BILD-Kolumne: Schulers Loblied aufs „Lob des Normalen“
Redaktion
Nichts ist stärker unter Druck als „das Normale“. Es haftet der Beigeschmack daran, spießig, durchschnittlich, unspektakulär zu sein. Doch entspricht das der Wirklichkeit?
Zu Beginn der Karwoche übt sich Alexander von Schönburg im Verzicht und überlässt dem Kollegen Ralf Schuler seine Kolumne auf BILD online. Schuler nutzt die Ausnahme, um das Normale zu loben – präziser formuliert: er lobt „Das Lob des Normalen“ von Cora Stephan.
Die Frankfurter Bestseller-Autorin führe uns das Normale als das nicht Erklärungsbedürftige, Bewährte, nicht Schlagzeilenträchtige vor Augen.
Das Buch sei auch ein Loblied auf alle, die einem „normalen“ Job nachgehen. Ralf Schuler stimmt mit der Autorin darin überein, wie sehr in Krisenzeiten deutlich wird, dass es „ohne sie nicht geht: ohne Handwerker und Bauern, Polizisten und Feuerwehrleute, Postboten und LkW-Fahrer, Verkäufer, Apotheker, Reinigungskräfte, Pfleger – die Liste ist unvollständig, sie wäre zu lang.“
Im Gegensatz dazu seien selbsternannte Meinungsführer, Experten und Dampfplauderer verzichtbar.
Doch nichts ist stärker unter Druck als „das Normale“, ihm haftet der Beigeschmack an, spießig, durchschnittlich, unspektakulär zu sein. In Zeiten in denen das Abweichende als Auszeichnung gilt – wohlgemerkt: solange es in allgemein tolerierten Bahnen verläuft! – die feinverästelte sexuelle Identität als Gipfel der Individuiertheit ausgegeben wird und als Fortschritt gilt, was sich von tradierten Gepflogenheiten distanziert, sehen sich sogar Weltkonzerne wie Unilever genötigt, das Wort „normal“ von Haarpflegeprodukten zu entfernen, um Umsatzrückgängen zu begegnen.
„Doch was ist überhaupt normal?“ fragt Cora Stephan, „ist es eine bloße Übereinkunft, also eine (willkürlich) festgesetzte Norm? Der Begriff Heteronormativität (anstelle von Heterosexualität) suggeriert genau das. Diversität sei die neue Normalität, tönt es von der Barrikade der Genderista, die sorgsam darüber wacht, dass jedes Geschlecht zur Sprache kommt, auch das eingebildete. Die meisten Menschen aber empfinden ihre Sexualität nicht als etwas Gesetztes, ebenso wenig, wie Homosexuelle glauben, sie hätten sich ihre sexuelle Präferenz einfach so ausgesucht, könnten sie also auch jederzeit wieder ablegen. Ob es einem gefällt oder nicht: Die meisten Menschen sind heterosexuell, möchten eine Familie mit Kindern und haben keine Zeit, sich lustig zu machen über das Reihenhaus, das sie teuer genug kommt. Die meisten Frauen wollen nicht sofort nach der Entbindung wieder an den Arbeitsplatz eilen, egal, ob das jemand von den Sozialdemokraten reaktionär findet. So sieht sie halt aus, die Normalität, ob das den kulturellen Eliten passt oder nicht. Was kann an dieser Tatsache kränkend sein? Wolfram Eilenberger: »Die sogenannte Wirklichkeit schert sich einen feuchten Kehricht darum, was wir von ihr denken, erhoffen oder selbst kollektiv von ihr für richtig und wahr vermeinen. Vielmehr ist sie das, wogegen niemand je immun ist.“
Cora Stephan feiere „das Normale“ als Fundament des Lebens, das in Zeiten, in denen sich das Vertraute aufzulösen scheint, etwas ungemein Beruhigendes habe, schreibt Ralf Schuler in der ihm für einen Tag überlassenen BILD Kolumne. Und damit habe sie vermutlich recht.
Cora Stephan, Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten. Edition Tichys Einblick im FBV, 240 Seiten, 16,99 €.
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