Stellen wir uns vor, es gäbe ein Theaterstück mit dem Titel »Die Große Transformation«, gegeben im Blindenschiff, auch genannt Staatsschauspiel. Am Rand sitzt der Theaterkritiker. Er hält, gespickt mit Anmerkungen, Zitaten, Querverweisen, Bekenntnissen seiner Unsicherheit das Buch seiner Kritik in der Hand – eine tiefgreifende Stückanalyse, fundierte Einschätzungen der Akteure und der Musik, wohlüberlegte Vorschläge zur Verbesserung, gerichtet an die Deutsche Demokratische Regie, die als NGO getarnte Dramaturgie, vor allem aber an das Publikum, das mit 2G (plus oder minus) die Reihen füllen darf.
Wie alle Stücke beginnt auch »Die Große Transformation« mit dem Eintritt. Der war nicht billig. Entsprechend mißtrauisch blickt das Publikum auf einige Vertreter des Ökologierats, die der Kritiker Ökologiesekretäre nennt. Die Ökologiesekretäre gehen durch die Reihen, um auf die an der Kasse (Finanzamt genannt, der Eintrittspreis hieß früher Steuer, jetzt Läuterungsbeitrag) weitere Abgaben zu erheben: für die Pflegekräfte aus Afghanistan, die in der Jüngsten Welle der Kronenzeit (Corona) verhindern, daß unser Gesundheitswesen zusammenbricht; das Publikum atmet Schadgase aus, treibt wahrscheinlich die Inzidenzzahlen hoch; die Bearbeitung der QR-Codes ist bürokratie- und damit kostenintensiv; für die Intendanz (öffentlich-rechtlich) muß ein Pflichtteil entrichtet werden, die Intendanz steht schon auf der Kanzel im 1. Rang und wird vor dem Stück den Prolog zu den Gläubigen sprechen.
Es geht um Klimawandel und Kohleausstieg, den Kampf gegen rechts. Mittendrin steht ein Ungläubiger auf, um sich über die Darstellung der Kernkraft und die verzerrt wiedergegebene Ökobilanz von Elektroautos zu beschweren. Der Mann ist weiß und Ingenieur, außerdem, so melden die Faktenchecker (unregelmäßig im Publikum verteilt), schreibt er für Tichys Einblick, ein staatsbekanntes Verschwörerportal. Er vertritt also eine Einzelmeinung, #wirsindmehr steht nach seiner Entfernung (Hausrecht) nichts mehr im Wege. Da das Theater fortschrittlich ist und auf Multimediaperformances wert legt, erklingt, bevor sich der Vorhang öffnet, das Lied »Wir sind wachsam«, gesungen vom Kampfgruppenchor des Staatlichen Rundfunkkomitees.
Die innovativste Lösung hat die Regie für das Problem mit Elter 1 und 2 gefunden: »Mutti« sitzt in der Regierung, »Vati« am Bundesverfassungsgericht, das erleichtert erstens die Klimagesetzgebung und zweitens die Bundesnotbremse. Das Amt der Wünsche, geleitet von einem Veterinär, gibt eine Prognose über Monster, die unter Betten liegen, diese wird nach dem (vermuteten) Wunsch der Regierung (An der Goldgrube) gestellt, aufgrund dieser Prognose wird Politik gemacht, das Gericht (»Vati«) sagt, das sei schon in Ordnung so, unter dem Bett liege schließlich ein Monster, das gehe aus den Bulletins des Amts der Wünsche eindeutig hervor.
Hat es nachgesehen, das Gericht, schreibt der Kritiker, ob unter dem Bett tatsächlich ein Monster liegt? Hat es unabhängige Gutachter bestellt? Betten- und Monsterkundler? Der Kritiker heißt Klaus-Rüdiger Mai, sein Buch »Die Zukunft gestalten wir!«
Paradigmenwechsel nennt der Kritiker, was sich vor unser aller Augen vollzieht. »Paradigmen stellen ein System von Normen und Übereinkünften dar, die Gesellschaft erst ermöglichen.« Die alte Bundesrepublik in ihrem Schlaf, in der Windstille der Weltgeschichte, gibt es nicht mehr. Berliner Republik ist ein Versuch, das Neue zu benennen. Mehrere Daten kann man zur Feststellung dieses Neuen in Anspruch nehmen: 2011 mit Fukushima, das die Energiewende in Deutschland auslöste, 2015 mit der Flüchtlingskrise, 2019 mit Corona.
Das Buch hat zwei Teile, eine Vorbemerkung mit dem Titel »Kampf um die Freiheit« und eine Nachbemerkung, sie heißt »Ein Traum von Deutschland«. In der Vorbemerkung wird untersucht, woran man eine funktionierende Demokratie erkennt – zum einen daran, daß die Macht in ihr stets rechtfertigungsbedürftig, weil Freiheitsbegrenzung ist, zum anderen daß es ihr gelingt, sich festsetzende Machtstrukturen immer wieder zu durchbrechen. Freiheit ist der Kernbegriff des klassischen Liberalismus, dessen »Grundüberzeugung in der nicht verhandelbaren und nicht einschränkbaren Freiheit des Bürgers besteht«. Dazu gehört das Recht auf Eigentum, verbunden mit Verantwortung – »Freiheit ohne Verantwortung mündet in Verwahrlosung«.
Der 2. Akt heißt jetzt Zweite Impfung oder Wissenslücken aktiv schließen. Auftritt Frau Holle, Pechmarie sinniert über ökonomische Effizienzgewinne beim Fall durch den Brunnen in die Höhe. Die Qualitätsjournalisten am Holle-Institut beschäftigen sich mit der Regulation der Sonne, also mit dem ganz großen Kuchen, für Apfelernte und kleine Brötchen in Öfen ohne Energieausweis hat man keine Zeit. Schon Goldmarie übersah, daß etwas mit der Sonne geschehen mußte, damit es schneite. Die Oberste Beleuchterin dimmt das Licht über den Verhältnissen.
Pause. Das Publikum reiht sich vor dem Impfbüfett ein. Satiriker Zeller, aus dem Homeoffice zugeschaltet, hat Boosterhasen im Angebot.
Der Kritiker fragt: Wie ist das alles gekommen? Hatten wir das nicht schon mal? Wohin geht die Reise? Was können wir tun? Auf der Bühne wird eine Spritze angebetet, getragen von den sieben Säulen der Macht.
Der Kritiker sucht unterdessen in den Katakomben nach dem Hauptschalter. Der dritte Akt ist noch nicht geschrieben. Das Publikum bestimmt das Stück. Lest, denkt, seid kritisch, zweifelt, habt Mut, nehmt wahr, was geschieht, vernetzt euch, kämpft. Es gibt eine Wirklichkeit außerhalb des Theaters. »Noch haben wir die Wahl.«
Klaus-Rüdiger Mai, Die Zukunft gestalten wir. Wie wir den lähmenden Zeitgeist endlich überwinden. LMV, 232 Seiten, 20,- €
Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>