Tichys Einblick
Museumsreife Geräte bei der Polizei

Uralte Server: Mit Atari und Commodore auf Verbrecherjagd

Etwa 160 völlig veraltete Server werden von der Berliner Verwaltung weiter genutzt – auch von Polizei und Feuerwehr. Extra dafür muss sündhaft teurer technischer Support in den USA eingekauft werden. Die Bundeshauptstadt wird zum El Dorado für Profi-Hacker.

Symbolbild

picture alliance/dpa | Christian Ender

„Space Cowboys“ ist ein wundervoller Film. Er handelt davon, wie vier pensionierte NASA-Astronauten die Welt retten, als ein uralter und mit Atomraketen bestückter sowjetischer Militärsatellit defekt Richtung Erde stürzt und unseren schönen blauen Planeten zu zerstören droht.

Das betagte NASA-Quartett wird für den Dienst im All reaktiviert, weil außer den rüstigen Rentnern niemand mehr weiß, wie so ein alter Satellit funktioniert. Die Vier – gespielt von Clint Eastwood, James Garner, Tommy Lee Jones und Donald Sutherland – sollen mit einem Space Shuttle den Satelliten ansteuern und ihn reparieren.

Bei der Mission geht viel schief, aber letztlich wird die Welt natürlich gerettet. Das Ganze ist ein herrliches Stück Hollywood.

Etwas ganz Ähnliches wie bei den „Space Cowboys“ passiert gerade auch in Berlin. Allerdings ist hier eher fraglich, ob Rettung naht und die Welt gerettet wird. Oder zumindest die Stadt.

In unserer geliebten Bundesmetropole funktioniert die Verwaltung bekanntlich nur mehr oder weniger, und meistens weniger. Ein Grund ist der recht erfolgreiche Partisanenkrieg der hier besonders mächtigen Gewerkschaft ver.di gegen eine umfassende Digitalisierung der Berliner Behörden. Doch auch dort, wo tatsächlich neben den Faxgeräten auch Computer benutzt werden, ist die IT-Infrastruktur hoffnungslos veraltet. Wie veraltet, musste der Senat jetzt auf Nachfrage im Abgeordnetenhaus der Stadt zugeben.

Landesweit sind noch etwa 160 Server des Typs Windows 2012 R2 im Einsatz. Das ist, wie der Name schon sagt, ein 13 Jahre altes Modell. Angesichts der rasend schnellen technischen Entwicklung im Computerwesen ist das ungefähr so, als würde die Lufthansa ihre Linienflüge von Frankfurt nach New York in einer Junkers 52/3m absolvieren, also in der alten „Tante Ju“.

Der Regel-Support der Berliner Uralt-Server ist schon 2018 abgelaufen. Aber fehlender Support ist das größte Sicherheitsrisiko für Netzwerke. Berlin verzeichnet eine große und jedes Jahr wachsende Zahl von Hackerangriffen auf seine Systeme.

Die schrottreifen IT-Geräte werden in durchaus sicherheitsrelevanten Behörden genutzt: Polizei und Feuerwehr gehören dazu, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten und mehrere Senatsverwaltungen. Zu einer möglichen Nutzung der Uralt-Server beim Berliner Verfassungsschutzes macht der Senat wegen „Geheimhaltungsbedürfnissen“ keine Angaben.

Ein Dementi ist das nicht.

Um zumindest halbwegs geschützt zu bleiben, zahlt die Stadt viel Geld an Microsoft – damit das US-Unternehmen den eigentlich beendeten Support exklusiv für die Server an der Spree weiterführt. Die Summe wird nicht genannt, aber man kennt die Tarife von Bill Gates ja (vielen Dank an dieser Stelle übrigens an Bayern, wegen Länderfinanzausgleich und so).

Doch auch diese teure Lösung kommt absehbar an ihr Ende. Denn die außerplanmäßigen Sicherheitsupdates laufen im Oktober 2026 endgültig aus. Danach stellt Microsoft jeden Support ein, und es ist Schicht im Computerschacht.

Bis dahin muss Berlin seine historischen Geräte ausgetauscht haben. Andernfalls wird die Stadt absehbar zum El Dorado der internationalen staatlichen und privaten Hackerszene.

Nun drängt sich auch Ihnen, lieber Leser, sicher schon seit mehreren Absätzen eine Frage auf:

Warum nutzt unsere Bundeshauptstadt die alten Server überhaupt noch, wenn es für die schon lange keinen regulären Support mehr gibt? Warum hat Berlin nicht einfach längst 160 moderne Server angeschafft? Teurer als der zugekaufte Spezial-Support von Microsoft wäre das auch nicht gewesen.

Die besten Pointen sollen ja immer am Schluss kommen, deshalb wird dieses Rätsel erst jetzt gelöst: Die alte Hardware wurde deshalb noch nicht ausgetauscht, weil die von der Berliner Verwaltung nahezu flächendeckend benutzte Software ihrerseits so alt ist, dass diese Programme von neuen Servern gar nicht mehr unterstützt werden.

Kein Scherz.

„In Berlin gibt es das große Museum für Verkehr und Technik“: So steht es in fast allen Reiseführern für die Mauerstadt. Doch der Satz stimmt nicht. Sachlich korrekt wäre eine andere Formulierung:

„Berlin ist ein großes Museum für Verkehr und Technik.“

Anzeige
Die mobile Version verlassen