In dem von den lautstarken Verteidigern der Demokratie in Politik, Medien, Verbänden, Kirchen und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) immer verbissener geführten „Kampf gegen rechts“ steht das in Köln angesiedelte Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter seinem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang (CDU) inzwischen mit an vorderster politmedialer Front. Während sich die Mehrzahl dieser Verteidiger selbst zu solchen ernannt haben, agiert Haldenwangs Behörde in öffentlichem Auftrag auf Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG). Dieses regelt sowohl die Aufgaben und Kompetenzen des BfV wie auch dessen Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzämtern der Länder. Beide zusammen sollen laut § 1, Absatz 1 dieses Gesetzes „dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder“ dienen.
Angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien auch in Deutschland präsentiert Haldenwang sich und seine Behörde inzwischen als diejenige staatliche Institution, deren vordringlichste Aufgabe darin bestehe, die Bundesrepublik vor einer unmittelbar drohenden Machtübernahme rechter Verfassungs- und Demokratiefeinde zu bewahren. Dabei unterscheidet Haldenwang, wie er bei einem „Demokratie-Forum“ auf dem Hambacher Schloß im November 2022 ausführte, nicht zwischen rechts und rechtsextrem. „‘Rechts‘ bedeutet für mich jetzt nicht allein Hass/Hetze, (…) ‚rechts‘ steht eben auch für dieses völkische Denken, für dieses Ausgrenzen von Minderheiten (…). Und ja, das macht für mich Rechtsextremismus aus.“ Ihn im „Kampf gegen rechts“ zusammen mit einer möglichst breiten Allianz von Demokratie-Verteidigern unter Bezugnahme auf das Jahr 1933 („Nie wieder ist jetzt“) zu besiegen, ist laut Haldenwang inzwischen das vorrangige Ziel seiner Behörde.
Dies hat den einstigen Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb (SPD), dazu veranlaßt, die vom BfV vorgetragene Begründung für dessen Alarmismus sowie sein zum Schutz der bundesrepublikanischen Demokratie gewähltes Vorgehen in sechs Fallstudien genauer unter die Lupe zu nehmen. Schon vor seiner Ministerzeit (2011-2019) hat sich Brodkorb in seinem Bundesland maßgeblich in einem Projekt gegen Rechtsextremismus („Endstation Rechts“) engagiert und so auch erste Erfahrungen mit dem Themenkomplex Verfassungsschutz sammeln können.
Zwei der Fallstudien handeln hingegen von langwierigen, längst abgeschlossenen juristischen Auseinandersetzungen eines linken Politikers (Bodo Ramelow) und eines linken Bürgerrechtlers (Rolf Gössner) mit den Verfassungsschutzbehörden ihrer jeweiligen Bundesländer. Sie stammen aus einer Zeit, als dort noch der Linksextremismus stärker als nach Haldenwangs Amtsantritt unter Beobachtung stand, ohne dass vom Verfassungsschutz damals linksextrem mit links gleichgesetzt wurde. Das inzwischen in Buchform unter dem Titel „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“ veröffentlichte Ergebnis dieser Prüfung ist ebenso ernüchternd wie besorgniserregend.
Die Fälle Ramelow und Gössner zeigen zum einen, wie ein linker Gewerkschafter und Politiker sowie ein linker Rechtsanwalt und Aktivist über Jahrzehnte ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes gerieten, ohne dass ihnen persönlich justiziable verfassungsfeindliche Bestrebungen nachgewiesen werden konnten. Sie zeigen zugleich, dass es eines ausgesprochen langen juristischen Atems sowie entsprechender finanzieller Möglichkeiten bedarf, um sich als betroffener Einzelbürger gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgreich zur Wehr zu setzen. Bei Ramelow dauerte es insgesamt 27 Jahre, bis das Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich verfügte, daß er nicht mehr beobachtet werden darf und bei Gössner sogar vier Jahrzehnte, bis das Bundesverwaltungsgericht dessen geheimdienstliche Beobachtung stoppte.
Beide Male ging es dabei vor allem um die Frage, ob eine Einzelperson, die nachweislich kein verfassungsfeindlicher Extremist ist, als ein solcher vom Verfassungsschutz des Bundes respektive der Länder beobachtet werden darf, weil diese Person mit tatsächlichen Verfassungsfeinden mehr oder weniger eng in Kontakt steht.
Der Vorwurf der Kontaktschuld spielt von daher im Vorgehen des BfV gegen vermeintliche Verfassungsfeinde nicht erst heute eine wichtige Rolle, wo es nicht mehr in erster Linie um die Beobachtung von Bürgern geht, die des Linksextremismus verdächtigt werden. Sie hatte ihre Hochzeit in den 1970er und 1980er Jahren, als sich im Zuge des Aufkommens und Erstarkens einer Neuen Linken zahlreiche linksextreme Aktivisten auf ihren langen Marsch durch die Institutionen begaben, von denen sie viele im Laufe der Jahre mehr oder weniger erfolgreich eroberten, allen voran im staatlichen und staatsnahen Bereich. Von dort aus führen sie inzwischen ihren „Kampf gegen rechts“, der seitdem erwartungsgemäß mit einer weitgehenden Erblindung auf dem linken Auge einhergeht.
Konkretisiert wird dies von ihm am Vorgehen gegen den von Götz Kubitschek gegründeten neu-rechten Institut für Staatspolitik (IfS), am Vorgehen gegen die AfD sowie am Vorgehen gegen den Politologen Martin Wagener. In allen drei Fällen geht es um den Vorwurf verfassungsfeindlicher Gesinnung, im Fall der AfD zusätzlich um den Vorwurf beabsichtigter verfassungsfeindlicher Handlungen, sollte diese Partei jemals Regierungsmacht erlangen. Die jeweilige Beweisführung durch den Verfassungsschutz ist im Fall des IfS und des Politologen Wagner, wie Brodkorb akribisch zeigt, höchst lückenhaft und widersprüchlich, über weite Strecken auch unfair oder sogar bösartig. Man gewinnt vielfach den Eindruck, im Verfassungsschutz seien linke Aktivisten am Werk, die keinerlei Interesse an einer sachlichen Analyse rechter Denker und politischer Strömungen haben.
So wird dem IfS beispielsweise anhand der Kritik seines Leiters Erik Lehnert an der schon in den 1920er Jahren von dem Soziologen Robert Michels thematisierten Oligarchisierung demokratischer Parteien vorgeworfen, den Parlamentarismus abzulehnen, was Lehnert aber gar nicht tut. Michels‘ Oligarchisierungs-Theorie zählt bis heute zur Pflichtlektüre jedes Soziologen und Politologen, der sich mit Fragen der direkten und der indirekten (repräsentativen) Demokratie befasst. Wagener wiederum wird vom Verfassungsschutz zum Vorwurf gemacht, er plädiere in seinen Publikationen für einen ethnischen Volksbegriff, der mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Ihm wurde deswegen von der Hochschule des Bundes seine Lehrbefugnis im Fachbereich Nachrichtendienste bis auf Weiteres entzogen, obwohl der gegen ihn gerichtete Vorwurf in der Fachwelt überaus umstritten ist.
Nun verwendet das Grundgesetz aber, wie Brodkorb betont, in Artikel 116, Absatz 1 selbst einen ethnischen Volksbegriff, wenn es dort heißt, nicht nur Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit seien Deutsche, sondern auch solche mit „deutscher Volkszugehörigkeit“. Zu ihnen gehören beispielsweise die sogenannten Russland-Deutschen sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, die keine deutschen Staatsbürger sind, weil sie (noch) im Ausland leben und deswegen bislang keine beantragt haben. Als deutsche Volkszugehörige können sie die deutsche Staatsbürgerschaft aber jederzeit umgehend erlangen, weil sie gemäß Grundgesetz auch ohne sie Deutsche sind.
Die Absicht, die Zugehörigkeit zum deutschen Volk allein an die Frage der Staatsangehörigkeit zu binden, um so alle Forderungen nach einer ausreichenden sozio-kulturellen Homogenität für ein gelingendes gesellschaftliches Zusammenleben als verfassungsfeindlich zu brandmarken, erweist sich vor diesem Hintergrund laut Brodkorb selbst als mindestens verfassungswidrig, wenn nicht mehr. In die gleiche Richtung gehen die Versuche des BfV, radikale Kritik an der herrschenden Regierungspolitik mit dem Vorwurf der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ unter den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu stellen. Dabei geht es laut BfV um die „ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates“, die das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttere und so dessen Funktionsfähigkeit gefährde.
Das demokratische Recht auf Kritik am Handeln von Politikern und politischen Institutionen hält der Verfassungsschutz gemäß Brodkorb „im Grunde für verfassungswidrig“ und will es deswegen möglichst einschränken. Als eindrücklichsten Beleg dafür verweist er auf die Einstufung freiwilliger Helfer, die während der Ahrtal-Flut Geld und Sachspenden an die betroffene Bevölkerung verteilt haben. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2021 wird ihnen deswegen vorgeworfen, sie wollten damit aktiv den Eindruck erwecken, „dass staatliche Stellen bewusst nur unzureichend an der Verbesserung der Versorgungslage arbeiten würden beziehungsweise mit der Bewältigung der Lage komplett überfordert gewesen seien.“ Das käme einer gezielt betriebenen Delegitimierung des Staates gleich.
An sie hielt sich laut Brodkorb auch schon die DDR-Regierung. Sie hatte anstelle der „verfassungsschutzrechtlichen Delegitimierung des Staates“ die „staatsfeindliche Hetze“ ersonnen, um mit ihrem Inlandsgeheimdienst Regimekritiker zu überwachen und mundtot machen zu können. Anders als der Staatssicherheitsdienst (Stasi) der DDR verfügt das BfV aber über keine polizeilichen Befugnisse, mit denen es Verdächtige verhören und verhaften kann. Umso mehr versteht und betätigt es sich mittlerweile als eine Gesinnungspolizei, die unter ihrem Chef Haldenwang ihr Betätigungsfeld wie ihre Kompetenzen zum Schutz der derzeitigen Regierung vor nonkonformer Kritik immer weiter auszubauen versucht. Dabei bedient sie sich immer stärker der Stigmatisierungs-Methoden, mit denen schon die Stasi die „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges“ ihrer Zielobjekte vorantrieb.
Gegen diese höchst besorgniserregende Entwicklung hilft laut Brodkorb nur die Auflösung des Verfassungsschutzes. Als einziger Inlandsgeheimdienst der westlichen Welt besteht derzeit seine vorrangige Aufgabe in der Überprüfung der politischen Gesinnung nonkonformer Bürger, um so eventuelle verfassungsfeindliche Bestrebungen schon im Keim ersticken zu können, bevor sie nennenswerte praktische Relevanz erhalten. Wie in allen anderen westlichen Demokratien soll dagegen auch der deutsche Inlandsgeheimdienst gemäß Brodkorb nur noch aktiv werden dürfen, wenn es um politisch motivierte Gewaltanwendung oder Spionage geht. Aus jeglichem politischen Gesinnungs- und Richtungsstreit soll er sich hingegen komplett heraushalten und diesen nach bewährter demokratischer Tradition allein der Politik, den Medien, der Wissenschaft und den Bürgern überlassen.
Daß diese Forderung im politmedialen Mainstream, der sich derzeit voll im Kampfmodus gegen rechts befindet, auf Unterstützung stößt, ist wohl eher nicht zu erwarten. Stattdessen steht zu befürchten, daß sich Brodkorb mit seiner schonungslosen öffentlichen Kritik am Verfassungsschutz und seiner Forderung nach dessen Auflösung nicht nur aus Haldenwangs Sicht genau jener „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ schuldig gemacht hat, die ihn nun selbst zu einem gefährlichen Verfassungsfeind und Zielobjekt macht.
Mathias Brodkorb, Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien. Zu Klampen Verlag, Hardcover mit Überzug, 250 Seiten, 25,00 €.