Tichys Einblick
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Bauer Willi: »Einen guten Acker aufzubauen, ist ein Generationenprojekt«

Zwei Probleme hat Dr. Willi Kremer-Schillings. Das erste: Alle sind zu satt. Das zweite: Viele sind unzufrieden.

Willi Kremer-Schillings muss es wissen. Er betreibt einen Hof bei Rommerskirchen auf den besten fruchtbaren Böden der Kölner Bucht. Eigentlich ist er kein »richtiger« Landwirt, sondern promovierter Agraringenieur mit Fachrichtung Pflanzenbau und führt seinen landwirtschaftlichen Betrieb mit seinem Nachbarn, der mit seinen Maschinen den Hauptteil der Feldarbeiten erledigt.

Bundesweit bekannt wurde er durch seinen Blog »Bauer Willi«, den er seit Jahren sehr erfolgreich betreibt. Er weiß also, von was er redet – im Gegensatz zu denjenigen, die in der warmen Stube in der Stadt genau wissen, was Landwirte alles falsch machen.

Jeder kann mitreden, ganz gleich, ob er etwas davon versteht oder nicht. Städter, die Weizen kaum von Gerste unterscheiden können oder nichts über den Wirkmechanismus von Glyphosat wissen, das den sogenannten Shikimisäureweg unterbricht, sind dagegen felsenfest nur von einem überzeugt: Der Bauer macht alles falsch, will vergiften und Glyphosat muss weg. Das »Latte macchiato Milieu« weiß, was es nicht will: keine sogenannte Massentierhaltung (wobei es selbst häufig in Massensiedlungen wohnt), keine Gentechnik, keine Monokulturen.

Kein Wunder, dass der erfahrene Bauer Willi Probleme bekommt – wie jeder Bauer, der heute nach guter fachlicher Praxis arbeitet und dabei in den vergangenen beiden Jahren hervorragende Ernten eingefahren und mitgeholfen hat, dass deutlich mehr Menschen mit preiswerten Lebensmitteln versorgt wurden.

Bauer Willi weiß: Der Satte hat viele Probleme – der Hungrige dagegen nur eines: Wie komme ich an Essen? Deswegen hat er jetzt ein neues höchst informatives und gut lesbares Buch geschrieben, mit dem er die Städter in seine Welt mitnehmen will: die der heutigen Landwirtschaft, die »gern auch moderne oder auch industrielle Landwirtschaft« genannt wird.

Selten klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei Lebensmitteln. Das ist das Problem von Bauer Willi: »Als Verbraucher kaufen Sie wenig regional, wenig saisonal, wenig Bio. Sie kaufen vor allen Dingen billig. In Umfragen antworten Sie jedoch anders.« Leere Sprüche wie »regional kaufen«, gehen Bauer Willi auf die Nerven, denn die eigentlich regionalen Produkte verfaulen wie das Obst auf Streuobstwiesen, weil es niemand mehr erntet. Aus bäuerlichen Betrieben sind mittlerweile hochprofessionelle Unternehmen geworden.

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Früher, erinnert sich Kremer-Schillings im Gespräch im TE-Wecker, hatten sie noch Kühe, Schweine und Hühner. Das war 1964. »Dann kamen als Erstes die Kühe weg. Dann kamen die Schweine weg. Dann hatten wir nur noch Hühner. Dann kamen die Hühner auch noch weg. Dann waren wir ein reiner Ackerbaubetrieb. Dann haben wir eine Kooperation mit dem Nachbarn begonnen. Jetzt haben wir zusammen noch einen Trecker, einen Düngerstreuer, eine Pflanzenschutzspritze, eine Mähmaschine und sind ein reiner Ackerbaubetrieb, fast schon im Nebenerwerb.«

Die Aversion gegen Landwirte nimmt zum Teil immer extremere Formen an, beobachtet Kremer-Schillings: »Die Leute zeigen einem, während man mit dem Trecker und mit der Feldspritze fährt, einen Vogel.« Er steigt in solchen Fällen von seinem Traktor herunter und fragt die Leute, was das solle. Er erwähnt auch Landwirte mit Tierhaltung, die mittlerweile tatsächlich Angst haben, dass ihre Ställe des Nachts »besucht« werden. »Also alles Dinge, die vor zehn, fünfzehn Jahren undenkbar gewesen wären.«

Ihm leuchtet schon ein, wenn Städter neben seinem modernen Traktor mit angehängter riesiger Feldspritze ein bisschen mulmig wird: »Das ist eine riesige Technik und Leute haben oft vor Technik in der Landwirtschaft auch ein etwas Angst. Das heißt also: Ein bisschen sind wir selbst schuld an der Geschichte.«

»Ein zweiter Grund ist die Verstädterung. Wenn ich jetzt hier Köln sehe: in der Nähe eine Million Einwohner, das Ruhrgebiet vor der Haustür, fünf, sechs Millionen Einwohner. Da hat kaum einer mehr einen Bezug zu den Landwirten, und ich selber habe auch schon kaum noch Bezug zu den Leuten hier bei uns im Dorf. Irgendwie hat man sich auch entfremdet. Und dann werden natürlich Geschichten über Landwirte erzählt, die so nicht stimmen.« Darum wollte Bauer Willi seine Geschichte als Landwirt erzählen und erklären, warum er so wirtschaftet, wie er wirtschaftet.

»Ich bin ja ein böser konventioneller Landwirt«, sagt Kremer-Schillings im TE-Gespräch. »Man muss ja unterscheiden zwischen den ›bösen konventionellen‹ und den ›guten Bio-Landwirten‹. Und ich bin ein ›böser konventioneller‹, der auch ab und zu mal Glyphosat spritzt und der mit Kunstdünger arbeitet. Doch ich will den Leuten erzählen, warum ich das mache: Ich mache das deshalb so, damit die Leute gute, aber auch preiswerte Lebensmittel haben.«

Vor noch vollen Lebensmittelregalen ahnt niemand, welch harten Kampf es gegen, ja gegen die Natur bedeutet, um ordentliche Ernten einzufahren. Denn nein, die Natur ist nicht unbedingt unser Freund. Unkräuter bedrohen Nutzpflanzen auf den Feldern, versuchen schneller zu wachsen und nehmen damit Licht und Nährstoffe aus dem Boden weg; Schädlinge wie Maiszünsler nagen Pflanzenstängel an und saugen süßen Saft aus den Bahnen. Zusätzlich bedrohen jede Menge von Bakterien und Viren Pflanzen. So vernichteten sie auch in der Vergangenheit, wie die Kartoffelfäule, ganze Ernten und lösten Hungerkatastrophen aus.

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Derzeit bereiten sich bei Zuckerrüben Poleroviren und Closteroviren aus, eine Gruppe von Viren, die die Fotosyntheseleistung der Pflanze vermindern und ihren Stoffwechsel beeinträchtigen. Erkennbar ist der Befall an den vergilbten Blättern der Zuckerrüben. Ganze Zuckerrübenfelder sind mittlerweile davon betroffen und in Gefahr. Der Virus wird meist durch Blattläuse übertragen. Die wurden bisher erfolgreich durch die sogenannten Neonicotinoide bekämpft, sehr selektive Nervengifte, die an Nervenzellen von Insekten andocken und deren Nervenreize stören. Ein sehr günstiges und sicheres Insektizid, das sich in der Pflanze gut verteilt und von den Insekten aufgenommen wird, die sich an Pflanzen gütlich tun wollen. Doch die wurden verboten, seitdem ist keine Kontrolle über die Blattläuse mehr möglich, der Ausbreitung des Virus wurde Tür und Tor geöffnet.

Und ohne Unkräuter regelmäßig zu beseitigen, würde keine Ernte eingebracht werden können. Denn ja, ein Weizenfeld ist eine Monokultur, schließlich soll nur Weizen geerntet werden und dies bedeutet gleichzeitig, andere Pflanzen vom Acker zu vertreiben. Zumindest vom Weizenfeld.

Bauer Willis größte Sorge ist jenes unglückselige Programm »Farm to Fork« im Rahmen des »Green Deal« der Europäischen Union. »Damit werden wir uns in extremer Art und Weise noch mehr als heute von Lebensmitteln aus dem Ausland abhängig machen«, sagt Bauer Willi.

»Das halte ich für eine unglaublich gefährliche Entwicklung. Wir haben es gerade bei der Energie gesehen, wie wir in eine Situation gekommen sind, in der uns diese Abhängigkeit von russischem Gas extrem auf die Füße fällt. Das ist aber auch so bei Lebensmitteln, also den Mitteln, von denen wir leben. Doch das ist dann eine ganz andere Hausnummer.«

»Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, uns in Europa – und das ganze Programm soll ja für ganz Europa durchgeführt werden – selber mit unseren eigenen Produkten zu ernähren, dann gehen wir in eine ganz gefährliche Richtung. Wenn es dann wirklich mal nur kleine Ernten gibt, wird derjenige, der die Lebensmittel hat, sie uns nicht mehr unbedingt verkaufen!«

»Wir haben hier bei uns zu Hause allerbeste Böden und sollen jetzt auf Dünger verzichten. Wir sollen auf Pflanzenschutzmittel verzichten, wir sollen mehr Bio machen. Ich kann nicht verstehen, dass das wirklich vernünftig sein soll, bitte schön.«

Kremer-Schillings stellt die Frage, ob er seinen Kindern noch guten Gewissens empfehlen dürfe, auch Bauer zu werden. Ein fundamentaler Bruch mit jener jahrhundertealten bäuerlichen Tradition, bei der die Kinder die Höfe erben. Damit erben sie nicht nur Gebäude, Vieh und Flächen, sondern viel wichtiger: Know-how, das Wissen um die Beschaffenheit und die Bearbeitung der Äcker. Jeder Acker ist anders, ja kann sogar in sich höchst unterschiedliche Bodenverhältnisse aufweisen. Die muss man als Bauer kennen, um die Böden richtig zu bearbeiten, passende Pflanzen anzubauen und entsprechend zu düngen. Nein, ohne Dünger und Pflanzenschutz geht es nicht, und nein, kein Bauer wirft zu viel Dünger oder Pflanzenschutzmittel auf seine Äcker – das kostet zu viel Geld. Einen guten Acker aufzubauen ist ein Generationenprojekt.

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Was das bedeutet, mussten die Dänen erfahren. Dort begrenzte einst ahnungslose grüne Politik drastisch die Düngermengen, die Bauern ausbringen durften. Folge: Pflanzen wurden nicht mehr richtig ernährt und wuchsen nicht mehr richtig. Weitere Folge: Die Erträge brachen ein, Dänemark konnte seinen Brotweizen nicht mehr selbst produzieren, sondern musste ihn einführen. Gut, die Dänen haben mit diesem gefährlichen Unfug Schluss gemacht und die Bauern dürfen wieder nach Bedarf der Pflanze düngen. Doch es wird eine oder zwei Generationen dauern, bis die Böden wieder aufgebaut werden und gute Erträge liefern können.

Ein solches langfristiges Denken in der Landwirtschaft passt zu kurzfristigen städtischen Modeerscheinungen wie die legendäre Ananas nach Alaska. Bauer Willi greift auch eines der hohlsten Schlagwörter in der Debatte um die Landwirtschaft auf, den Verlust der sogenannten Biodiversität. Er zitiert dazu einen promovierten Agraringenieur: »Ich habe über Biodiversität auf dem Acker promoviert und zwei Dinge dabei gelernt: traue keiner Zahl und wir haben nicht den Hauch einer Ahnung, was Biodiversität eigentlich ist.«

Niemand weiß, wie viele Arten überhaupt auf der Erde leben. Er zitiert den bekannten Biologen Josef H. Reichholf, der 2008 ein Buch über das »Ende der Artenvielfalt« geschrieben hat: »Irgendwo zwischen zehn und 100 Millionen Arten dürfte die richtige Größenordnung liegen. In den letzten 25 Jahren ist man bei der Behandlung dieser Frage allerdings nicht viel weitergekommen, weil für die Erforschung der Artenvielfalt der Erde viel zu wenig Mittel bereitgestellt worden sind.« Reichholf setzt sich intensiv für Artenschutz ein, weiß aber auch, was man nicht weiß.

Diese Art differenzierten Denkens durchzieht das gesamte Buch. Willi Kremer-Schillings hat es in erstaunlich mildem Ton geschrieben, erstaunlich für jemanden, dessen Berufsstand gerade sprichwörtlich der Boden unter den Füßen weggezogen werden soll. Doch er warnt eindringlich: Ohne effektive Landwirtschaft haben jetzt noch satte Städter nicht mehr lange etwas zu essen.

Willi Kremer-Schillings, Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher. Westend Verlag, Klappenbroschur, 288 Seiten, 24,00 €.


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