In den heute-Nachrichten vom 8. Oktober um 19:00 Uhr befasste sich das ZDF mit dem angekündigten Truppenrückzug der USA aus Syrien. In dem Beitrag kommt auch Senator Lindsey Graham mit einem O-Ton zu Wort. Die ZDF-Sprecherin berichtet und übersetzt:
„Senator Graham – eigentlich enger Gefolgsmann von Trump – legt überraschend deutlich nach: Die Kurden standen an unserer Seite, als niemand anderes den IS bekämpfen wollte. Lassen wir sie in Stich, dann viel Glück bei der Suche nach neuen Partnern.“
Dabei handelt es sich um eine bemerkenswerte Nacherzählung des Graham-Zitats – denn nicht nur die entscheidende Wendung fehlt darin.
Das Original-Statement ist akustisch wegen des Voice-over der Sprecherin kaum wahrnehmbar, wird aber durch das offenbar aus einer amerikanischen Sendung übernommene Originalbild lesbar gemacht:
„If we abandon them good luck getting anybody to help america
in the future with radical islam.“
Also: „Wenn wir sie verlassen, dann viel Glück dabei, in Zukunft jemand zu finden, der Amerika beim (bzw. gegen) den radikalen Islam hilft.“
In der sinnentstellenden Umformulierung verschwindet nicht nur der Begriff „radical islam“, das man im ZDF den Zuschauern offenbar nicht zumuten will. Es geht auch der Sinn der Aussage insgesamt verloren. Wünscht Graham nun den Kurden sarkastisch „viel Glück“ bei der Suche nach neuen Partnern, jetzt, da die USA gehen? Oder meint er – wie es tatsächlich seine Intention ist – die Schwierigkeiten der USA, dann Partner zu finden? Aber Partner wobei und wofür? Wer sich als Zuschauer nur auf die ZDF-Zusammenfassung verlässt, erfährt das nicht. Folglich liegt der Nachrichtengehalt der Passage für ihn bei Null.
TE fragte beim ZDF nach, wie der Sender die sinnwidrige Umformulierung eines O-Tons begründet.
Ein ZDF-Pressesprecher antwortet, beziehungsweise, er glaubt, das Original erst einmal übersetzen und erklären zu müssen:
„Der Sinnzusammenhang der Graham-Aussage ist im voice over des Beitrags exakt getroffen. Senator Graham sorgt sich um die verbündeten Kurden, die man als USA im Stich lasse und wünscht – zynisch – ‚viel Glück’ bei dem Versuch, jemand anderen zu finden, der Amerika künftig bei dem Thema radikaler Islam hilft bzw. beisteht. Die Formulierung ‚Suche nach neuen Partnern’ ist legitim.“
Warum der Sender nicht einfach die Aussage des Senators übersetzt, inklusive „radikaler Islam“ – dazu kein Wort.
Der Versuchung, Zitate in ihrem Sinn zu verdrehen, erliegt das ZDF nicht zum ersten Mal. Erst vor kurzem hatte heute-Journal-Moderator Claus Kleber in seiner Moderation den Eindruck erweckt, der britische Premierminister Boris Johnson hätte über sich selbst gesagt:
„Man kann nicht ausschließen, sagt er, dass in meinem Fall hinter der Fassade eines durchgeknallten Idioten tatsächlich ein durchgeknallter Idiot steckt“. (Ab Minute 12:12)
Tatsächlich hatte Johnson den Satz gesagt – allerdings in einem BBC-Interview von 2010, und nicht über sich selbst („You can’t rule out the possibility that beneath the elaborately constructed veneer of a blithering idiot, there lurks an, er, blithering idiot“).
In beiden Fällen spekulierte der Sender offenbar darauf, dass seine Zuschauer das Originalzitat nicht überprüfen.
Und dass es auch kein anderer tut.