Der Zugriff der regierenden Parteien auf Gerichte, Schulen, Medien, Kirchen, Gewerkschaften, Beiräte, Kommissionen, Verbände kurz: sämtliche Institutionen der Gesellschaft wächst. Das gilt auch für Wirtschaftsforschungsinstitute. Längst ist die Besetzung der fünf Wirtschaftsweisen Gegenstand parteipolitischer Quotierung, der ständige Gewerkschafts-Weise eine feste Einrichtung. Forschungsinstitute kämpfen um ihre Unabhängigkeit, trotz staatlicher Einflüsse über die Vergabe von Forschungsaufträgen, Gutachter-Positionen und laufende Zuschüsse. Manchen gelingt es besser, wie dem Ifo-Institut in München; das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist bestenfalls noch als eine Art Think-Tank der SPD zu qualifizieren, in der Energiepolitik ist der Laden nur ein propagandistischer Lautsprecher der Bundesregierung.
Mit der AfD und Bernd Lucke bildete sich ein Gegenpol. Seine AfD war zunächst eine Partei der Volkswirtschaftsprofessoren. Luckes AfD ist Vergangenheit, er selbst darf sein beamtetes Gnadenbrot an der Universität Hamburg verzehren aber keine Grundvorlesungen halten. Andere sind in Pension oder werden schrittweise aus den jeweiligen Zirkeln ausgegrenzt wie Ulrich van Suntum. Die deutsche Volkswirtschaftslehre hat ihre Eigenständigkeit mit der von ihr verfochtenen „Ordnungspolitik“ längst verloren, sie ist an der Spitze parteipolitisiert und von den Nachwuchskräften entpolitisiert. Komplizierte Spielereien mit mathematischen Glasperlen oder zeitgeistigen Varianten wie der Feministischen Ökonomik als Forschungsgegenstand ersetzen die immer drängendere Auseinandersetzung mit der wirtschafts- und währungspolitischen Wirklichkeit.
Da ist Raum für kritische Köpfe im schmalen Bereich außerhalb der verstaatlichten Darf-man das-sagen-Wissenschaft, dort findet man kluge und kritische Köpfe wie Markus Krall, Thorsten Polleit, die beiden Anlageberater Marc Friedrich und Matthias Weik, Alexander Horn oder Max Otte, die mit Bestsellern außerhalb des Medienmainstreams beachtliche Reichweiten erzielen.
Kein Wunder, dass diese These in der Mainstream-Ökonomie, der Stelter als früherer Unternehmensberater ohnehin nicht angehörte, vor allem aber in der Politik für Ärger sorgt. Er durfte in einigen Talkshows als Side-Kick teilnehmen, schön eingerahmt, damit ja nichts passieren konnte. Er verlor seine Kolumne in der WirtschaftsWoche. Gab man seinen Namen in einer beliebten Internet-Suchmaschine ein, wurde diesem „AfD“ wie eine Warnung vorangestellt: eine Ausflaggung, mit der sich der amerikanische Internetriese die Politik gewogen machen will und die an Viele geklebt wird, die abweichende Meinungen äußern. Das ist gefährlich. Ausgrenzung schafft kein Ruhekissen im Mainstream, und da paßt: Der AfD-Ökonom.
Sauber analysiert, dass Deutschland keinesfalls aus einer Phase der Stärke in den Krisenmodus wechselte, sondern aus einer Phase, in der es schon längst kein Trendwachstum gab und die durch anhaltenden Rückgang des Produktivitätswachstums geprägt war. Kaschiert wurde diese Schwäche durch aggressivste geldpolitische Maßnahmen und „Schulden, Schulden, Schulden!“, wie er entgegen der üblichen regierungsamtlichen Selbstbereicherung dem Märchen von der „Schwarzen Null“ entgegenschreibt. Die Folgen sind ein deutlicher Anstieg der Vermögenspreise als Vorbote einer inflationären Entwicklung, die sich beim Einkauf im Supermarkt nicht zeigt, weil übliche Konsumgüter durch den globalen Wettbewerb billig gehalten werden. So erfolgreich war also Deutschland nicht. Stelter: „Wie im Brennglas wird deutlich, dass die Politik sich um unangenehme und unpopuläre Entscheidungen gedrückt hat.“ Die FAZ verspottet ihn als „Schuldenbombenentschärfer“.
Deswegen plädiert Stelter für einen Weg, den Frankreich, Italien und Spanien bereits beschritten haben und für dessen Gelingen auf Zuschüsse aus Brüssel und Berlin hoffen: Den Ausgleich der ausgefallenen Nachfrage aus der Staatskasse: Zuschuss statt Kredit. Eine gute Lösung, die man sich leisten können muss. Stelter rechnet mit rund 8,7 Billionen Euro. „Das ist eine unglaubliche Summe“, räumt er ein, allerdings „noch gering“ verglichen mit den Beträgen, die im Zuge des Ersten oder Zweiten Weltkriegs monetarisiert wurden. Denn darum geht es ihm: Den Nachfrageausfall durch frischgedrucktes Geld der EZB zu ersetzen. Und gleichzeitig die Konsumenten in Kauflaune zu versetzen. Dazu setzt er auf Konsumgutscheine, wie sie auch die SPD ins Spiel gebracht hat: „Der Wert sollte bei 1.000 Euro pro Kopf liegen. Unternehmen können die Gutscheine, die sie annehmen, zum Begleichen von Steuern verwenden.“
Insgesamt werden ungeheuerlich Summen an Krediten fällig, wenn der Staat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zum großen Teil ersetzen soll, um die Unternehmen bilanziert nach der Krise so zu stellen, wie sie vor der Krise dastanden. Das geht nur über „Monetarisierung“, so nennt man beschönigend die Begleichung der Schulden durch frisch gedrucktes Geld. Diese Monetarisierung könnte folgendermaßen ablaufen: „Die Euroländer setzen einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds auf. (…) Jeder Staat überträgt Schulden im Volumen von 75 Prozent des BIP auf diesen Fonds. Das bedeutet, dass der Fonds in die Verpflichtung der Staaten eintritt und diese übernimmt. Die privaten Gläubiger werden damit kein Problem haben, denn die Bonität ihrer Forderungen verbessert sich durch die gemeinschaftliche Haftung.“ Finanziert wird der Fonds von der EZB, „die Forderungen der EZB gegen den Schuldentilgungsfonds werden auf eine Laufzeit von über 100 Jahren gestreckt und zinsfrei gestellt“.
An der Stelle springt Stelter zu kurz. Der Blick für das Große geht ihm ab. Das ist schade. Er hätte das Zeug, jedenfalls hat er das in den vorangegangenen Kapiteln seines Buches bewiesen, auch diese Entwicklung zu analysieren, anstatt sie zu bagatellisieren. So bleibt er brav in der Spur, die die Bundesregierung vorzeichnet, auch wenn sie es tarnt und verschleiert: Gemeinsame Europäische Haftung, Ausweitung des Geldvolumens, Finanzierung aus der Druckerpresse – all dies geschieht ja im Großen und Ganzen so, wie Stelter es fordert, wenn auch nach seiner Rechnung allenfalls zu schwach. Es ist das, was er eingangs ja auch zu Recht kritisierte: „Wie im Brennglas wird deutlich, dass die Politik sich um unangenehme und unpopuläre Entscheidungen gedrückt hat.“ Stelter richtet das Brennglas auf der imaginären Zeitachse der Ökonomie nach hinten, aber nicht nach vorne.
Aber das ist gut für Stelter. Er hat den Weg zurück in den Mainstream gefunden. Google hat ihm Unrecht getan, ihn mit „AfD“ zu brandmarken. Er paddelt jetzt wieder im warmen Mainstream und am Ufer steht Marcel Fratzscher, Chef des SPD-nahen DIW und erklärter Übersetzer der EZB-Strategie in für Medien druckbare Sätze, zufrieden dem heimgekehrten Sohn zuwinkend.
*Herr Stelter sei, so erklärte er uns gegenüber, nie AfD-Mitglied gewesen. Herr Stelter meint, die frühere Überschrift habe aber diesen Eindruck erweckt. Wir haben dies weder behauptet noch angedeutet, tragen aber seinem Wunsch, dies klarzustellen, gerne Rechnung.
Daniel Stelter, Coronomics. Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise. Campus Verlag, 217 Seiten, 18,95 €
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