Tichys Einblick
Bei Wotan! Illegale in Hannover?

Quotenkiller politischer Tatort: „Verborgen“

Nach den miesen Einschaltquoten der Doppelfolge an Ostern legt ARD gleich am folgenden Wochenende nach. Diesmal im Tatort-Krimi-Angebot: Flüchtlinge, die eigentlich keine sind, und ein menschlicher Bundespolizist.

Szene aus dem am 16. April in der ARD ausgestrahlten Tatort "Verborgen"

Screenprint: ARD Mediathek / Tatort

Nachdem die als besondere Osterdelikatesse angekündigte Doppelfolge des Tatorts aus Berlin der ARD miese Einschaltquoten und sogar aus dem wohlmeinenden Lager vernichtende Kritik einbrachte – taz: „So gut wie alles in diesem Tatort wirkt falsch, verstellt, gekünstelt, bemüht künstlerisch inszeniert, unglaubwürdig“ –, hat die Sendergemeinschaft gleich am folgenden Wochenende mit dem nächsten Sozialdrama (n-tv) über illegal in Deutschland Lebende nachgelegt.

Ein Lkw-Fahrer entdeckt im Staufach seines Wagens eine ganze Gruppe von schwarz Mitfahrenden, die sich daraufhin schnell in die Büsche schlagen. Einer ist offenbar während der anstrengenden und riskanten Odyssee vom bayerischen Passau Richtung Großbritannien an einem Herzinfarkt verstorben. Ein Fall für die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz), die für Schleuserkriminalität zuständig sind und hier der Landespolizei unter die Arme greifen sollen.

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Der Schauspieler mit dem Namen des nordischen Kriegsgottes und der kantigen Figur könnte eigentlich prima in die Fußstapfen des mit Götz George lange von deutschen Bühnen abgetretenen Typus des Macho-Polizisten treten, vorsichtshalber hat man ihm deshalb zwischen seine breiten Schultern und unter das kantige Kinn besonders viel soziale Wärme gepflanzt (ARD): „Er pflegt einen proletarischen Gestus, den er von seinem Vater und Großvater geerbt hat, die beide als Hafenarbeiter in der Hamburger Arbeiterbewegung aktiv waren.“

Der tote schwarze Jugendliche in dem Lkw dient nur zum Einstieg der Bundespolizisten in einen Vermisstenfall und dessen möglichen Schleuserhintergrund. (Wie) Zufällig treffen Grosz und Falke auf Jon Makoni (Aloys Moyo), der nun seit 8 Tagen nach seinem Sohn Noah, der ungefähr dasselbe Alter wie der Tote aus dem Lkw hat, sucht. Der Cowboy von der Polizei nimmt den vor 11 Jahren aus Simbabwe mit einem Touristenvisum Eingereisten, der zwar Asyl beantragt hat, aber doch ohne Papiere nur mit Hilfe „vieler guter Menschen“ in Hannover lebt (weil das mit dem Asylverfahren „kompliziert sei“) unter seine Fittiche und stiefelt breitbeinig mit ihm auf der Suche nach dessen Sprössling auch durch die Black Community von Hannover.

Und obwohl Drehbuchautorin Julia Drache meint, dass nur „das Drama im Vordergrund steht … man sich nur auf das Schicksal und das Leid dieser Menschen konzentriert…“, geht es doch um die „Kehrseite des Sozialstaats“ (Franziska Weisz), um „das politische Anliegen, auf die Lebensumstände von geflüchteten Menschen aufmerksam zu machen, die ohne Papiere in Deutschland leben“ (Sheri Hagen) und „mit ihrer Schwarzarbeit unseren kapitalistischen Laden mit am Laufen halten“ (Regisseurin Neelesha Barthel). Nach dem x-ten Krimi mit unterschwelliger Botschaft sind aber einige Journalisten offenbar auf ihrer Hut.

Die „Süddeutsche“ findet es seltsam: „nie zeigen die Figuren – auch die Ermittler nicht – irgendetwas, das nicht direkt im Dienst von Handlung und Botschaft steht. Man kann das freundlich Schnörkellosigkeit nennen, oder auch Mechanik …“ Und dem Kommentator der Augsburger Allgemeinen, Ronald Hinzpeter, reißt wegen diesem wie er ihn nennt „Aufklärungsfilm“ offenbar der Geduldsfaden: „Das alles ist eher mittel spannend inszeniert und dient vielmehr dazu, ausführlich und mit viel Verständnis die Welt derer zu zeigen, die von sich selber sagen, sie seien unsichtbar. So wurde aus dieser Folge eben ein Sozialdrama mit starker Volkshochschul-Schlagseite. Damit hat der NDR wieder mal seinen Bildungsauftrag erfüllt. Und wir haben etwas gelernt: Dass es unter uns viele Illegale gibt und dass ein Krimi darüber ziemlich lahm sein kann.“

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Drehbuch-(Ko)-autorin Sophia Ayissi zog die Inspiration für den Krimi aus ihrem „familiären Umfeld …die hier teils über Jahre ohne Aufenthaltspapiere gelebt haben. Weil sie ein grundlegender Teil meiner Welt waren, ist mir das lange überhaupt nicht bewusst gewesen. Ihre Erzählungen waren für mich ein Schlüsselmoment. So kam der Wunsch auf, daraus einen Filmstoff zu entwickeln.“ Leicht nachvollziehbar, wie schmerzhaft dieses jahrelange Versteckspielchen mit den pingeligen Deutschen und den ständig von Abschiebung bedrohten Neubürgern werden kann. Wo ein Busausweis eben nicht reicht, um die eigene Identität zweifelsfrei nachzuweisen, wenn es ernst wird, und man die Unterstützung der Behörden, der Obrigkeit, des Systems mal braucht.

Thorsten Falke darf in diese Hinterhofwelt aus prekärer Beschäftigung auf Recyclinghöfen, als Putzfrau, Küchenhilfe oder Abrisshelfer eintauchen, wo ihm und auch Kollegin Grosz aber immer der Ruch des Bullen anhängt. Wie es Hope Makoni (Sheri Hagen) auf den Punkt bringt: „Wir können niemandem in diesem Land vertrauen … Du hast hier keine Rechte.“ Aber trotzdem: „Deutschland ist besser als nix“ (Ehemann Jon Makoni).

Gelobtes Engeland! – Interessant, zu welch unwahrscheinlicher Popularität Post-Brexit-Großbritannien in diesem Tatort gelangt, wo offenbar alle Schleuser-Lkws in diese Richtung abfahren und junge Migranten voll des Lobes sind für „die größere Community“ und das „bessere Geld“, das da offenbar winkt. In Deutschland gebe es nur „shit jobs“ (Hope Makoni), seine Träume „bringt man woanders an den Start“ (Sam, Noahs Freund, gespielt von Ben Andrews Rumler).

Tatsächlich führen die Ermittlungen von Falke und Grosz über den doch noch Vertrauen zu den „Bullen“ fassenden Sam zu einem Schleusernetzwerk. 1000 Euro Anzahlung auf eine 10.000 Euro teure Überfahrt nach Großbritannien, zu deponieren im „Späti“ bei der Kassiererin (Mercy Dorcas Otieno). Nicht überraschend, dass der vorbestrafte Nick Geissendörfer (Markus Frank), den Kommissaren einschlägig bekannt, am Ende dahinter steckt. Aber mit dem Tod des unbekannten Flüchtlings oder dem Verschwinden von Noah hatte er nichts zu tun.

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Wenn es ernst wird, dann braucht man im modernen Industrie- und Sozialstaat Deutschland einen richtigen Arzt, einen korrekten Polizisten, eine funktionierende Bürokratie/Verwaltung. Eine Altersversorgung. Die, die sich in Hannover nicht im Lichte befinden, die man nicht sieht (Brecht, Dreigroschenoper), können vom System nicht profitieren, sondern behelfen sich irgendwie. Einen wichtigen Teil dieser Hilfe stellt die Ärztin Simone Kemper (Rebecca Rudolph), die in einer sogenannten „medizinischen Beratungsstelle“ arbeitet, wo „den ganzen Tag das Wartezimmer voll ist“. Nebenher putzt Hope Makoni für sie – schwarz, versteht sich. Sie sei, so Kemper, „erste Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere“. Früher arbeitete sie in der Notaufnahme eines Krankenhauses – dort aber ist sie unzufrieden, auch weil viele dorthin nur wegen kleiner Wehwehchen kamen „die alle von der Kasse übernommen“ werden.

Die sich so selbstlos für die „Verborgenen“ einsetzt, ist letztlich für den Tod des vermissten Sohns von Hope und Jon verantwortlich. Noah war auf der Baustelle des ausbeuterischen Abrissunternehmers Rudolf Wehrmüller (Michael Lott) verunglückt, der, um seine Schwarzarbeit geheim zu halten, nur sie zu dem Schwerverletzten gerufen hatte. Angeblich auf dessen Druck hat sie es dann unterlassen, den vielleicht lebensrettenden Notarztwagen zu rufen.

Die „Duldung“ (de-facto Aussetzung der Abschiebung), die Hauptkommissar Falke mehrfach den sich ohne Papiere in Deutschland Befindlichen wie sauer Bier anbietet, hätte dem Jungen womöglich das Leben gerettet. Aber, wie der „Spiegel“ es sieht: „Die Reaktion ist stets dieselbe: offensives Desinteresse. Lieber leben die Geflüchteten ohne Papiere im Verborgenen weiter, oder sie versuchen, sich unter großem Risiko nach Großbritannien durchzuschlagen, als aufs Beamtenmitleid angewiesen zu sein und dadurch am Ende möglicherweise noch mehr zum Spielball der deutschen Bürokratie zu werden. Duldung my ass.“

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