Tichys Einblick
Neues Buch

Historiker widmet sich den Soldaten der Wehrmacht

Das von dem jungen und mutigen Historiker Christian Hardinghaus (Jahrgang 1978) in diesem Frühjahr veröffentlichte Buch „Die verdammte Generation - Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkrieges“ bietet hier endlich so manch überfällig Korrektur und Aufklärung.

Der Zweite Weltkrieg ist in deutscher Geschichtspolitik, Geschichtsforschung und im Geschichtsunterricht weitestgehend ein blinder Fleck. Vor allem die 18 Millionen Soldaten der Wehrmacht und die (geschätzt) fünf bis sechs Millionen deutschen Gefallenen kommen darin kaum vor. Wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht, dann als Vernichtungskrieg Hitlers, dem 18 Millionen Wehrmachtssoldaten angeblich verbrecherisch und überzeugt dienten. In der Epoche der 68er wurde es ohnehin üblich, Nationalsozialismus und Wehrmacht gleichzusetzen. Das von dem jungen und mutigen Historiker Christian Hardinghaus (Jahrgang 1978) in diesem Frühjahr veröffentlichte Buch „Die verdammte Generation – Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkrieges“ bietet hier endlich so manch überfällige Korrektur und Aufklärung.

„Soldaten sind Mörder“ und Wehrmachtsausstellung

Die Folgen dieses blinden Flecks sind bekannt, zwei nur seien genannt. Erstes Beispiel: Tucholsky hatte am 4. August 1931 in der „Weltbühne“ in einer Glosse geschrieben „Soldaten sind Mörder.“ Jahrzehnte später, bei einer Podiumsdiskussion am 31. August 1984, äußerte ein ehemaliger Sanitätsoffiziersanwärter und Arzt der Organisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) gegenüber einem Jugendoffizier: „Jeder Soldat ist ein potenzieller Mörder – auch Sie, Herr W. In der Bundeswehr gibt es einen Drill zum Morden.“ Der Tucholsky-Spruch macht seitdem die Runde: skandiert oder als Aufkleber. Es kam zu Beginn der 1990er Jahre zu Prozessen und „Soldatenurteilen“.

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Im November 1995 schließlich bekräftigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die Verwendung des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind Mörder“ unter bestimmten Voraussetzungen keine Beleidigung darstelle und deshalb nicht bestraft werden dürfe. Der Erste Senat betonte, das Tucholsky-Zitat sei so lange vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, wie es sich um eine allgemeinpolitische Aussage handele. Dies sei aber kein Freibrief für die Beleidigung einzelner Soldaten oder der Bundeswehr. Der Historiker Egon Flaig hat die Folgen dieses Urteils auf den Punkt gebracht: „Wer damals politische Urteilskraft besaß, musste die verheerenden Auswirkungen dieser Urteile antizipieren.“

Zweites Beispiel: die zu Recht umstrittenen beiden Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Die erste wurde von 1995 bis 1999 unter dem Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ gezeigt,  nach Kritik an der ersten fand die zweite von 2001 bis 2004 unter dem Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944“ statt.

Macher der ersten Ausstellung war der umstrittene Publizist Hannes Heer. Er gehörte zu den Wiederbegründern des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Wegen seiner Tätigkeit im SDS wurde er 1968 nicht als Referendar zum Schuldienst zugelassen. Rund 800.000 Besucher in 33 Städten in Deutschland und Österreich haben die Ausstellung gesehen, die vorübergehend ausgesetzt wurde, weil von zwei nicht-deutschen Historikern (dem Ungarn Kristián Ungváry und dem Polen Bogdan Musial) Verfälschungen nachgewiesen werden konnten und weil suggeriert wurde, es seien 80 Prozent aller Wehrmachtssoldaten an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Am Ende blieb eine Verunglimpfung ehemaliger deutscher Soldaten im Gedächtnis der Öffentlichkeit. Der nicht gerade als rechtskonservativ geltende Fernsehjournalist Rüdiger Proske hat die Ausstellungen gar als „raffinierteste Darstellung historischer Irreführung in unserem Lande seit dem Dritten Reich“ bezeichnet.

Vergessene Ehrenerklärungen

Schon viel früher hatte Konrad Adenauer eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht abgegeben. Vergessen scheint leider die große Rede des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Am 12. März 1959 sprach er an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg vor 800 Leutnanten und Fähnrichen von einem „Unfug der alliierten Sieger, den deutschen Berufssoldaten als solchen zu einer Art von nichtswürdigem Verbrecher zu erklären…“

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Die Frage, ob der Zweite Weltkrieg die Schuld unserer zwangsweise in den Krieg gezogenen Großväter und Urgroßväter war, hat den vormaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zeitlebens beschäftigt. Seinen Standpunkt hat er 1997 in einem Schreiben an den damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) skizziert: Eine Kollektivschuld gebe es nicht, schreibt Schmidt da. Richtig, es gab unter den mehr als 18 Millionen Soldaten, die zwischen 1939 und 1945 einberufen wurden und von denen 5 bis 6 Millionen gefallen sind, vermisst blieben oder in Kriegsgefangenschaft starben, zwar Verbrecher, aber, so Schmidt, „ebenso gab es eine Mehrheit persönlich schuldloser Soldaten“. Nicht einmal die Ehrenerklärungen für die Wehrmacht bedeutender ausländischer Staatsmänner ließen die Wehrmachtssoldaten in einem anderen Licht erscheinen. Frankreichs damaliger Staatspräsident François Mitterrand etwa hatte gesagt, dass die Soldaten der Wehrmacht tapfere Soldaten waren, derer man sich nicht zu schämen brauche.

Von all dem unbeeindruckt scheute sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nicht, im Mai 2017 in einer Art exorzistischem Furor mit Blick auf angebliche „Haltungsprobleme“ innerhalb der Bundeswehr den bolschewistischen Kampfbegriff „Säuberung“ zu bemühen. Alte Helme, historische Waffen, Modelle der Wehrmacht mussten aus Vitrinen und Traditionsecken verschwinden. Der Bildersturm machte nicht einmal Halt vor einem Porträt von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, das ihn als jungen Leutnant der Wehrmacht zeigt. Pikanterweise hing das Bild in der nach ihm benannten Bundeswehr-Universität in Hamburg. Ergebnis der „Säuberungen“: Ganze 41 „Andenken“ an die Wehrmacht wurden gefunden. Den Geist einer Ursula von der Leyen atmet auch der „Traditionserlass“ der Bundeswehr aus dem Jahr 2018; mit ihm wird dekretiert, dass weder die Wehrmacht (1935 –1945) noch die Reichswehr (1921–1935) als traditionswürdig gelten.

Das dreifache Verdienst des jungen Historikers Christian Hardinghaus

Das Verdienst des jungen Historikers Christian Hardinghaus und seines Buches ist ein dreifaches: Erstens stellt er klar und belegt dies, dass die Wehrmacht nach ihrem Selbstverständnis kaum politisch war bzw. dass sich die Soldaten dem Land und nicht dem NS-Verbrechersystem verpflichtet fühlten. Wehrmachtssoldaten war es während ihrer Dienstzeit auch nicht umsonst verboten, Mitglied der NSDAP zu sein. Von daher übrigens immer wieder kritische Äußerungen Hitlers über die Wehrmacht und ihre Generale!

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Hardinghaus erinnert auch an etwas, was vergessen wurde: Selbst nach den Nürnberger Prozessen der Jahre 1945 bis 1949 waren sich die alliierten Ankläger einig, dass die NSDAP und die SS verbrecherische Organisationen waren, nicht aber die Wehrmacht, auch nicht ihr Oberkommando (OKW). Insgesamt wurden 0,05 Prozent aller Wehrmachtssoldaten wegen Kriegsverbrechen verurteilt, zum Beispiel wegen Mordtaten an unbewaffneten feindlichen Soldaten, an Gefangenen oder an der Zivilbevölkerung. 0,05 Prozent – das heißt nicht, dass mit dieser Zahl alles an Verbrechen erfasst wurde. Historiker nehmen eine Verbrechensrate von bis zu 5 Prozent an. Diese 0,05 oder auch 5 Prozent haben übrigens gegen offizielle Grundsätze der Wehrmacht verstoßen, die jeder Soldat als 10-Punkte-Merkblatt (im Buch wiedergegeben) bei sich hatte. Zum Beispiel, dass Grausamkeiten und nutzlose Zerstörungen eines deutschen Soldaten unwürdig sind; dass kein Gegner getötet werden darf, der sich ergibt; dass Kriegsgefangene nicht misshandelt oder beleidigt werden dürfen usw.

Das zweite große Verdienst von Christian Hardinghaus ist, dass er dreizehn vormalige Wehrmachtssoldaten zu Wort kommen lässt. „Oral History“, Geschichte durch authentische Erzählung, nennt man ein solches Verfahren. Es ist dem Autor hervorragend gelungen, die Erlebnisse, Erfahrungen, Traumata dieser dreizehn damals jungen Männer wiederzugeben. Es sind vormalige Soldaten und jugendliche Flakhelfer der Geburtsjahrgänge 1916 bis 1930: Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere, die wenigsten Offiziere; Infanteristen, MG-Schützen, Piloten. 60 Stunden Audiomaterial sind daraus entstanden.

Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung der Gespräche waren diese Dreizehn zwischen 88 und 100 Jahre alt. Sechs von ihnen waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches bereits verstorben – im Alter von 101, 97, 96, 89 oder 86 Jahren; ihrerseits waren die Berichte über ihre Erfahrungen im Krieg ein für sie selbst wichtiges Vermächtnis. Alle waren in hohem Maße auskunftsbereit, auch wenn sie über ihre traumatischen Erlebnisse zum Teil nie mit ihrer Familie gesprochen hatten. Alle haben den Krieg in all seiner Grausamkeit erfahren: an der Ostfront, in Afrika, an der Westfront, bei der Verteidigung Berlins, in Gefangenenlagern der Sowjetunion, Frankreichs, Großbritanniens oder der USA (auch in den USA). Fast alle wurden verwundet, manche bis zu viermal; fast alle haben selbst getötet. Alle haben aus nächster Entfernung miterlebt, wie Kameraden von Granaten zerfetzt oder ihnen der Kopf weggeschossen wurde, keiner von ihnen wusste als Soldat von den Greueln in den Vernichtungslagern. Alle hätten sich gewünscht, dass die nachfolgenden Generationen mehr über ihre Erlebnisse erfahren hätten.

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Das dritte große Verdienst des Autors ist es, streng wissenschaftlich vorgegangen zu sein. Alles von „den Dreizehn“ Erzählte hat er anhand verlässlicher zeitgeschichtlicher Daten gegengeprüft. Dass Hardinghaus bei aller notwendigen Objektivität und Distanziertheit der Berichterstattung durchaus persönlich und politisch wird, stört keineswegs. Im Gegenteil: Eine der dreizehn „Geschichten“ stammt von seinem Großvater Otto (1916 – 2017), der als Volksdeutscher den Bromberger Blutsonntag vom 3. und 4. September 1939 mit seinen 700 bis 1.000 Ermordeten hautnah mit- und gerade eben noch überlebt hat. Nicht nur mit Blick auf ihn, sondern auch auf die anderen zwölf schreibt Hardinghaus: „Eure Geschichten werden unsterblich sein!“

Den Deutschen rät Hardinghaus zu weniger Hysterie im Umgang mit dem eigenen Land und dessen jüngster Geschichte – und zu weniger Arroganz und Überheblichkeit gegenüber unseren unmittelbaren Vorfahren. Denn, so Hardinghaus, wer unsere Väter und Großväter, weil sie Soldaten sein mussten, pauschal zu Nazis erkläre, der verharmlose die Verbrechen der realen Nazis.


Christian Hardinghaus, Die verdammte Generation. Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Europa Verlag, 329 Seiten, 20,00 €


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