Viele von uns Babyboomern werden an die Olympiade 72 ganz individuelle Erinnerungen haben: aus eigenem Erleben, aus Zeitungen, aus dem Radio oder Fernsehen. Kein anderes Großereignis in der Geschichte der Bundesrepublik bot solch extreme Erlebnisse wie dieses: Zunächst waren die Olympischen Sommerspiele die „heiteren Spiele“, bei denen Sportler und Zuschauer eintauchen konnten in einen ganz neuen Kosmos der Ungezwungenheit, Leichtigkeit und Begegnung. Mit dem blutigen Attentat auf die israelische Mannschaft wandelte sich Olympia zur Tragödie, die elf israelische Olympiateilnehmer und ein deutscher Polizist mit ihrem Leben bezahlten.
Eigentlich wollten die Autoren Markus Brauckmann und Gregor Schöllgen ein Sportbuch schreiben, aber bald wurde dem Regisseur und dem Geschichtsprofessor klar, „dass das nicht funktionieren würde. Denn München 72 war mehr als nur ein sportliches Großereignis.
Um Originaltöne der Protagonisten und von Zeitzeugen einzufangen, starteten die beiden Autoren ein beeindruckendes-Recherche-Programm. Sie sprachen mit Sportlern, Funktionären, Teilnehmern und Politikern. Sie werteten Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Radio- und Fernsehsendungen aus.
Dabei herausgekommen ist ein Sittengemälde, das beim Leser das Lebensgefühl der frühen 1970er Jahre wieder aufleben lässt. Längst Vergessenes wird wieder so plastisch, als wäre es gestern gewesen, und viele Aha-Erlebnisse lassen wie Puzzle-Teile beim Lesen ein Gesamtbild entstehen.
Zu empfehlen ist die Lektüre dieses Buches, das sich trotz seiner faktentreue spannend liest wie ein Roman, nicht nur den Zeitgenossen, die Olympia 72 live oder durch die Medien miterlebt haben. Auch danach Geborenen bietet es authentisch und lebendig erzählte Geschichte der jungen Bundesrepublik.
Markus Brauckmann/Gregor Schöllgen, München 72. Ein deutscher Sommer. DVA. Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband, 368 Seiten, 25,00 €.