Kann man eigentlich jeden Sonntag Hohn und Spott abliefern, ohne sich zu wiederholen? Stephan Paetow kann, denn er ist ein großer Mann der leisen Worte in einer Zeit der dröhnenden Erklärungen.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, man könne mit gewaltigen Worten seiner Wut Luft verschaffen und seiner Sorge Aufmerksamkeit. Es ist vielmehr der leise Spott, der vernichtet, der feine Hohn, der wirkt, die leisen Töne, die den Doppelsinn nahelegen und so die Urheber des beschriebenen Desasters bloßstellen.
Das ist die Kunst, die Stephan Paetow beherrscht. Er bleibt im Hintergrund, buchstäblich. Von dort schießt er seine Pfeile, präpariert mit dem schleichenden Gift von Ironie und Spott. Sie kommen aus unerwarteter Richtung und als treffsichere Pfeile fliegen sie leise. Es heulen keine Sirenen. Nur die Getroffenen.
Sorgsam achtet er darauf, seinen breiten Bildungshintergrund nicht zu deutlich durchscheinen zu lassen; Bildung ist subversive Handelsware, ihre Scherben werden gegen den Gebildeten eingesetzt. Sie entfaltet ihre Wirkung erst am Zielort, nachdem die Zöllner der Meinungsfreiheit sie durchgewinkt haben. Er spielt mit den Früchten einer germanistischen und anglistischen Ausbildung. Vielleicht beschäftigen sich später einmal Philologen mit seinem Werk und suchen nach Quellen und Analogien. Es ist ein Kanon der Literatur, der sich da aufblättert.
Paetow ist der Nervenarzt einer aufgewühlten Zeit. Er verstärkt nicht, er läßt die Mächtigen zur Ader. Er läßt ihre Luft ab. Wozu sollte man bei Annalena Baerbock oder Katrin Göring-Eckhardt noch aufschreien? Ochsen reagieren nicht auf Schreie, sie laben sich am eigenen Gebrüll. Man liebt sie für ihre treuherzigen Kuhaugen.
So leistet Stephan Paetow Lebenshilfe auf einer Farm der Tiere, auf der die Gänse die Königinnen sind, die Pfauen für ihre Wörter gewählt werden, die Hühner zwar gackern, aber keine Eier mehr legen und die Klugheit der Ochsen anhand ihres Körpergewichts gemessen werden.
Seine Fans sind keine Leser, oder nur auf den ersten Blick. Sie sind Süchtige, die nach der Entspannung gieren, die Distanz und Lachen vermitteln. Sie sind sprachsüchtig, suchen zwischen den Zeilen den Hohn, der sie dann in der nächsten anspringt wie ein Aufzieh-Frosch.
Stephan Paetow kann die Absurditäten, die uns auf den politischen Bühnen des Landes und der Welt zugemutet werden, mit rasiermesserscharfen Kommentaren und gallenbitterem Humor so auseinandernehmen, dass sich unser Unbehagen in schallendem Gelächter löst. Uns befreit. Dazu ermutigt, uns von diesem Wahnsinn nicht mundtot machen und klein kriegen zu lassen. Er kämpft nicht mit dem Säbel; sein Florett trifft stets den wunden Punkt.
Sein inzwischen zum siebten Mal erscheinender Jahresrückblick, diese „Chroniken von Absurdistan“, sollte es eigentlich zusammen mit den vorhergehenden Ausgaben im Schuber geben, ein Lexikon des Niedergangs einer früheren Kulturnation, die Kindergärtnerinnen umbenennt in „Kindertagespflegepersonen“. Man kann es nicht erfinden, man muss es aufschreiben, wie die Anleitung zu einer Schnitzeljagd, die zur Quelle des Irrsinns führt.
Etwa zur Migrationspolitik: „Was aus Scholzens „Abschieben im großen Stil“ geworden ist? Isch over. „Es wird angenommen“, gibt das Faeser-Ministerium auch noch schriftlich zu Protokoll, „dass durch die Verschärfung der Ausreisepflicht die Anzahl der Abschiebungen um rund 600 (fünf Prozent) steigen wird.“ Da gucken die Schwarzen verdattert, die Gelben weg und die Grünen grinsen. Was ist das? Arbeitsverweigerung? Menschenverachtung (die Verachtung derer, die schon länger hier leben)?“
„Nun sind wir nicht RegBerlin, aber wir können bestätigen: Ein Lehrer forderte in Berlin-Neukölln einen jungen Neubürger, 14, auf, die palästinensische Fahne auf dem Schulhof zu entfernen. Gut, dass der Knabe nicht allein war, sondern gleich ein 15-Jähriger zur Hilfe kam und dem fehlgeleiteten Pädagogen einen Kopfstoß verpasste und ihm danach noch in den Bauch trat. Der unsensible Schulmeister wurde unmittelbar vom Dienst suspendiert.“ Niemand kann vor Paetow sicher sein, schon gar nicht die höchsten Autoritäten der Selbstanmaßung.
„Nach den schrecklichen Geschehnissen in Israel fordert der Chef des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein gewisser Schuster, „gegen die AfD eine härtere Gangart“. Hier müssen wir uns bei unseren Lesern entschuldigen, denn auf den Zusammenhang Hamas & AfD konnten wir uns auch nach längerem Nachdenken keinen Reim machen. Vielleicht finden Sie andernorts eine zufriedenstellende Erklärung.“
Meine Empfehlung: Sichern Sie sich mindestens acht Exemplare. Eines zum Selberlachen im Rückblick und sieben, um Lachen zu verschenken. Ein paar Freunde hat ja jeder, denen man was gönnen kann. Ich finde (vielleicht nicht ganz selbstlos) auch 2023 sollte Stephan Paetows „Blackbox“ unter keinem Weihnachtsbaum fehlen. Sie eignet sich auch vorzüglich als Gastgeschenk für die Silvesterparty oder als aufmunternder Gruß zu Jahresbeginn. Es gibt wenig Vergleichbares.
Stephan Paetow, Blackbox 2023. Die Chroniken von Absurdistan – unverschämt ehrlich, bitter-süß, zum Schreien komisch. Wishing Well Media, Paperback, 112 Seiten, 19,90 €.
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