Demokratische Streitkultur – das war einmal. Der derzeit die Medien und Politik bestimmende Klima-Alarmismus beginnt nüchterne Bürger zunehmend zu nerven. Bei ihnen wachsen Skepsis, sogar Abscheu. Die Diskussionsbereitschaft zwischen unterschiedlichen Positionen sinkt rapide. Wer sich in hysterisierten Szenemilieus etwa als „Klimaschutz“-Kritiker offenbart, riskiert inzwischen ins soziale Abseits oder in die „Populismus“-Ecke gestellt zu werden. Ganze Bevölkerungsschichten, von Ostdeutschen über grillende Arbeiter bis zu traditionellen Provinzbewohnern werden naserümpfend als unbelehrbare Spießbürger verdächtigt. Das verärgert auch Gutmeinende. Wir stehen, ob wir uns mögen oder nicht, innerhalb gegebener Grenzen auf demselben Boden. Ein Boden, der die zentrale Eigenschaft besitzt, als Muttererde für unser aller Ernährung zu sorgen. Dieser Boden ist in Gefahr. Aus vielerlei Gründen. Und es gibt kein einfaches Allheilmittel dagegen. Doch er wird sicher nicht gerettet mit überspannten Ideologemen, mit sentimental getönter Veganerpropaganda, mit Autodämonisierung und linksgrünen Verbotsphantasien. All das reißt nur neue Gräben des Unverständnisses und gegenseitiger Abneigung auf.
Das war einmal anders. Natur- und Umweltschutz wurden von Konservativen vorangebracht. Sogar bei der Geburt der Grünen standen einige stockkonservative Vordenker wie CDU-Dissident Herbert Gruhl oder Anthroposophen wie der kauzige Baldur Springmann Pate. Deren Weltanschauung kreiste um Werte wie Natur- und Landschaftsschutz, Heimat, Bewahrung erprobter bäuerlicher und handwerklicher Traditionen, Achtung vor Familie und Religion. In den 80er Jahren aber setzte eine kulturrevolutionäre Dekonstruktion aller gesellschaftlichen Fundamente ein, von der sich große Teile der Politik, Sozialdemokraten, Freie Demokraten, Grüne und schließlich – 20 Jahre später unter der Ägide Angela Merkels – auch die CDU beherrschen ließ. Das Mittel, die unterschiedlichsten Milieus in den Strudel einer Umwertung aller Werte hineinzuziehen war die permanente Propaganda der Angst. Angst vor Krieg, Kernkraft, Vergiftung, Epidemien, Waldsterben, kurz die Angst vor einem bevorstehenden Weltuntergang. Mancher Historiker fühlte sich an die große Furcht vor der Apokalypse des Jahres 999 oder an die Untergangsprophezeiungen verschiedener protestantischer Sekten erinnert.
Ein offener, streitbarer Diskurs zwischen den Lagern wird da ansetzen müssen, wo es um das Terrain geht, auf dem wir mit unseren Nachbarn leben, das wir für unsere Nachkommen bewahren und nicht zerstören wollen. Es geht um den gemeinsamen Boden, unsere aktuelle Heimat, in der wir, die wir nicht im digitalen Raum, sondern auf der Erde leben, miteinander auskommen müssen.
Jenseits der politischen und medial angeheizten Erregungen gibt es eine Bewegung unter den normalen Leuten, die weder Partei- noch NGO-Aktivisten sind, die sich aus ganz privaten Gründen für diesen Boden, für das Gedeihen von heimischer Flora und Fauna interessieren. Es gibt beispielsweise in Deutschland fast 1 Million Kleingärten, an deren Pflege geschätzte 4,5 Millionen Menschen beteiligt sind. Bücher und Filme über Bäume, Gartenbau und Tierwohl stoßen auf außerordentliches Interesse. Auch auf dem Feld des Biolandbaus und der Gartenkultur wimmelt es an kreativen Köpfen, Erfindern, Bastlern und experimentierfreudigen Zeitgenossen, die herumprobieren mit Permakultur, Carbon Farming, Urban Gardening, Terra preta und anderen neuen oder wiederentdeckten traditionellen Methoden. Mit Begeisterung wird da an einer menschenfreundlicheren Umwelt und gesunder Nahrungsmittelproduktion gearbeitet.
Der HR-Journalist Florian Schwinn hat ein glänzend geschriebenes Buch vorgelegt, über den Zustand des Bodens, auf dem wir alle stehen. Genaugenommen stehen wir – praktisch und im übertragenen Sinn – auf jener oberen Erdschicht, von der wir den größten Teil unserer Nahrung beziehen.
Natürlich ist der Autor dem aktuellen Zeitgeist verpflichtet und so gibt es einige Pflichtpassagen über die Klimakatastrophe. Wer sich darüber ärgert, sollte weiterblättern, es lohnt sich. Schwinn führt seine Leser auf lehrreich-amüsante Weise in eine den meisten unbekannte Welt, in das fruchtbare Erdreich, in dem in einem einzigen Kubikmeter mehr Lebewesen heimisch sind als es Menschen auf der Welt gibt. Seine Warnungen vor dem Megatrend des Abbaus der lebenswichtigen Humusschicht sind nicht neu. Nach Vorläufern in der Zwanzigern wie Raoul Heinrich Francés Monographie „Das Leben im Ackerboden“ wiesen schon in den 60er und 70er Jahren Wissenschaftler wie Otto Graff, Hans Peter Rusch, die Schweizer Hans und Maria Müller, der DDR-Zoologe Wolfram Dunger und zahlreiche angloamerikanische Agronomen und Publizisten auf die Gefahren der Erosion fruchtbaren Bodens hin. Eine stetig wachsende Erdbevölkerung und langfristig sinkende Bodenfruchtbarkeit durch rasanten Humusschwund passen offensichtlich nicht zusammen.
Böden sind wie große Organismen – schonend behandelt und gesund erhalten werden sie durch lange Fruchtfolgen und tief wurzelnde Zwischenpflanzung, Mistkompost und Mulchnahrung für die Regenwürmer. … Apropos Regenwürmer: Das Internet hat einen wahren Boom von Regenwurmzüchtern befördert, die online Humuspakete mit Hunderten Würmern anbieten und, wie die Kundenreaktionen zeigen, schnell und frisch das immer beliebtere Gewürm versenden. Schon Darwin staunte über die Intelligenz der Würmer, die obgleich blind und taub „im Stande sind zu beurteilen, auf welche Weise sie Gegenstände in ihre Röhren hineinziehen können.“ Und einer der Paten der Humusforschung, der österreichisch-ungarische Botaniker Raoul Heinrich Francé formulierte 1922 seine Bewunderung mit den treffenden Worten: „Jeder Landmann muss es wissen, dass der Boden in seiner geliebten Heimatscholle nicht tot und leblos ist, sondern durchzogen von gar nicht aussprechbaren Mengen kleinster Würmchen und Tierchen, die darin Gänge wühlen, Erde fressen, verdauen und auf das allerfeinste zerkleinert und gekrümelt von sich geben.“
Und ein in der aktuellen Diskussion um die CO2-Reduktion sensationeller Aspekt: „Das Bodenleben baut CO2 aus der Luft in die Erde ein, indem er abgestorbene Äste und Blätter aufnimmt und Humus daraus bildet.“ Bereits ein Humusaufbau von nur vier Promille im Jahr würde genügen, um den weltweiten jährlichen CO2-Ausstoß im Boden zu binden.
Was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es aber und jeder könnte dazu beitragen und sofort damit anfangen!
Schwinns Formulierungsgabe kommt auch in seinen packenden Besuchsreportagen bei den realen Zukunftsträgern zur Geltung: bei Bauern, die ihre Landwirtschaft auf Humuspflege und Förderung der Kleinlebewesen im Erdreich konzentrieren. Es sind Individualisten, die mit neugierigem Blick die Natur beobachten, daraus ihre Schlüsse ziehen und danach handeln. Das schließt die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern nicht aus. Im Gegenteil, die Höfe der Agrarrebellen werden gerne von den Versuchsanstalten in die Forschung einbezogen.
Trotz seiner eher linken Haltung schildert uns der Autor als die positivsten Gestalten der notwendigen Wende zur Bodenrettung Menschen, die Eigentum, Familie, religiöse Tradition und die freie Privatinitiative wertschätzen (merke: konservative Werte!), die sich nicht auf Brüssel oder Berlin verlassen. Mit der zentralistischen Agrarpolitik, die die Landwirte auf Quantität in jeder Beziehung getrimmt und dadurch ganze Regionen in Depression und Armut gestürzt hat (vgl. die riesige Suizidrate unter französischen Bauern, die erst jüngst Michel Houellebecq in seinem Roman „Serotonin“ thematisiert hat) geht Schwinn auch nachdrücklich und versiert ins Gericht. Er unterschlägt freilich, dass einige der zentralen Ursachen der wachsenden Agrarmisere in der Politik der grünen Landwirtschaftsministerin Renate Künast liegen, die den Landwirten verhieß, sie könnten „die Ölscheichs von morgen werden“ (Kölnische Rundschau, 30.08.2004), in dem sie nur reichlich Raps und Mais als „nachwachsende Rohstoffe“ anbauen und sie zu Ethanol-Kraftstoff verspritten, das dann auf dem Verordnungsweg dem Normalbenzin beigemischt werden musste. Für die Vermaisung und Verrapsung der Landschaft und Agrarwirtschaft findet Schwinn jedoch die richtigen Worte: „Eine gestaltete kleinräumige Kulturlandschaft ist zumindest für das Gemüt von Mitteleuropäern zuträglicher als die Agrarsteppen des Ostens oder die Maiswüsten des Nordwestens.“
Vor Jahrzehnten empfand dies ein berühmter Zeitgenosse ganz ähnlich: als Konrad Adenauer Oberbürgermeister von Köln war, musste er öfter nach Berlin zu Verwaltungsangelegenheiten reisen. Wenn der Zug sich dem Osten Deutschlands näherte, soll er stets die Vorhänge im Abteil zugezogen haben, da er „den Anblick dieser asiatischen Steppe“ nicht ertragen könne. Heute werden solche Steppen überdies durch Windkraftanlagen und gigantische, tonnenschwere Landmaschinen belastet, die allein durch ihr Gewicht vielfältiges Leben im Boden zu Tode drücken.
Es ist in der Tat an der Zeit, die Aufgabe „Rettet den Boden“ anzugehen.
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