Wovon reden wir, wenn wir von uns reden? Auf dem Reichstag steht in Stein gemeißelt: „Dem deutschen Volk“. Weil er ein Geschenk des Kaisers an sein Volk ist, der Reichstag, nicht „Das deutsche Volk“. Der Kaiser sollte das Volk repräsentieren, und schenkte ihm in seiner großen Gnade und Güte ein Parlament. So wurden die damaligen Machtverhältnisse ausgedrückt. Auf so etwas wurde damals geachtet.
Und heute? Vom Volk oder gar dem Deutschen Volk spricht keiner mehr. Es ist irgendwie peinlich. An die Stelle hat die Kanzlerin gesetzt: „Die, die schon länger hier sind.“ Das Ddslhl-Volk also. Oder noch besser: Menge statt Volk, den Volk ist so nahe an völkisch. Helmut Kohl hatte keine Scheu vor Deutschland; häufig sprach er von „In diesem unseren Land“, Indula, nannten wir spöttisch das Kohl-Land. „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land“ ließ Willy Brandt 1972 plakatieren und holte das beste Wahlergebnis ever: 45,8 Prozent. Später sagte er angesichts der einstürzenden Mauer: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“. Davon träumen heißt, siegen träumen. Und jetzt also Ddslhl. Ob das was wird? Vielleicht.
Also, wer sind wir jetzt, dieses Volk? Hören wir mal Merkel im O-Ton:
Aber dass nur die, die “nein” sagen und die kritisieren, jetzt plötzlich das Volk sind. Und alle anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und nicht ganz so viel kritisieren – oder kritisieren und Lösungen einbringen, dass die plötzlich nicht mehr das Volk sind, und dass irgendwo dazwischen die Elite beginnt, das will ich für mich nicht annehmen.
Irgendwie sind die, die viel kritisieren nicht mehr das Volk? Oder gerade deshalb?
Wir lassen es mit uns machen. Vielleicht sollten wir uns so nennen: Die, die alles mit sich machen lassen: Ddamsml.
Aber wollen wir das wirklich? Daher mein Vorschlag:
Nein, wir reden vom deutschen Volk. So wie es das Grundgesetz sagt:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Das ist unser Grundgesetz, und so sei unsere Rede. Wer zum deutschen Volk zählt, ist über unser Staatsbürgerrecht geregelt. Darüber kann man zanken, etwa, ob es zu großzügig die Pässe verschenkt, die seine Inhaber zu „Deutschen“ machen. Aber sie sind es dann, und so sollen sie sich verhalten. Mit der Zugehörigkeit sind auch Pflichten und nicht nur Rechte verbunden.
Wem das peinlich ist – bitte sehr. Der soll es bleiben lassen. Und wer anders redet – bitte sehr. Wir erkennen seine Absicht: Wahrheiten zu verschleiern und heimlich Dinge zu verändern, die unveränderlich sind. Mit der klaren Sprache beginnt die Entscheidungsfindung.
Deshalb sollten wir die Vielzahl der Begriffe benutzen und nicht nur von Flüchtlingen reden, sondern von Einwanderern, Migranten, Asylbewerbern, Wirtschaftsflüchtlingen, die Reihenfolge ist beliebig. Aber bitte nicht mehr nur von Flüchtlingen – denn wer nicht differenziert, der kann nicht erkennen, entscheiden, richtig handeln. Das wünsche ich mir auch von Parteien. Nicht mehr versprechen, als man halten kann.
Wenn die SPD notwendige Maßnahmen wie etwa Transitzonen verhindert, dann lass es uns so sagen, lass uns sagen, was ist. Und nicht klammheimlich darüber freuen, dass die anderen verhindern, was wir gar nicht wollen. Denn was wir nicht wollen, können wir auch sagen. Das verbale Spiel über die rhetorische Bande ist für jeden klaren Verstand durchschaubar – und verärgert.
Political correctness hat einen guten Grundgedanken – so zu sprechen, dass nicht unterschwellig Ablehnung transportiert wird, und so zu sprechen, dass sich niemand willkürlich ausgesperrt fühlt. Aber dieset Grundgedanke ist verloren gegangen und einer allgemeinen Verschwurbelung gewichen. Schlimmer noch: Sprache wird als Disziplinierungsinstrument missbraucht: zur Durchsetzung allgemeiner Denk- und Sprechverbote.
Nichts ist gefährlicher, als den Menschen den Mund zu verbieten. Das lassen die sich nämlich eine Zeit lang gefallen, dann fangen sie an zu schimpfen – und danach kommt meist Schlimmeres. Das kommt, wenn auch Statistiken nun – nicht gefälscht sondern so konstruiert werden, dass sie in die Irre führen. Beispiele haben wir genug: Eine Polizeistatistik, die die Herkunft nur noch in Ausnahmefällen aufnehmen darf. Daraus abzulesen, es gäbe faktisch keine Ausländerkriminalität, wie es viele Zeitungen üben, ist eine Beleidigung ihrer Leser.
Klare Worte schaffen klare Verhältnisse. Also weg mit der Wolke des Nudgings. Die Bundeskanzlerin hat dafür eine Arbeitseinheit geschaffen. Das ist mehr als die übliche Verschwendung von Steuergeld. „Es ist eine Manipulation des Denkens, das den Einzelnen und eine Gesellschaft missbraucht. Es gaukelt ein höheres moralisches Ziel vor, es schafft das Selbstdenken ab und ersetzt es durch eine kollektive Regierungsmeinung. Wir sollten vorsichtig mit diesen historisch belasteten Methoden sein. Bestimmte Normen und Verhaltensweisen, die heute mehrheitlich als richtig empfunden werden, stellen sich vielleicht in einigen Jahren als vollkommen falsch heraus.“
Es ist die Anmaßung von Wissen, die so fatal ist. Dieses umfassende Wissen haben keine Bundeskanzlerin, kein Justizminister und keine Parlamentsmehrheit. Stellen wir dem Nudging den Wettbewerb der Ideen entgegen. Nur dieser Wettbewerb der Ideen kann zeigen, welche Pläne falsch sind.
Wir sind erwachsen und wollen so behandelt werden. Kindereien und Ausflüchte sind nichts für uns. Reden wir wieder, wie uns der Schnabel gewachsen ist und sagen wir, was wir wollen – nicht was uns die neuen Sprachwächter vorschreiben, dass wir wollen sollen. Mit Deutschland und dem deutschen Volk fängt es an.
In kürzerer Version in Die WeLT erschienen.