Wer viel hat, kann viel verlieren. Die großen Auflagen-Verlierer sind erneut BILD und BILD am Sonntag. Weitere 10 Prozent und 8,7 Prozent der Abo- und Einzelverkaufs-Auflage büßte Springers BILD-Doppel ein.
Boulevard ist ein schweres Geschäft
BILD erreicht gemeinsam mit dem Ableger Fußball-BILD inzwischen nur noch 1,46 Mio. Käufer per Abo oder Einzelhandel. Gemessen am Vorjahresquartal gingen weitere 162.576 abhanden – ein Minus von 10,0%. Unfassbar, wenn man bedenkt, dass BILD einmal über 4 Millionen Exemplare verkaufte. Boulevard-Zeitungen sind die Verlierer in der Printkrise; ihren leichten Stoff gibt es schneller und gratis auf dem Smart-Phone und den vielen oberflächlichen Portalen mit den bunten Bildern und Themen. Nackte Mädchen, immer ein Kaufargument, ziehen sich in anderen Medien sogar bewegt aus. Der politische Schwenk beider Blätter vor allem in der Flüchtlingskrise, weg vom rechten Springer-Weg, wird ein übriges getan haben und verlorenes Vertrauen ist nicht einfach zurückzugewinnen: „Refugees Welcome“, diese Strategie/Kampagne des früheren Chefredakteurs und Herausgebers Kai Diekmann war wohl schlicht falsch.
Auch „Qualitätszeitungen“ verlieren
Aber rote Zahlen gibt es nicht nur bei Boulevard-Zeitungen. Mehr als 5% verloren in den beiden wichtigsten Auflagenkategorien laut IVW zudem die Frankfurter Allgemeine und Die Welt. Unter Qualitätszeitung wird auch das Neue Deutschland gezählt, das Klassenkampfblatt der LINKEN – Minus 8,2%. Verkaufte Auflage also gerade noch 23.411 Blättchen. Da muss die Partei mittlerweile wohl Geld zuschießen, der Kapitalismus ist eben grauenhaft ehrlich. Ebenso in dieser Kategorie die taz; lange frisch und munter, heute nur noch graugrün. Es meldet aus dem Pflegeheim der Auflagenstatistik ein Minus von 2,3 Prozent auf 43.475 verkaufte; zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.
Stabile Zahlen melden hingegen die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und Die Zeit – vor allem wegen massiver Gewinne bei den ePaper-Abos.
Aus Eins mach auch mal Zwei
Der Erfolg des Handelsblatt beruht auf dem sogenannten E-Paper, der Zeitung auf dem PC. Das klingt modern. Aber wer sich auskennt, erkennt dabei eine hübsche Verschiebung: Der Einzelverkauf des Handesblatts am Kiosk ist notorisch auf Sink-Kurs. Gerade noch magere 3353 Zeitungen wurden im 4. Quartal 2017 täglich am Kiosk verkauft. Das duftet nach Krise. Von den rund 85.000 HB-Abos sind bereits rund 38.000 E-Papers. Auf die Gesamtauflage des Handelsblatt entfallen bei rund 129.000 Exemplaren (einschließlich vieler verschenkter, die etwa in ICEs verbraten werden) sogar rund 47.000 E-Papers. In diese Gesamtauflage gehen, wie das Landgericht Hamburg in einem Verfahren zwischen Handelsblatt und TE feststellt, zudem zahlreiche „Doppelabos“ ein. Denn viele Leser entscheiden sich für ein kombiniertes Abonnement und erhalten die Zeitung in der Folge doppelt: Einmal im Briefkasten und einmal auf dem PC. Und diese Leser tauchen in der Statistik zwei mal auf: Einmal in der Kategorie „Abonnement“ und einmal in der Kategorie „Sonstiger Verkauf“. Genau genommen wird damit jedoch kein zusätzlicher Leser gewonnen, wie ein oberflächlicher Blick suggerieren könnte: Sondern der bisherige Leser hat die Zeitung zwei mal – einmal auf Papier und dann noch einmal elektronisch. Es ist aber ein und derselbe Leser, nicht zwei; und er liest das Handelsblatt auch nur einmal, nicht zweimal. Die Auflage ist damit teilweise eine fiktive.
So wird das Minus am Kiosk zum Plus in der Statistik. Der Umgang mit e-papers wird aber von der Werbeindustrie kritisch gesehen. Denn sie ist an der tatsächlich erreichten Kundschaft interessiert, nicht an statistischen Lesern.
Möglich wäre es. Anders als Zeitungen, die auf teurem Papier gedruckt werden müssen und dann per aufwendiger Logistik verteilt, was leicht nachkontrollierbar ist, entzieht sich das E-Paper weitgehend der Auflagenkontrolle. Seine Herstellung kostet nichts, denn es ist eine Kopie der elektronischen „Druckvorstufe“. Auch senden kostet nichts – insoweit ist das E-Paper eine geniale Erfindung für die Verlage. Das wäre auch in Ordnung. Wenn die Empfänger zusätzliche Leser wären und nicht nur Abonnenten der gedruckten Ausgabe oder gar nur fiktive Email-Adressen. Aber das ist reine Theorie. Spekulation.
Werbeagenturen sind längst mißtrauisch
Das E-Paper hat einen zweiten Nachteil, den die Werbeindustrie längst erkannt hat und die das Thema auf dem Branchen-Treff „Horizont-Award“ breit diskutiert haben: Wenn es nur die Zweit-Zeitung zum Papier ist, dann ist ja der Leserkreis keineswegs so groß, wie die Auflagenstatistik suggeriert. Also wird die Werbung im E-Paper von den Agenturen nicht mehr bezahlt. Es sind ja nicht zwei Leser, sondern nur einer. Für die Werbeagenturen aber zählt die Zahl der Leser, nicht eine Auflagenform, die ungenutzt bleibt.
Das ist der Grund, warum die Anzeigen in den Zeitungen und Zeitschriften mit großer E-Paper-Auflage trotzdem nicht in diesem Umfang steigen – hinter großen Zahlen steckt aus Sicht der Agenturen oft nur heiße Luft. Es kommt auf wirklich zusätzliche Leser an, die durch den Kaufakt gezeigte Wertschätzung mit dem Medium, die auf die Anzeigen abstrahlen soll, auf die zusätzliche faktische Nutzung. Da agieren Blätter unterschiedlich.
Das Handelsblatt, das früher mit „Substanz“ für sich warb, begann ziemlich früh, sein E-Paper auszuweiten, mit Erfolg und selbstverständlich komplett sauber, ohne unerlaubte Tricks und Finten. Seine Auflage scheint stabil. Das Blatt gilt als erfolgreich: „Das Handelsblatt überholte sogar Die Welt“ jubelt Meedia, ein Mediendienst, der praktischerweise auch zum Handelsblatt gehört. Sauber, sauber.
Schaut man auf die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), deren Leserstruktur der des Handelsblatt sehr ähnlich ist, dann stellt man fest: Der E-Paper-Anteil bei der FAZ ist nur halb so groß. Noch vorsichtiger ist nur DIE WELT aus dem Springer-Verlag. Da versucht man echte Netzauflage zu gewinnen, bietet neue elektronische Produkte an, die die alten irgendwann ersetzen sollen. Es ist der einzige Tageszeitungs-Verlag mit einer digitalen Strategie und weniger E-Paper-Getue. Denn klar ist: Einfach die Zeitung auf dem Bildschirm – das kann in der modernen Welt nicht der Bringer sein. Da gibt es längst komfortablere Lösungen. Dazu allerdings braucht man digitale Kompetenz. In der Verbindung mit n24 ist DIE WELT die einzige Zeitung, die den Sprung auf den Bildschirm geschafft hat und nicht nur PDFs verramscht, für 10 Prozent des regulären Abo-Preises. Das ist nun wirklich wenig erfolgversprechend, allenfalls in einer fragwürdigen Statistik macht sich das gut. Vorübergehend.
Wer ist dabei?
Andere Zahlen gibt es nicht öffentlich. Das Bild wiederholt sich bei anderen Blättern. Der zur selben Gruppe wie das Handelsblatt gehörende Tagesspiegel aus Berlin, eine notorisch kränkelnde Angelegenheit, zeigt seit kurzem ebenfalls wieder eine optisch steigende Auflage. Sie kommt, oh Wunder, aus? E-Paper, folgt man der Auflagenstatistik, Neu dazu gekommen ist DIE ZEIT aus derselben Gruppe. Seit einiger Zeit verliert DIE ZEIT an Auflage, und auch hier: Das E-Paper rettet die optische Zahl: Papier schrumpft, E-Paper steigt, wenn auch weit geringer und noch nicht in einem so eklatanten Zahlensturm wie Handelsblatt und seine arme Berliner Schwester.
Das Elend der Magazine
Das Bild der Tageszeitungen wiederholt sich übrigens bei den Magazinen.
Der Stern verliert sensationelle 15 Prozent und landet bei einer verkauften Auflage von nur noch 320.000 in Abonnement und Einzelverkauf (also in der sogenannten „harten“, weil bezahlten Auflage). Der Stern war einmal Auflagenmillionär. Um diesen Preis prügelte man sich mit dem SPIEGEL. Vorbei die herrlichen Zeiten mit Anzeigen satt.
Der SPIEGEL rutscht um 7,1 Prozent auf nur noch 542.000 harte Auflage. Wenigstens gemessen an der Hamburger Konkurrenz hat er noch die Nase vorn. Focus schrumpft nur um 3,6 Prozent auf rund 240.000. Gemessen an den Kollegen ist das für das nach Berlin umgezogene Blatt glatt ein Erfolg. Und der Mutter-Verlag hat längst über eine breite digitale Strategie Erfolge zu verzeichnen, während die klassischen Holz-Verarbeiter wie in Düsseldorf noch auf digitale Uraltprodukte wie E-paper per PDF setzen.
Richtigstellung:
In den E-Paper-Richtlininen der IVW heißt es: „Zu Zurechnung des E-Papers zu den Auflagenkategorien Abonnements und Einzelverkauf muss der Preis des E-Papers mind. 50% des entsprechenden Preises des Printprodukts betragen. Für die Zurechnung zum Sonstigen Verkauf gelten mindestens 10 % der regulären Preise des Printprodukts (Abo-bzw. Copypreis)“.
In einer ursprünglichen Version dieses Textes wurde die Differenzierung in „Abonnement bzw Einzelverkauf“ einerseits und „Sonstigen Verkauf“ andererseits möglicherweise mißverständlich vorgenommen und „Doppelzählungen“ durch Kombi-Angebote unterstellt, die laut IVW-Statistik nur in der Kategorie sonstiger Verkauf zählen, nicht aber in den Abo-Bestand ausgewiesen werden. Doppelzählung ein- und desselben Abonnenten zum herabgesetzten Preis treten damit nur in der Auflagekategorie „Sonstiger Verkauf“ auf.