Mein großer Spaß bei den ernsten Erkenntnissen dieses Buches ist, dass mir beim Lesen alle paar Seiten leibhaftige Zeitgenossen jeden Geschlechts vor Augen treten.
Are you strong enough to be weak? Lautet eine Überschrift am Ende des Buches der in Frankfurt coachenden Dasa Szekely mit ungarisch-italienischen Wurzeln. Der ersten wegen spricht sich ihr Name Dascha Seekai. Versuchen Sie es nicht. Sie kriegen das mit dem richtigen A nicht hin, mit dem S auch nicht. Kezét csókolom. Küss‘ die Hand.
Also ist „der Mann“ von heute stark genug, schwach zu sein? Nein. „Den“ Mann gibt es zwar nicht wie „die“ Frau. Aber bei den Typen, die die Autorin flott beschreibt, fallen mir immer prompt passende lebende Exemplare ein: Der Old-School-Man, Der Patriarch, Der moderne Despot, Der ewige Junge (Variante: Das Alphapuppy), Der zahnlose Tiger. Der letzte Typ ist besonders häufig: Babyboomer in den Wechseljahren: Der alte Wolf. Schauen Sie sich nur ein wenig um. Das gilt auch für: Der moderne Despot und Der ewige Junge.
Wie Frau Szekely die Abschaffung des Mannes vom Beginn der Industrialisierung bis heute entwickelt, besticht. Nach der langen Zeit von Männern und Frauen „fein säuberlich getrennt auf zwei verschiedenen Planeten“, der Mann repräsentierte die Außenwelt, die Frau die Innenwelt:
„Vor etwa einem halben Jahrhundert begannen die beiden unterchiedlichen Planeten zu einem zu verschmelzen. Der Mann musste damit leben, dass sich auf seinem Planeten immer mehr Frauen niederließen. Daraus entstanden naturgemäß Konfilkte, die bis heute bei weitem noch nicht gelöst sind … Noch ist der Männerplanet überwiegend mit Männern bevölkert, vor allem im oberen Management … wenn auch mit einem klaren Trend: Die Frauen kommen.“
Der springende Punkt:
„Für die friedliche Erschließung des Männerplaneten zahlen die Frauen einen hohen Preis. Während die Männer die meiste Zeit auf ihrem Planeten verbringen, pendeln Frauen zwischen beiden Planeten hin und her. Diese Pendelei und der Versuch, beiden Planeten gerecht zu werden, bringen viele Frauen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.“
Der „Krieg der Geschlechter“, sagt unsere Autorin, „begann mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Frauen zwangsläufig Männerarbeit verrichten mussten, weil die Männer vermisst, gefallen oder in Gefangenschaft waren … Die Hosen haben Frauen seitdem nicht mehr ausgezogen.“
„Wie die Geschichte den Mann klein gekriegt hat“
Es begann mit der Industrialisierung, in der der Mann selbst abgeschafft habe, „was man gemeinhin unter Männlichkeit verstand“. Noch nicht bei den Höhergestellten, die mehr verdienten und als Chefs weiterregierten, aber bei der Masse „begann die Identität des Mannes zu bröckeln.“ Und:
„Im Ersten Weltkrieg fand dann die allergrößte Männerselbstabschaffung statt, die sich bis in die heutige Zeit auswirkt.Insgesamt kamen 20 (!) Millionen Soldaten körperlich und seelisch verwundet aus diesem Krieg nach Hause. Sie waren da und doch nicht da … Nur 21 Jahre später machte der Zweite Weltkrieg mehr als 1,7 Millionen Frauen zu Witwen sowie fast 2,5 Millionen Kinder zu Halb- oder Vollwaisen.“
Unzählige Frauen besorgten weiter ihre Haufrauenarbeiten der Innenwelt und übernahmen wie selbstverständlich die Rolle des Familienoberhauptes der Außenwelt. Sie prägten meine Umwelt, bis ich zehn Jahre alt war: Lauter starke Frauen, die gar nicht wussten, wie stark sie waren, und unter ihren Männern litten, wo sie zurückkamen. In meiner Community war das die Hälfte. Für den Rest ihres Lebens holten sich die wieder mit Mann dann Trost und Aufmunterung bei den Freundinnen ohne. Nicht selten gingen die allein Gegliebenen dazwischen, wenn die Rückkehrer ihre alten Vorstellungen durch eine Mischung aus Gewalt und Erpressung durchsetzen wollten.
„Aktuell können wir übgrigens die dritte mögliche Selbstabschaffung des Mannes beoachten“, sagt Szekely, mit „der von ihm selbst eingefädelten Dienstleistungs- oder Serviceindustrie“:
„Denn die Arbeitswelt erfordert derzeit eher die Qualitäten, die der Mann seit Jahrhunderten den Frauen zugeschrieben hat: Beziehungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen. Setzen am Ende die Männer selbst die Frauen auf den Thron, den sie so lange innehatten?“
Na ja, da greife ich der Autorin im Buchverlauf vor, bei dem, was sie an Erfahrungen mit ihren Coaching-Kunden und sonstigen Beobachtungen beschreibt, ist ja ein Mann entstanden und entsteht weiter, der weiblicher ist als die Frau. Ob dieser Mann dann im Arbeitsleben doch wieder mit der Frau konkurrieren kann, bleibt am Ende eine eher offene Frage – vielleicht für ein neues Buch?
Die abwesenden Väter
„Die zwischen 1933 und 1945 geborenen Jungen … hatten nicht nur keine Kindheit, sondern auch keinen Vater mehr – oder einen, der seine Vaterrolle nicht mehr oder nur sehr unzulänglich ausüben konnte. Diese Jungen wurden in den 60er und 70er Jahren dann selbst Väter und traten ihren Job als Vater mit einem schweren Erbe an, nämlich mit von der Gesellschaft zu Helden idealisierten Vätern und idealisierten und zugleich gefürchteten (Über)Müttern.“
Ja, ich und meine Jugenfreunde liebten die Tage, wo Mutter und Vater beide zugleich auf Schicht waren. Das waren unsere Freiräume, in denen wir uns selbst erzogen.
Das Kapitel: Wie Mütter aus erwachsenen Männern Babys machen sagt sehr viel über Leute, wie wir sie allen kennen. Von da bis zum immer beliebteren Hotel Mama ist ein gerader Weg: „Der ‚erwachsene‘ Mann torkelt also zwischen Größenwahn und Selbstüberschätzung durchs Leben …“.
„Strategien für eine schlechtere Welt“
„Eine bessere Welt wäre schön und machbar“, konstatiert Szekely, „jedoch nicht mit seelisch labilen, kastrierten, subventionierten, größenwahnsinnigen, kurz: unreifen Männern.“ Schon da und bei Strategie 1: Einfach nichts tun und dem Zwischentitel Ja sagen, Nein meinen springe ich gedanklich aus dem allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsleben, das die Autorin analysiert, zur Politik. Dort herrscht Szekelys Befund flächendeckend. Noch ein paar Zwischenüberschriften fügen sich nahtlos ein: Wenn Führungskräfte nicht führen – habe ich je andere kennen gelernt?, ja zwei. Das deutsche Aussitzen – trifft auf Helmut Kohl weniger zu als andere.
Angela Merkel nennt die Autorin bei Strategie 2: Ein entschiedenes Jein selbst uind zitiert den neuen englischen Klassiker: „Don’t merkel around, give me a clear statement.“ Für Ihren Leseappetit, die nächsten Strategien lauten: 3: Ich kann nicht, 4: Kommunikationskondome benutzen, 5: Arbeiten wie ein Tier, 6: Ich habe kein Problem, x hat eins, 7: Ich habe kein Problem, ich habe einen Coach, 8: An Wunder(heilung) glauben, 9: Ich bin nicht alt, meine Freundin ist erst 28, 10: Ich trinke, also geht es mir gut. Nachdem ich durch alle Strategien durch geesen hatte, rief ich einen an, der es fertig bringt, alle zehn anzuwenden. Er musste ein wenig durchatmen und sagte dann sehr leise: das ist gemein. Es wurde auch nicht besser, als ich ihm aus Szekelys Fazit vorlas:
„Wer Verantwortung vermeidet, der vermeidet Leben. Viele Männer, die bereits gestorben sind, könnten noch leben. Viele Männer wären gesünder, schlanker, zufriedener. Viel Beziehungen wären schöner und würden länger halten. Viele Kinder würden noch mit beiden Elternteilen zusammenwohnen oder hätten zumindest Eltern, die ihre Erziehungsaufgaben gemeinsam wahrnehmen. Aber leider übernehmen die meisten Männer bislang keine oder viel zu wenig Verantwortung.“
Die Empfehlungen Was Politiker jetzt tun müssen schauen Sie besser selbst an. Hier folge ich Dasa Szekely nicht, weil da Konrad Adenauer greift, der einem halb so jungen Politiker wie er gesagt hat: „Da kommen immer die Herren Sozialdemokraten zu mir und beschweren sich über die Unzulänglichkeit der Menschen. Da habe ich ihnen gesagt, aber meine Herren, andere haben wir doch nicht.“ An der gleich- und gegenläufigen gesellschaftlichen Geschlechtermutation haben Politiker massiv mitgewirkt. Eigentlich sollten sie eine Generation aussetzen, damit Erwachsenes nachkommt.
Lesen Sie das Buch, jeder und jede wird dabei auf eigene Art gewinnen.
Dasa Szekely: Das Schweigen der Männer. Warum der Mann in der größten Krise seines Bestehens ist und wie er wieder herauskommt. Blanvalet Verlag, 240 Seiten.