Allein im zweiten Quartal dieses Jahres wurden rund 26.700 Abtreibungen vorgenommen – das meldete das Statistische Bundesamt (Destatis) vergangene Woche. Damit stieg die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,5 Prozent.
Es ist nun das sechste Quartal in Folge, in der die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche steigt. Im ersten Quartal dieses Jahres war die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche schon um 6,8 Prozent gestiegen – eine Zahl, die beschönigt, dass es sich um weitere 1760 Abbrüche handelt.
Zusätzlich, zu den 25.900 Schwangerschaftsabbrüchen, die schon wie im Vorjahresquartal vorgenommen wurden. Und schon im Jahr 2022 wurden 9,9 Prozent mehr Abtreibungen durchgeführt als 2021 – insgesamt fast 104.000. So ist die Steigerung der Abtreibungen in diesem Jahr kumulativ zu den vorhergehenden, massiven Steigerungen. Nüchterne Zahlen, die die grausame Realität nur umschreiben können.
Das Statistische Bundesamt meldet nicht, aus welchen Gründen die Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen wurden. Alleine über die Form wird berichtet – vier Prozent der Schwangerschaftsabbrüche wurden aufgrund einer medizinischen Indikation oder infolge einer Vergewaltigung vorgenommen. Die übrigen 96 Prozent im Rahmen der geltenden Beratungsregelung. Nach dieser wird ein Schwangerschaftsabbruch nicht strafrechtlich verfolgt, wenn er innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis, nach einer Beratung durch einen Arzt und nach Verstreichen einer Bedenkzeit vorgenommen wird. Fast die Hälfte der betroffenen Frauen hatten vorher noch kein Kind zur Welt gebracht, die meisten von ihnen sind unverheiratet.
Die 27.600 Schwangerschaftsabbrüche im ersten Quartal stehen 165.000 Lebendgeburten im selben Zeitraum gegenüber.
Werbeverbot abgeschafft
Cornelia Kaminski ist die Bundesvorsitzende der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA). Als mögliche Erklärungen führte sie die sich ändernde öffentliche Wahrnehmung von Abtreibungen an. „Abtreibungen werden zusehends als Recht, nicht als Unrecht dargestellt“, erklärte sie gegenüber Tichys Einblick. Auch, dass das Werbeverbot für Abtreibungen (§219a) abgeschafft wurde, mache es schwer eine Abtreibung tatsächlich „als unrechtmäßig darzustellen – was de facto daher auch nicht geschieht“. Der Paragraph 219a wurde im vergangenen Jahr gestrichen. Politiker, die die Initiative unterstützten, argumentieren, dass das Werbeverbot tatsächlich ein Informationsverbot über Abtreibungen sei. Ärzte durften bis dato keine Informationen über Abtreibungen öffentlich – zum Beispiel auf ihrer Website – anbieten.
Ärzte, die seit 1990 aufgrund dieses Gesetzes verurteilt wurden, sollen außerdem rehabilitiert werden, indem strafrechtliche Urteile, die seitdem ergangen sind, aufgehoben werden. „Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und damit am besten sachlich informieren können, nach der derzeitigen Rechtslage eine Strafverfolgung befürchten müssen, wenn sie Informationen zur Verfügung stellen. Das passt nicht in unsere Zeit“, sagte Justizminister Buschmann (FDP) seinerzeit dazu.
Werbung für Abtreibungen unterliegt nun dem Heilmittelwerbegesetz – das auch die Werbung für Medikamente wie Aspirin regelt. Verboten ist nun nur noch „irreführende oder abstoßende Werbung“, so das Bundesjustizministerium.
Mehr Kinder werden ausgetragen
Bis Anfang 2021 war die Zahl der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche rückläufig. Als das Abtreibungsrecht 1995 reformiert wurde, wurden jährlich circa 131.000 Abbrüche vorgenommen. Einen Höhepunkt erreichte die Statistik 2001 mit 135.000 Abbrüchen.
Der Rückgang der Schwangerschaftsabbrüche ist vor allem bei verheirateten und geschiedenen Frauen zu beobachten: Wer (noch) heiratet, entscheidet sich öfter dafür, das Kind auszutragen. Die Abtreibungen als Anteil der tatsächlichen Schwangerschaften gehen in Deutschland aber insgesamt zurück: für jedes geborene Kind werden weniger Kinder abgetrieben. 2021 wurden besonders viele Schwangerschaften abgebrochen, doch auch besonders viele Kinder geboren – so viele wie seit 1997 nicht.
Im Jahr 1997 wurden aber 30.000 mehr Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. Nach dieser Lesart wäre der Anstieg nur ein Nebeneffekt der vielen Geburten in diesem Jahr. Die Aktion Lebensrecht für Alle bemängelt allerdings die Statistik: Auf ihrer Website weist ALfA darauf hin, dass die Meldepflicht für Schwangerschaftsabbrüche quasi nicht kontrolliert werde und auch umgangen werde, indem Abtreibungen als andere Behandlungen kaschiert werden. Zum Beispiel als „Gebärmutterausschabungen“. Auch, wie hoch die Dunkelziffer von Schwangerschaftsabbrüchen im Ausland ist, ist nicht bekannt. Insgesamt sinkt seit Jahrzehnten die Zahl der Meldestellen – also der Praxen, Krankenhäusern und anderer Einrichtungen, die einen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch melden. Das Statistische Bundesamt weißt aber darauf hin, dass diese Statistik keine Aussage darüber gibt, wie viele Einrichtungen tatsächlich Abtreibungen vornehmen würden, wenn sie angefragt werden.
Bundesregierung will weiter liberalisieren
„Es scheint, als ob der verfassungsmäßig zu gewährende Schutz des Lebens ungeborener Kinder den Regierenden nichts bedeutet“, kritisiert Kaminski das Verhalten der Regierung. Linke, Grüne und SPD wollen Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch streichen. Alle drei haben diese Forderung in ihre Grundsatzprogramme aufgenommen. Die SPD fordert sogar, dass Geldmittel bereitgestellt werden sollen, damit Kommunen und Länder dafür sorgen, dass Abtreibungen als Teil der medizinischen Grundversorgung angeboten werden. Auch ist in der Diskussion Ärzte dazu zu verpflichten diese Eingriffe durchzuführen. Die persönlichen Moralvorstellungen der Ärzte sollen so per Gesetz ignoriert werden.
FDP und CDU wollen die jetzige Gesetzeslage beibehalten, die AfD fordert ein weitgehendes Verbot. Eine ZDF-Befragung der Bevölkerung fand im März heraus, dass ein Großteil der Bevölkerung (54 Prozent) die jetzige Regelung beibehalten will. 38 Prozent hingegen fordern eine Legalisierung, nur drei Prozent ein komplettes Verbot. Die Ampelkoalition hat eine Kommission eingesetzt, die eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts prüfen soll.