Beginnen wir mit dem Positiven. Alice Schwarzer ist eine der wenigen deutschen Feministinnen, die gegen die Frauenfeindlichkeit des Islam argumentieren: „Feind Nummer eins für die Islamisten ist die Emanzipation der Frau.“ Man habe vor diesen „Faschisten des 21. Jahrhunderts“ viel zu lange die Augen verschlossen.
In der Tat: Hierzulande halten viele Feministinnen das Tragen des Hijab und andere Formen der Verschleierung für die freie Entscheidung ihrer Trägerinnen oder gar für ein modisches Accessoire. Schwarzer aber äußerte einst sogar Verständnis für „Pegida“ und handelte sich für ihre Bewertung der Vorfälle in Köln in der Silvesternacht 2015/16 – als Terror – prompt das Etikett „Rechtsfeministin“ ein. Und das in den ihr einst so innig zugetanen Kreisen!
Und dann auch noch das: Sie hält Gendern für ein „Hobby der akademischen Jugend“, „es ist eine Sprache, die das Leben verschleiert, es sind Codes unter Eingeweihten. (…) Ich finde das elitär.“
Solche Positionen erfordern Mut oder ein dickes Fell – über beides verfügt sie reichlich, gestählt in Jahrzehnten der Selbstbehauptung. Über ein besonders dickes Fell aber sollten vor allem all jene verfügen, die sie ins Visier nimmt. Und das sind auffallend häufig Frauen, die sie oft unflätig beschimpft.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Alice Schwarzer nicht die beste Freundin der Frauen ist; das glauben höchstens die Männer, die sich einschüchtern lassen von starken Thesen wie die, sie seien alle potenzielle Vergewaltiger und keine Frau schätze, was Schwarzer „Penetration“ nennt.
Oder Schwanz ab? Als die Amerikanerin Lorena Bobbitt 1994 ihrem gewalttätigen Mann im Schlaf den Penis abtrennte, frohlockte Schwarzer: „Sie hat ihren Mann entwaffnet. […] Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. (…) Es kann zurückgeschlagen werden. Oder gestochen. Amerikanische Hausfrauen denken beim Anblick eines Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersilie-Hacken. (…) Da muss ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich!“
Ein zweiteiliger Film über Alice Schwarzer, dem sie begeistert ihren Segen erteilt hat, zeigt, ob gewollt oder ungewollt, wie sie das Frauenthema für sich entdeckt und das Geschäft der Selbstvermarktung perfektioniert hat.
Ihre Kampagne „Ich habe abgetrieben“ betraf viele Frauen und war ein Meisterstück. 1971 überredete sie 374 prominente und weniger prominente Frauen, sich beim Stern zu etwas zu bekennen, was damals illegal, also lebensgefährlich, und strafbar war. Wer heute Abtreibung bis zum letzten Schwangerschaftsmonat fordert, begreift nicht, dass es nicht darum geht, „für“ Abtreibung zu sein, sondern gegen ihre Kriminalisierung, die Frauen zu Pfuschern und Engelmacherinnen getrieben hat.
Mit diesem Paukenschlag beginnt die Karriere der Alice Schwarzer – die im Übrigen selbst nicht abgetrieben hatte.
Sie ist ehrgeizig. Sie will Journalistin werden, in der Männerwelt reüssieren. Dem Pariser Lebensgefährten Bruno, mit dem sie immerhin zehn Jahre zusammen ist, räumt sie kein Mitspracherecht ein, wenn es um karrierebedingten Ortswechsel geht, Alice geht vor. (Der im Film zerbrechlich und milde wirkende Franzose dürfte ebensowenig Vorlage für ein negatives Männerbild gewesen sein wie der Großvater, bei dem sie aufwächst.)
Sicher, sie trifft, wir sind in den 1960er Jahren, auf arrogante, herablassende, verständnislose Männer – aber auch auf Rudolf Augstein, der sie zum Spiegel holen will. Woran das scheitert? An den Spiegel-Redakteuren – darunter gewiss auch die eine oder andere Frau. Also stemmt sie ein eigenes Blatt – Emma, das im Januar 1977 das erste Mal erscheint. Auch das eine beachtliche Leistung, die sich allerdings nicht zuletzt der Selbstausbeutung ihrer Mitarbeiter verdankt. Und, natürlich, der unermüdlichen Alice. Wie soll sich da jemals eine Nachfolgerin finden lassen? Sie versuchte es, 2008, mit der Fernsehjournalistin Lisa Ortgies. Das ging bereits nach acht Wochen schief, was kaum jemand wunderte, der die Herrische kennt.
Schwarzer bestimmte stets, was feministische Sache ist. Und sie duldet keine Konkurrenz. „Frau sein allein reicht nicht“, postulierte die Vorkämpferin des Feminismus, Frauen mussten schon ihre Überzeugungen teilen. Andernfalls galten sie als Kollaborateure mit dem Feind, und wenn sie sich allzu hübsch gaben, betrieben sie „Selbstvernuttung“. So verfuhr sie später auch mit den „Girlies“ und „Propagandistinnen eines Wellness-Feminismus“, die den Feminismus „verludern“ ließen. Eine strenge Übermutter darf nicht zimperlich sein!
Das Biopic mit der hervorragenden Schwarzer-Darstellerin Nina Gummich zeigt in überraschender Deutlichkeit, wie strategisch Schwarzer gegen Konkurrenz vorgehen konnte. Man trug ihr 1975 an, Esther Vilars Buch „Der dressierte Mann“ zu rezensieren, was sie desinteressiert ablehnte. Doch als sie begriff, wie erfolgreich das Buch ist, witterte sie einen Angriff auf ihre Deutungshoheit, rüstete auf und ließ sich auf eine unmoderierte Fernsehrunde mit Vilar ein.
Der Film zeigt, wie sie bereits in der Maske versucht, die erfolgreiche Vilar zu zermürben, indem sie sie extra lange warten lässt. Im Studio eingetroffen, legt sie los. Schwarzer ist ab Minute eins in Angriffsstellung. „Haarsträubenden Unsinn“ habe Vilar geschrieben, voller Konfusion und Frauenverachtung, vielleicht sei ja sogar ihr Mann der Autor. Mit überlegenem Gesichtsausdruck und im Verhörton wird Vilar belehrt, bis ihr endlich die Anklageschrift ausgehändigt wird: Man müsse ihr den Prozess machen, sie sei eine Sexistin, ja, eine Faschistin. Vilar lächelte selbst da noch ruhig. Hardcore-Feministinnen dürften gejubelt haben.
Dass sie eine Ikone der Frauenbewegung sei, beruht auf einem Missverständnis. Eigentlich ist sie der beste Freund der Männer. Denen hat das Weltbild der Oberfeministin zunächst einen unschätzbaren Dienst getan: Sie durften Frauen als arme Hascherl betrachten, als Opfer, die beständig gefördert und beschützt werden müssen.
Doch das hat sich als Falle entpuppt. Frauen sind gerade in der Opferrolle mittlerweile übermächtig. Ein Mann, der des Sexismus oder der Vergewaltigung beschuldigt wird, ist heute in seiner Existenz ruiniert. Der Verdacht genügt, im Zweifel für den Angeklagten gilt hier nicht mehr.
An dieser fatalen Entwicklung hat Schwarzer einen großen Anteil – etwa dank ihrer Berichterstattung in der Bild-Zeitung über den Wettermoderator Jörg Kachelmann, den eine düpierte Geliebte fälschlich beschuldigte, sie vergewaltigt zu haben. Gisela Friedrichsen bezeichnete sie daraufhin als „fanatische Feministin“, die auf „rechtsstaatlichen Garantien wie etwa der Unschuldsvermutung öffentlich“ herumtrampele.
In Deutschland ist Feminismus zu einer weiblichen Problemzone geworden, die auch mit symbolischen Sprechakten nicht mehr glattgebügelt werden kann. Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun. Höchstens mit Alice Schwarzer.