Sein Lieblingswort war „Ehre“; jenes, das er am meisten verabscheute: „virtuell“. Das erklärte Alain Delon 1996. Und man versteht noch immer gut, wie er zu diesen Antworten kam. Heute ist fast alles virtuell geworden, auch dieser Auftritt des französischen Schauspielers in einer Gesprächssendung, der aber noch klar genug an die analoge Welt erinnert. Am Sonntagmorgen ist Alain Delon im Alter von 88 Jahren auf seinem Anwesen bei Paris verstorben. Die Masse und die Intensität der Reaktionen lassen einen Staatsakt erwarten, der namentlich auch Emmanuel Macron zugetraut wird, auch wenn alles feststellt, dass mit Delon ein Mann gegangen sei, der keine Ähnlichkeit mit dem Regisseur der olympischen Eröffnungszeremonie, Thomas Jolly, hatte.
Kein Schauspieler (comédien) wollte er sein, sondern Darsteller (acteur). Und das beschreibt gut, wie Delon zum Film gekommen war und wie er sich zeitlebens dazu verhielt. Nach einer rauhen Kindheit mit vielen Schulverweisen (mindestens sechs, laut Gerüchten sogar 17) und einer selbstgewählten Zeit als Soldat in Indochina, war er zunächst Mitglied der unteren, kriminellen, dann der oberen, glanzvollen Halbwelt geworden. Der Wechsel geschah fast bruchlos durch Lieb- und Bekanntschaften, die ihn erst nach Cannes und dann fast nach Hollywood führten – ein Angebot, das er dann aber doch ablehnte. Das war wohl ein Aufglimmen von Patriotismus.
In einem seiner früheren Filme – „Christine“ (1958) von Max Ophüls nach Arthur Schnitzler – spielte er, vielleicht etwas unpassend, einen österreichischen Dragoner-Unterleutnant. Die Schärfe seines Spiels passte eigentlich gar nicht zum k.u.k.-Idyll, aber bildet eben dadurch einen interessanten Kontrast, ein Spiel mit den Möglichkeiten. Romy Schneider, die damals bekannter als er war, hatte ihn aufgrund seines Aussehens ausgewählt. Auch der US-Produzent David O. Selznick, der ihn nach Hollywood verpflichten wollte, konnte kaum mehr kennen als Delons Ausstrahlung. Bei gewissen Naturen sagt ein Blick fast alles, und die Unschuld des jungen Mannes, hinter der man seine Härte erahnen konnte, dürfte den Rest getan haben.
Die Grenzen, die er respektierte
Der Urknall von Delons Karriere war sicher jenes gut gealterte Kriminaldrama namens „Plein Soleil“, das auf Deutsch als „Nur die Sonne war Zeuge“ erschien, basierend auf dem Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith, der 1999 noch einmal mit Matt Damon verfilmt wurde. 1960 spielte Delon den Ripley mit großer Unbekümmertheit. Der Thriller der dunkelsten Art spielt sich im gleißenden Licht Kampaniens ab, wie schon der recht poetische Titel sagt.
In dasselbe Jahr fiel die erste Zusammenarbeit mit dem italienischen Regisseur Luchino Visconti, in „Rocco und seine Brüder“. Drei Jahre danach folgte „Der Leopard“ zusammen mit Burt Lancaster. Auch darüber hinaus blieb Delon der große, schöne Mann des französischen und manchmal europäischen Kinos, der durch eine Mischung von Charme, Unnahbarkeit und Understatement für sich einnahm, ob als Guter oder Bösewicht. Manchmal vertat er sich auch mit einem Projekt wie vielleicht bei „Zorro“ (1975), aber dieser Gerechtigkeits-Western brachte immerhin 50 Millionen Kinobesuche in der UdSSR ein.
Er lehnte aber auch große Rollen ab, die ihm nicht passten, etwa ein Angebot aus den Siebzigern, James Bond zu spielen, oder auch die Hauptrolle in „Taxi Driver“ von Martin Scorsese. Die Rolle des Sherif Ali in „Lawrence von Arabien“ soll er 1962 abgelehnt haben, weil er keine dunklen Kontaktlinsen tragen wollte. Auch im „Paten“ von Francis Ford Coppola wollte er nicht mitspielen: Er hätte Englisch mit italienischem Akzent sprechen müssen: „Das gefiel mir nicht.“ Meist ging es dabei um Sprache und Kultur, die Delon gemäß alter Etikette keinem Schleudergang aussetzen wollte. Damit respektierte er auch seine eigenen Grenzen.
Gaullist und Verteidiger der Rechten
Politisch hielt Delon jener normalen, gewöhnlichen ‚Mittelwelt‘ die Treue, die zwischen den Extremen lag. Delon war Gaullist und Konservativer. 1969 hatte er einen Brief an den General gerichtet, kurz vor dessen Rücktritt: „Seit jeher und mehr noch seit einigen Jahren war ich dank Ihnen stolz darauf, Franzose zu sein. Heute Abend, angesichts der Undankbarkeit und der Rücksichtslosigkeit von mehr als der Hälfte eines Volkes, empfinde ich mit Schrecken ein Gefühl der Scham, das mir das Herz bricht.“ Die Hälfte der Franzosen hatte gerade in einem Referendum gegen ein Wunschprojekt des Generals gestimmt.
Daneben war er seit seiner Zeit in der Armee mit Jean-Marie Le Pen befreundet. 1986 sprach er so von ihm: „Er ist sympathisch. Er sagt Dinge laut, die andere sich kaum trauen, leise zu sagen. Er spricht anders.“ Und er redete nicht um den heißen Brei herum: „Die extreme Rechte ist immer noch die Rechte. Sie umfasst einige Millionen Franzosen. Die Meinung von einigen Millionen Franzosen kann man nicht ignorieren und geringschätzen, das ist entscheidend.“ Er selbst stimmte in manchem mit Le Pen überein, in anderem nicht. Jedenfalls sei der aber ein langjähriger Freund: „Ich bin ein großer Sympathisant von Herrn Le Pen, Punkt.“ Gab es deshalb einen Skandal? Er wäre spätestens heute vergessen.
Seine Sammelleidenschaft für Waffen war eine der weniger bekannten Seiten Delons. Anfang des Jahres wurden 72 Schusswaffen und 3000 Schuss Munition auf seinem 52-Hektar-Anwesen in Douchy, südlich von Paris, beschlagnahmt. Er war – auch das kaum bekannt – ein Liebhaber der amerikanischen Western-Zeit gewesen, „einer Geschichte von Männern und Mut, in einer wilden, schönen und grausamen Epoche“.
Eine Emotion, die das Land durchzieht
Das Ende von Delons Lebens war von Krankheit überschattet. Einige Äußerungen klangen so, als suchte auch Delon eine Abkürzung in Himmel oder Fegefeuer – denn von diesem glaubte er, dass es ihm bevorstand. Nach mehreren Schlaganfällen hatte sein Lebenswille Kratzer bekommen. Lange noch hatte er die Tageszeitung Le Parisien mit Leserbriefen geehrt, wenn er Thema eines Artikels war und sich nicht allzu sehr darüber geärgert hatte.
Nun zeigt sich eine ganze Nation umgeworfen, wie unter die Räder gekommen. Die großen Sender haben umgehend ihr Sommerprogramm weggeräumt, um die wichtigsten Filme und anderes Hommages zu zeigen. Premierminister Attal fand die vielleicht wahren Worte: „Die Emotion, die unser Land durchzieht, ist dem Mann, seinem Talent und seinem Vermächtnis angemessen.“ Diese gehörten nun mehr denn je zum französischen Kulturerbe.
Für den Journalisten und politischen Aktivisten Éric Zemmour ist mit Delon gar „der schönste Mann des 20. Jahrhunderts“ gestorben: „Er trug unsere Kunst zu leben und zu lieben in die ganze Welt“, sei „die Verkörperung der französischen Eleganz, des französischen Stils und des französischen Kinos“ gewesen.
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Bardot: Wir teilten die gleichen Werte
Seine nicht minder große Kollegin Brigitte Bardot verschickte am Sonntag eine handschriftliche Botschaft. Delon hinterlasse „eine abgrundtiefe Leere, die nichts und niemand füllen kann“. Sein Tod „beendet das großartige Kapitel einer vergangenen Epoche, deren souveränes Denkmal er war“. Und mehr noch gestand Bardot: „Ich verliere einen Freund, ein Alter Ego, einen Komplizen. Wir teilten die gleichen Werte, die gleichen Enttäuschungen, die gleiche Tierliebe.“
Claudia Cardinale, die mit Delon im „Gattopardo“ von Luchino Visconti spielte, hat vielleicht eine der ehrlichsten Reaktionen gezeigt: „Man hat mich gebeten, Worte zu finden… aber die Traurigkeit ist viel zu groß. Der Ball ist vorbei. Tancredi ist fortgegangen, um mit den Sternen zu tanzen…“
Für Marine Le Pen hat sich eine „Legende verabschiedet“ und damit ein „kleines Stück Frankreich, das wir lieben“. Der Chef der Republikaner, Éric Ciotti, ist sich sicher, dass Delon die Franzosen „noch lange begeistern wird“. Er sei ein „französischer Mann mit großem M“ gewesen, ein „aufrichtiger Patriot und Mann der Rechten“. Immer habe er eine „bestimmte Idee Frankreichs verteidigt“.
Mehr noch: Delon verkörperte eine bestimmte Idee Frankreichs von sich selbst, und insofern fühlt sich der Verlust gewaltig an. Viele Franzosen glauben aber auch, dass die nun entstehende Leere sich neu füllen werde – so sei es immer, bei allen „Unersetzlichen“ gewesen. Einige hoffen mit einem Augenzwinkern, dass nun nicht auch noch die Bardot stirbt. Denn dann würde es wohl noch länger dauern mit Macrons Regierungsbildung.