von Farina evoziert »einen italienischen Frühlingsmorgen, der an Bergnarzissen und Orangenblüten kurz nach dem Regen erinnert«, wie Giovanni selbst schrieb.
Der Erfolg von Farina verdankt sich aber nicht nur der Qualität, sondern auch der neuartigen Frische des Dufts. Parfums der Barockzeit und damaligen beginnenden Rokoko waren überwiegend schwere pomadige Düfte. Sie wurden auch überwiegend in Fetten konserviert, wie es ebenfalls in dem populären Parfum-Roman anschaulich dargestellt ist. Man trug die Parfums also überwiegend aus kleinen Döschen auf, ähnlich wie heute den Tiger-Balsam.
Die erfrischende Eau des Cologne war also nicht nur eine Duftneuheit, sondern auch die Darreichungsform als aromatische alkoholische Flüssigkeit war neu, und der Erfolg von Farina trug wesentlich dazu bei, dass wir Parfums heute praktisch nur noch als Duftwasser kaufen. 100 Jahre lang war Farina die Eau de Cologne schlechthin. Es gab keine andere. Es war so, als wäre Mercedes der einzige Autohersteller. Erst durch die späteren Nachahmerprodukte, die Farina dann im 19. Jahrhundert so zu schaffen machten, wurde aus dem einmaligen Markennamen ein Gattungsbegriff. Ähnliche Bedeutungsübertragungen kennt man auch aus anderen Bereichen der Warenwelt. Im deutschen Sprachraum wurde beispielsweise der Herstellername Tempo zum Gattungsbegriff für Zellstofftücher. Ähnlich ist es in der englischen Sprache mit dem Wort Kleenex. Und dort verwendet man beispielsweise auch nicht das Wort vacuum cleaner (Staubsauger), sondern den Herstellernamen Hoover.
Auch Cologne hatte Anteil an dem Erfolg der Eau: Köln war eine alte, für die damalige Zeit bevölkerungsreiche Handelsstadt. Die Brüder Farina waren schon von Haus aus erfahrene Handelsherren, nicht zuletzt der geschäftstüchtige Johann Maria selbst. Ihr Haus gegenüber dem Jülichs-Platz im Zentrum von Köln war eine damals vornehme Geschäftsadresse, so wie es auch heute in vielen Städten Straßen gibt, in denen sich die Luxusgeschäfte konzentrieren. Die Farinas kannten ihre wohlhabende adelige und bürgerliche Kundschaft, die man heutzutage als Zielgruppe bezeichnen würde, genau. Auch dies trug zum Welterfolg von Farina bei. Von Kaiserin Maria Theresia, einer der frühesten prominenten Kundinnen, bis zu Prinzessin Diana reicht die Liste der weiblichen Kundschaft. Aber gerade Farina ist keineswegs ein Damenduft – diese Aufteilung der Märkte gab es damals noch nicht. Die Namen der Könige, Fürsten und prominenten Künstler, die Farina-Kunden waren, ist eine Art »Who is Who« Europas der vergangenen 300 Jahre.
Angesichts dieser weitverzweigten Kundschaft verkauften die Farinas natürlich nicht nur »im Laden« in ihrem Haus in der Obenmarspforten, wo sich heute noch der Stammsitz befindet, sondern sie betrieben auch ein umfangreiches Versandgeschäft mit den sogenannten Rosolien, länglichen grünen Glasflaschen, die man nicht stehend, sondern nur liegend transportieren konnte – am besten gleich ein halbes Dutzend in mit Samt ausgeschlagenen flachen Schatullen. Über all das führte Johann Maria Farina zeit seines Lebens gewissenhaft Buch.
Mit dessen Eroberung des Rheinlandes kam die bürgerliche Gewerbefreiheit. Damit wurde auch in Köln das Ende der mittelalterlichen Zunftordnung eingeläutet. Bisher war die Eau de Cologne Farinas durch das in verschlungener Schrift gestaltete Etikett mit der eindeutigen Adressangabe »gegenüber dem Jülichs-Platz« und durch die Versiegelung einigermaßen geschützt. Wer Eau de Cologne sagte, meinte ausschließlich Farinas Produkt.
Doch nun traten infolge der neuen Gewerbefreiheit zahllose Nachahmer und Plagiatoren auf den Plan. Sie imitierten nicht nur das Etikett. Da Farina ein in Italien häufiger Familienname war, kauften sie irgendwelchen Farinas, die mit der Kölner Handelsfamilie gar nichts zu tun hatten, deren Namensrechte ab und verkauften so ihre Nachahmerprodukte. Die Gewerbefreiheit war damals juristisches »Neuland«, es gab noch keinen Markenschutz, ähnlich wie heute im »Neuland« des Internets der Copyright-Schutz für geistiges Eigentum erneut erkämpft und durchgesetzt werden muss. (Was das heutige Copyright anbelangt, besteht immerhin bereits eine solide Rechtsbasis, aber es gibt bekanntlich starke gesellschaftliche Kräfte, die diesen Rechtsschutz unterlaufen wollen.) Gerade die auffallende Formulierung im Farina-Etikett »gegenüber …« wurde allseits plagiiert, um Authentizität vorzutäuschen. Es gab nun angebliche Farinas »gegenüber dem Albün-Platz«, »gegenüber dem Altenmarkt«, »gegenüber den Alexianern« et cetera.
Der erfolgreichste dieser Nachahmer war gleich zu Beginn 1797 ein in Köln in der »Klöckergasse« (Glockengasse) in »Speculations-Geschaeften« ausgewiesener Wilhelm Mühlens, der mit genau diesem Vorgehen ein »Franz Maria Farina, Glockengasse 4711« auf den Markt brachte – auch er mit dem Zusatz: »… gegenüber der Pferdepost«.
Im Zuge dieser plagiierenden »Verallgemeinerung« des Produkts wurde Eau de Cologne, wie bereits erwähnt, vom Markenbegriff der Farina zum Allgemeinbegriff für diese Gattung von Duftwässern.
Insgesamt zählte man im Lauf des 19. Jahrhunderts 114 solcher Nachahmer. 1875 war Johann Maria Farina (1808–1880) aus der vierten Generation Abgeordneter im Reichstag des erst vier Jahre zuvor von Bismarck begründeten Deutschen Reichs. Er hatte sich als Politiker schon seit Langem um einen gesetzlichen Markenschutz bemüht und wesentlich zum Inhalt und zur Verabschiedung des Markenschutzgesetzes 1874 beigetragen. Das Farina-Etikett wurde nun als erste gesetzlich geschützte Marke überhaupt eingetragen, und 1875 erreichte er, dass das Original-Farina-Etikett mit der geschwungenen Schrift nicht mehr nachgeahmt werden durfte. Später wurde Nachahmern auch die Verwendung des Namens Farina verboten, worauf all die vielen Etikettenschwindler vom Markt verschwanden.
Ein letzter Akt Parfum-Geschichte ergab sich durch den Ersten Weltkrieg. Erst jetzt, in den Zeiten des schäumenden Nationalismus, konnte ein Begriff wie Eau de Cologne aus der Sprache des französischen Erbfeindes im deutschen Wortschatz nicht mehr geduldet werden und wurde nun durch »Kölnisch Wasser« ersetzt. An so einem einfachen wie klaren Beispiel (es gibt noch andere) sieht man, dass die bis dahin bestehende europäische Kulturgemeinschaft tatsächlich im Ersten Weltkrieg, jener Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, untergegangen ist, zumindest vorübergehend.
Der Zweite Weltkrieg brachte mit der Zerstörung Kölns auch die völlige Zerstörung der Produktionsstätte gegenüber dem Gülichplatz (wie der frühere Jülichs-Platz inzwischen genannt wurde), und auch das Stammhaus in der Obenmarspforten war eine Ruine, die erst wiederaufgebaut werden musste.
Die rote Tulpe im Etikett war erst 1924 im Anklang an das Siegelwachs der Rosolienflaschen als Markenzeichen eingeführt worden. Die einstmals sehr teure Tulpe wurde zum optischen Symbol für die blumige Duftschönheit von Farinas Eau de Cologne.
Gegenwärtiger Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter ist Johann Maria Farina (*1958). Die Eau de Cologne von Farina ist das einzige in diesem Buch erwähnte Produkt, das – seit Neuestem – die Bezeichnung »immaterielles Weltkulturerbe« tragen darf. Hervorgehoben und geehrt werden dadurch »Kunst und Wissen um die Komposition von Düften«.
Auszug aus: Wolfgang Seidel, Die ältesten Familienunternehmen Deutschlands. FBV, 336 Seiten, 24,99 €.
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