Tichys Einblick
Diktatur beginnt mit Gewöhnung

Demokratie benötigt die frische Luft der Freiheit

Angela Merkel hat durch asymmetrische Demobilisierung die Union wehrlos gegen die Propaganda des politischen Gegners gemacht und dadurch herbeigeführt, was es eigentlich zu bekämpfen gilt: eine grüne Gemeinwohldemokratie. Ihre Pandemiepolitik führt zur „Gewöhnung an die Unfreiheit“.

Dreierlei muss vorausgesetzt werden: Erstens benötigt Politik Macht, um politische Ziele durchzusetzen. Zweitens gehört zum Wesen der Macht der Drang nach Verstetigung und Ausweitung. Drittens besteht machtpolitisch gesehen die Rechtfertigung der Demokratie im geregelten Aufbrechen von Machtkartellen.

Das Fehlen der Begrenzung von Amtszeiten ist in der politischen Ordnung der Bundesrepublik ein Instrument zur Ausweitung der Macht. Während jeder Amtszeit kann der Bundeskanzler schrittweise immer mehr Positionen in der Partei, im Parlament, in Verbänden, Gerichten und Ämtern mit Vertrauensleuten besetzen. Die Disziplinierung der Abgeordneten durch die Parteiapparate über die Zweitstimme führt ohnehin zur Verkrustung und zur Bildung vom Gefolgschaften, von Machtkartellen.

In einer sehr langen Amtszeit wird ein Bundeskanzler allein durch die Dauer und durch das Wesen der Macht zu einem plebiszitären Monarchen, zu einem Ersatzkönig oder zumindest zu einem Präsidenten ohne Beschränkung der präsidialen Macht. Nicht ohne Grund gibt es in den USA eine Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten. Aus Angst vor den Wirren der Diskontinuität, die in Deutschland ohnehin nicht geschätzt wird, setzt man hierzulande auf Kontinuität, mit der Folge, lieber eine schlechte Regierung als keine, lieber eine große Koalition als eine Minderheitsregierung zu haben.

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Der italienische Schriftsteller Curzio Malaparte verfasste 1931 ein höchst merkwürdiges Büchlein unter dem Titel „Tecnica del colpo di Stato“, zu Deutsch „Technik des Staatsstreichs“. In dem Essay untersucht Malaparte die politischen Umstürze von 1917 bis 1931, um eine Technik des Staatsstreichs zu ermitteln. Zu seinen Protagonisten gehören Trotzki, Lenin, Stalin, Wolfgang Kapp und Gustav Bauer, Miguel Primo de Rivera und Józef Piłsudski und schließlich Mussolini. Besonderes Interesse verdient, wie Malaparte im Schlusskapitel Hitler einen „Diktator aus Versehen“ nennt. Während andere Diktatoren ihre Macht einem erfolgreichen Staatsstreich verdankten, setzte Hitler auf die legale Eroberung der Macht, um sozusagen die Demokratie auf demokratischem Weg abzuschaffen.

Die Deutschen besitzen kein sehr ausgeprägtes Gefühl für die Freiheit – und diejenigen, die sich für gebildet und progressiv halten, am allerwenigsten. In Deutschland nimmt man gern Haltung an, schaltet man sich am liebsten selbst gleich – und das mit Stolz auf das immense eigene moralische Vermögen. Ordnung und ein gutes moralisches Gewissen gelten in Deutschland allemal mehr als die Freiheit, die man sich als eine Art Luxusgegenstand vorstellt.

Nichts belegt diese Tatsache übrigens hinreichender als der Begriff der Freiheitseinschränkung. Freiheiten lassen sich nicht einschränken; entweder sie existieren oder sie existieren nicht. In der Präambel des Grundgesetzes heißt es gestochen scharf, dass nicht die Regierung, sondern dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ hat. Nicht die Regierung, sondern das „Deutsche Volk“ ist der Souverän, der deutsche Bürger vermöge seiner Rechte, vermöge seiner Freiheit. Eindeutig heißt es, dass „Alle Deutschen … das Recht“ haben, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.

Die Rechte auf die Unantastbarkeit der Würde, auf „die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, auf „Leben und körperliche Unversehrtheit“ und auf „die Freiheit der Person“ sind „unverletzlich“. Das Recht auf Leben steht verfassungsrechtlich auf der gleichen Stufe wie das Recht auf die Freiheit der Person. Die Freiheitsrechte befinden sich nicht, wie das Regierungshandeln unterstellt, in einer Hierarchie, sondern stehen auf einer Ebene. Wer das „Recht auf Freiheit der Person“ durch das „Recht auf Leben“ auszuhebeln gedenkt, hebelt das Grundgesetz aus.

Hat man jedoch erst einmal diese Gleichwertigkeit der Rechte mit dem etwas demagogischen Argument aufgelöst, dass wer tot ist, nicht mehr frei sein kann, ist mit dem Argument der Lebensgefahr alles möglich. Mit diesem Schlagwort schafft man eine Art Faustrecht, mit dem man alles durchzusetzen vermag. Man darf dem Redakteur der Frankfurter Allgemeinen, Mark Siemons, seine demokratische Überzeugung durchaus glauben, dennoch fragt er, ob die „komplexen demokratischen Verfahren überhaupt in der Lage“ sind, ernsthafte Situationen zu meistern, beispielsweise „vor außergewöhnlichen Bedrohungen wie der einer weltweiten Seuche zu schützen“. Dabei versagen in der Corona-Krise nicht die „komplexen demokratischen Verfahren“, sondern es versagt die Regierung Merkel. Die Pandemiepolitik ist eine endlose Folge von Pleiten und Pannen.

Machtverfall
Robin Alexander über Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik
Hätte die Regierung sich beispielsweise nicht der Aufgabe der Impfstoffbeschaffung entledigt und auf die EU-Administration abgeschoben, hätten all diejenigen, die sich impfen lassen wollen, längt geimpft sein können. Freiheit an Impfung zu binden ist grundgesetzwidrig, erst recht, wenn die Regierung aus eigenem Verschulden nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stellt.

Der Jurist Thomas Schomerus antizipierte das Vorgehen der Regierung bereits im vergangenen Jahr auf dem „Verfassungsblog“, als er forderte: „Der Kampf gegen das Virus kann eine Vorbildwirkung für die Bekämpfung der globalen Erwärmung haben.“ Die immer gleichen Freiheitsaufhebungen werden einfach mit neuen, aktuellen Begründungen versehen.

„Im Angesicht der tödlichen Gefahr … nimmt die Bevölkerung in einem beispiellosen Akt der Solidarität massivste Grundrechtseinschränkungen in Kauf … Diese werden ohne großes Murren hingenommen.“ Folgerichtig fragt er: „Warum geht in der Corona-Krise, was in der Klimakrise versagt bleibt?“ Warum vertraut der Bürger nicht vorbehaltlos den „Interpretationseliten“ (Torben Lütjen) oder „unseren Wahrheitssystemen“ (Michael Kretschmer) und nimmt für die „Bekämpfung der globalen Erwärmung“ nicht „massivste Grundrechtseinschränkungen“ hin?

Warum also nicht übergangslos vom Corona-Lockdown zum Klima-Lockdown? Wozu benötigt das Volk überhaupt Grundrechte? Wenn die Regierung alles besser weiß, wozu sich der Mühe populismusanfälliger Wahlen unterziehen? Da zu den Grundlagen der Freiheit die freie Verfügung über das Eigentum gehört, wird das Eigentum in kommunistischer Weise abgeschafft: „Dank der Information über verfügbare geteilte Waren und Ressourcen macht es weniger Sinn, etwas zu besitzen: Vielleicht wird Privateigentum in der Tat ein Luxus. Daten könnten Geld als Währung ergänzen oder ersetzen.“

Bezahlt man künftig mit der Information über seine Blutgruppe oder seine Krankheiten? Zur Abschaffung der Marktwirtschaft passt die Abschaffung der Demokratie, so wie der Bürger auf das Sozialstaatsobjekt unter Aberkennung seiner Freiheit reduziert wird. Der belgische Historiker David Van Reybrouck fragt bereits, ob „Wahlen nicht vielleicht doch eine altmodische Methode sind“, weil die Bürger nicht „ihre beste Seite an den Tag“ legen, „wenn sie … hinter dem geschlossenen Vorhang der Wahlkabine wichtige Entscheidungen … treffen.“

Wer die Wahlen in der DDR noch erlebt hat und weiß, dass das Aufsuchen der Wahlkabine bereits als staatsfeindliche Provokation angesehen wurde, dem ist bewusst, dass van Reybroucks Vorstellungen eine diktatorische Pointe besitzen. Statt die eigene Politik rational und argumentativ zu begründen, wird mit dem Weltuntergang gedroht, und an die Stelle des Arguments treten Unterstellung und Verunglimpfung. Talleyrand schien die heutige Praxis, den politischen oder intellektuellen Gegner mundtot zu machen, vorausgeahnt haben, als er schrieb: „Gebt mir zwei Worte eines Menschen, und ich bringe ihn an den Galgen.“

Habecks Parteitagsrede:
Die Ökodiktatur als höchstzumutbare Form von Freiheit
Ob Klima-, Corona- oder Finanzkrise, bitte keine Details, Krise ist schließlich immer – und schuld daran ist immer der Kapitalismus. Der Anwendung diktatorischer Mittel lassen sogar WEF-Gründer Klaus Schwab und sein Co-Autor Thierry Malleret in ihrem Manifest „Covid-19: The Great Reset“ freien Lauf: „Einige Staats- und Regierungschefs und Entscheidungsträger, die bereits an vorderster Front im Kampf gegen den Klimawandel standen, möchten den Schock, den die Pandemie verursacht hat, möglicherweise nutzen, um langfristige und umfassendere Umweltveränderungen durchzuführen.“

Man will nicht um demokratische Mehrheiten werben, nicht überzeugen, sondern Panik verbreiten, nicht um die beste Lösung streiten, sondern den Schock der Pandemie nutzen, um die eigene politische Agenda am Souverän vorbei durchzusetzen. So schreiben Schwab und Malleret über die Aktivisten in Regierungsämtern: „Sie werden die Pandemie in der Tat ‚gut nutzen‘, indem sie sich die Chance, die die Krise bietet, nicht entgehen lassen.“

Wolfgang Schäuble hat Schwabs Beschreibung gängiger politischer Praxis mit dem Satz approbiert: „Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.“ Genauso sieht das EU-Kommissionspräsidentin

Ursula von der Leyen: „Die Corona-Krise ist eine großartige Beschleunigung für notwendige Veränderungen in der Klimakrise, Digitalisierung, Geopolitik und Weltwirtschaft.“

Welch ein Zynismus. Man schätzt, dass die Hälfte der Geschäfte im Einzelhandel nie wieder öffnen werden. Wirtschaftliche Existenzen wurden in großer Zahl vernichtet, die Inflation ist angesprungen. Die psychischen Folgen bei Kindern und Jugendlichen sind massiv. Man muss schon sehr abgehoben sein, um das allen Ernstes „großartig“ zu nennen. Ist ein beschleunigter Bankrott einer langsamen Prosperität vorzuziehen?

Deutschland hat zur neueren politischen Geschichte das Phänomen der Einführung der Diktatur durch die Demokratie beigetragen. Curzio Malaparte schreibt in besagtem Buch, dass für Hitler die „Eroberung des Staates … nur durch die Eroberung des Reichstages vorstellbar“ sei, weil er wisse, dass „er sich auf diese Weise Sympathien immer größerer Wählermassen sichert und für sein politisches Programm die Zustimmung der großen Mehrheit des Kleinbürgertums gewinnt, die er braucht, um die gefährliche Rolle des Catilina aufzugeben und die ungefährliche eines plebiszitären Diktators zu übernehmen.“

Malaparte vermutete, dass die Erringung politischer Macht in Deutschland nur über die Gewinnung des Justemilieu erfolge. Alles hat ordentlich zu geschehen, auch das Ende der Ordnung. Die Figur des „plebiszitären Diktators“ ist eine interessante politische Figur. Malaparte wagte 1931 einen Blick in die Zukunft, der sich bestätigen sollte: „Wie alle Diktatoren liebt Hitler nur die, die er verachten kann. Sein Ehrgeiz ist, eines Tages das ganze deutsche Volk im Namen der Freiheit, des Ruhms und der Macht Deutschlands zu verderben, demütigen und knechten zu können.“ Bereits hier wird die Technik der Begriffsverkehrung deutlich, die heute etwa Rassismus durch Rassismus bekämpft.

„Who controls the past, controls the future.“
Eine Vision, die immer realer wird: »1984« von George Orwell
George Orwell hat das auf die kommunistische Diktatur angewandt: „Freiheit ist Sklaverei“, „Sklaverei ist Freiheit“ und „Unwissenheit ist Stärke“. Aus der Geschichte weiß man: Je bunter die Fahnen, die im Wind flattern, desto eintöniger und ärmlicher wird das Leben unter ihnen, umso größer die Verheißungen, umso utopischer das Programm, umso weniger Wohlstand wird es für die Allgemeinheit geben. Und je höher die Menschlichkeit gepriesen wird, umso unmenschlicher werden die Verhältnisse.

Als Deutscher sollte man sehr skeptisch werden, wenn die Fanfaren schallen und vom „besten Deutschland, das wir je hatten“ geschwärmt wird. Und doppelt vorsichtig sollte man werden, wenn sich die Akteure, wie es im grünen Wahlprogramm heißt, preisen, dass sie den „langen Atem“ haben für den langen Marsch, „den klaren Kompass und die Durchsetzungsfähigkeit“, „um unser Land – im Herzen Europas, der Welt zugewandt – in eine bessere Zukunft zu führen“.

Hatten wir das nicht schon mal? Sollte sich Katrin Göring-Eckardt nicht daran erinnern? Klang es in Louis Fürnbergs Arbeiterlied nicht so:

„Du hast ja ein Ziel vor den Augen / Damit du in der Welt dich nicht irrst / Damit du weißt was du machen sollst / Damit du einmal besser leben wirst / Denn die Welt braucht dich, genau wie du sie / Die Welt kann ohne dich nicht sein / Das Leben ist eine schöne Melodie / Kamerad, Kamerad stimm ein / Allem die Welt und jedem die Sonne / Fröhliche Herzen, strahlender Blick / Fassen die Hände Hammer und Spaten /
Wir sind Soldaten, Kämpfer fürs Glück.“

Es geht den Grünen, den Roten und Dunkelroten eben nicht darum, die Gesellschaft zu gestalten, sondern darum, eine neue Gesellschaft zu schaffen. Sollten wir Deutsche bei all unserer historischen Erfahrung nicht vor epochalen Aufgaben und vor jedwedem Moralchauvinismus zurückschrecken? Sollten wir vor allem nicht das Gute, das wir haben, nicht aus Überdruss und existenzieller Langeweile plötzlich geringschätzen, sondern stattdessen es ehren und es nach Art von Voltaires Candide mit Augenmaß und Vernunft, mit politischem Realismus tagtäglich und ohne Pathos, aber mit der honorigen Freude des Tätigen beackern?

Der Herzog von Talleyrand-Périgord soll den Satz geäußert haben: „Niemand kennt die Süße des Lebens, der nicht vor 1789 gelebt hat.“ Wollen wir hoffen, dass wir nicht eines allzu fernen Tages sein Bonmot so aktualisieren müssten: „Wer die Zeit vor 2015 in Deutschland nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war.“

Evidenzbasiert?
Wie die Corona-Politik unsere offene Gesellschaft bedroht
Angela Merkel wird nach ihrer Kanzlerschaft ein tief gespaltenes, mit sich selbst verfeindetes Land hinterlassen. Was wir sehen, ist trostlos. Junge werden gegen Ältere ausgespielt, Frauen gegen Männer, Deutsche „mit“ gegen Deutsche „ohne Migrationshintergrund“, „Querdenker“ gegen „Konformdenker“, Linke gegen Rechte, Impfwillige gegen Impfunwillige, Klimaschutzgläubige gegen Klimaschutzskeptiker. Bürger werden nach rein ideologischen Kriterien verortet und auch markiert. Im Spiegel ihrer eigenen Alternativlosigkeit versieht Angela Merkel selbst die banalste Frage mit der Konsequenz des Weltuntergangs.

Deutschland befindet sich mitten in der großen Transformation, von der Angela Merkel in Davos schwärmte und die darauf hinausläuft, „im Grunde die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30  Jahren zu verlassen – die ersten Schritte sind wir schon gegangen  – und zu völlig neuen Wertschöpfungsformen zu kommen …“ Unser Leben als eine schlechte Angewohnheit, die wir abzulegen haben, weil die Weltökonomin und Weltgesellschaftswissenschaftlerin sich das so wünscht – oder ihre „Berater“?

Die Art des Lebens, des politischen Lebens, die wir „uns im Industriezeitalter angewöhnt haben“, ist aber die Demokratie. Sollen wir uns die Demokratie abgewöhnen? Ist sie nur eine Angewohnheit? Und gar noch eine schlechte?

Um die mentalen Seiten der Transformation zu begreifen, hilft ein frühes Werk von Sebastian Haffner, die posthum veröffentliche „Geschichte eines Deutschen“, in dem er im englischen Exil auf eine wichtige Erkenntnis stieß: „Meines Wissens ist das Brüning-Regime die erste Studie und, sozusagen, das Modell gewesen zu einer Regierungsart, die seither in vielen Ländern Europas Nachahmung gefunden hat: der Semi-Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur. Wer sich der Mühe unterziehen würde, die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an die Unfreiheit; die ideelle Wehrlosigkeit gegen die feindliche Propaganda; die Abgabe der Initiative an den Gegner; und schließlich das Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzt.“

Diktatur beginnt mit Gewöhnung
Man darf Angela Merkel durchaus attestieren, dass sie durch die asymmetrische Demobilisierung die Union wehrlos gegen die Propaganda des politischen Gegners gemacht, durchaus die Positionen der Christdemokratie ausgehöhlt, die eigenen Anhänger entmutigt, die Initiative dem politischen Gegner, den Grünen, deren Positionen man übernimmt, gelassen hat und dadurch selbst zur Vorschule dessen wurde, was es eigentlich zu bekämpfen gilt, nämlich eine grüne Gemeinwohldemokratie. Ihre Pandemiepolitik führt zur „Gewöhnung an die Unfreiheit“.

Mit Blick auf Merkels verfehlte Pandemiepolitik klingt Haffners Einschätzung Brünings überraschend aktuell: „Brüning selbst hatte dem Lande nichts zu bieten als Armut, Trübsinn, Freiheitsbeschränkung und die Versicherung, dass etwas Besseres nicht zu haben ist.“ Trifft das nicht auch auf Merkels Corona-Politik zu? Freudlos, ideenlos, trübsinnig, eine Regierung, deren Hauptmittel die „Freiheitsbeschränkung“ ist und die „Versicherung, dass etwas Besseres nicht zu haben ist“, was in Merkels Sprache sich auf das Wort „alternativlos“ verkürzt?

„Was es nicht mehr gab, war Lebensfreude, Liebenswürdigkeit, Harmlosigkeit, Wohlwollen, Verständnis, Gutwilligkeit, Großzügigkeit und Humor. Es gab auch kaum mehr gute Bücher, und sicher keine Leute mehr, die sich dafür interessierten. Die Luft in Deutschland war rapide stickig geworden.“ Stickig ist die Luft in Deutschland auch heute. Stickig und hysterisch.

Diktatur beginnt mit Gewöhnung. Mit Gewöhnung an den Verlust von Freude, an den Verlust von Freiheit, an den Verlust von Großzügigkeit und Humor. Sollte man dereinst nach einem Beispiel für den Humor der Merkelzeit suchen, fände man ihn in ZDF-Mann Jan Böhmermann. Der ist mehr Aktivist als Kabarettist, es fehlt ihm jede Nonchalance, jede Großmut. Er kann nur klein, grau und ungemein hämisch. Es ist nicht ein Humor, der den Menschen befreit, sondern ihn erniedrigt, kein Lachen, sondern nur verdruckstes Kichern und Zoten.

Als Historiker kann man optimistisch sein, dass auch diese Phase überwunden wird – nur zu welchem Preis? Es kommt einem unwillkürlich Hölderlin in den Sinn:

 „Doch uns ist gegeben, / Auf keiner Stätte zu ruhn, /
Es schwinden, es fallen / Die leidenden Menschen /
Blindlings von einer  / Stunde zur andern,  / Wie Wasser von Klippe  /
Zu Klippe geworfen, / Jahr lang ins Ungewisse hinab.“

Hoffen wir, dass die Demokratie sich kräftigt, sie benötigt die frische Luft der Freiheit. Reißen wir die Fenster auf.

Mehr vom Autor in seiner jüngsten Publikation:
Klaus-Rüdiger Mai, Die Zukunft gestalten wir. Wie wir den lähmenden Zeitgeist endlich überwinden. LMV, 240 Seiten, 20,00 €.


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