Tichys Einblick
Die LINKE unter neuer Führung

Brandstifter und Anbiedermänner

Die neue Linkspartei-Führung würde das Land gern umformen und das bisschen noch verbleibende Bürgerlichkeit vertreiben. Unionspolitiker kommen damit gut zurecht. Sie sollten die Geschichte der späten dreißiger Jahre studieren.

imago/hartenfelser | picture alliance / Jörg Carstensen

Die neue Vorsitzende der Linkspartei Susanne Hennig-Wellsow machte noch auf dem Parteitag, der sie wählte, ihr Gesellschaftsbild deutlich. Die gängige Medienphrase von den klaren Worten, mit denen ein Politiker sich meldet, trifft hier tatsächlich zu. Neu ist Hennig-Wellsows Vorstellung nicht. Neu ist die Deutlichkeit, außerdem die Tatsache, dass sie jetzt an der Spitze einer Partei steht, die ihren Platz in der nächsten Bundesregierung sieht.

Auf dem Parteitag sagte Hennig-Wellsow: „Genossen, ich werbe dafür, dass wir die CDU/CSU aus der Bundesrepublik, aus der Bundesregierung vertreiben.“

— Jonas ?? (@JJ_1809) February 27, 2021

Ganz folgerichtig ist der Satz nicht, denn die Ankündigung, bestimmte Leute grundsätzlich aus der Bundesrepublik vertreiben zu wollen, schließt ja deren Vertreibung aus der Bundesregierung nicht nur ein, sondern setzt sie auch voraus. Ein Mangel an formaler Stringenz findet sich allerdings in vielen früheren Sätzen der neuen Parteivorsitzenden.

ENTGLEISUNG UM ENTGLEISUNG
CDU gratuliert der Linken dafür, dass sie die CDU aus Deutschland vertreiben will
Wer Hennig-Wellsows alte Äußerungen heranzieht und den Satz vom Vertreiben dort einreiht, der kann zu dem Schluss kommen, dass ihr in ihrer Rede etwas herausrutschte. Zusammen mit vielen anderen Genossen meint sie, rechts von ihr selbst gebe es so etwas wie legitime Politik nicht, und deswegen müsste die Union und erst Recht alles jenseits von ihr nicht nur aus der Regierung, sondern aus der Öffentlichkeit verschwinden.

Bemerkungen, die Politikern herausrutschen, sind wertvoller als alle anderen Äußerungen. Denn sie können als halbwegs authentisch gelten. Erst recht plausibel wird das neben der programmatischen Wortmeldung der anderen neuen Vorsitzenden, Janine Wissler. Die entscheidenden Gesellschaftsveränderungen, so Wissler, seien in Parlamenten nicht erreichbar, Wahlen und Parlamentsarbeit stellen folglich einen nötigen, aber eben nicht hinreichenden Zwischenschritt dar. Dass sie radikale Jugendliche in arabischen Ländern im Verbund mit einer dort unbekannten Arbeiterklasse als neues revolutionäres Subjekt ausruft, besitzt immerhin Originalität:

Der Linkspartei lässt sich vieles vorhalten – aber nicht, dass sie eine versteckte Agenda verfolgen würde. Auch nicht, dass sie sich an das anbiedert, was sie das System nennt.

Das Anbiederungsgeschäft überlasst sie anderen, die dafür mehr Talent mitbringen. Beispielsweise dem Generalsekretär der hessischen CDU Manfred Pentz, der zwar gewisse weltanschauliche Differenzen nicht ganz verschweigen will, Wissler aber herzlich per Pressemitteilung zur Wahl gratulierte: Ja, ein bisschen Willen zur Systemüberwindung gebe es bei ihr, andererseits sei sie eine „geschliffene Rednerin“ und „charismatische Persönlichkeit“. Zumindest nach den Maßstäben der hessischen CDU.

Sollte die neue Ordnung irgendwann durchgesetzt und Pentz vertrieben sein, kann ihm niemand die ausgleichende Freude darüber nehmen, dass dann eine Landsmännin aus Hessen an der Spitze des neuen Deutschland steht. Angesichts von Wisslers Zuneigung zu radikalisierten arabischen Jugendlichen sollte er allerdings seine Metaphern bei der Beschimpfung nicht ganz so zukunftsoffener Parteifreunde („Merz-Dschihadisten“) überdenken. Ein handwerklicher Hinweis: ‚Faschisten’ geht immer.

Ein Pentz würde in der Union noch keinen progressiven Frühling machen. Aber er steht nicht allein.

Susanne Hennig-Wellsow kommt aus einem Bundesland, in dem die Linkspartei regiert. Dass ihr das ohne parlamentarische Mehrheit möglich ist, verdankt sie der noch nicht vertriebenen CDU, die Ministerpräsident Bodo Ramelow auf Druck Angela Merkels und Markus Söders im dritten Wahlgang durch Enthaltung zum Amt verhalf. Vorher regierte Ramelow mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit durch einen Überläufer von der AfD.

Berliner „Linke“-Funktionärin
„…wenn wir det ein Prozent der Reichen erschossen haben …“
Die Linkspartei, die ganz offen sagt – übrigens schon in ihrem Strategietreffen von Kassel 2020 – dass sie Parlamentarismus verachtet und Gewaltenteilung als Übergangsphase sieht, hatte bekanntlich schon der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther („keine Scheuklappen“) der CDU als strategischen Partner empfohlen. Zumindest erst einmal in Ostdeutschland. Die Bereitschaft von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, zusammen mit dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer den Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe mit erfundenen Vorwürfen zu stürzen, war von ihr und anderen in der CDU als Angebot und Lockerungsübung für eine Allianz gedacht.

Spätestens seit den Reden der beiden neuen Linkspartei-Vorsitzenden müsste eine Merkel, ein Söder, ein Günther, ein Beuth wissen, was ihnen die Anbiederei einträgt: Eine Ladung Rotz, direkt in ihr Gesicht. Die führenden Politiker der Union reagieren darauf wie der legendäre Mann, den jemand auf der Straße anspuckt: er schaut nach oben und sagt: ‚oh, es regnet.’

Historische Muster erweisen sich in Deutschland als sehr dauerhaft, viel dauerhafter, als man es von einem Land mit diesen Brüchen erwarten sollte. Ein zumindest großer Teil der Union reagiert heute auf die Linkspartei und deren Stoßtrupps prinzipiell so wie ein großer Teil der deutschen Konservativen in den dreißiger Jahren auf die NSPAP und deren Organisationen. Sie hielten sie für nützliche Partner, damals im Kampf gegen Links, die KPD. Wäre dieser Gegner erst einmal niedergerungen, darin waren sich Franz von Papen und andere sicher, dann würden sie die Hilfstruppen auch wieder loswerden beziehungsweise „einrahmen“, wie Papen sich ausdrückte. Noch bevor Papen abserviert und Kurt von Schleicher erschossen war, hatten sie die von ihnen schlecht vertretene Bürgerlichkeit schon demoliert. Liberalität war ihnen fremd. Ohne Liberalität wird Konservatismus ungenießbar. Bei Franz von Papen handelte es sich zweifellos um den dümmsten Kanzler, den Deutschland je hatte. Hitler hielt ihn zu Recht für so devot und harmlos, dass er ihn nicht erschießen ließ, sondern als Botschafter nach Wien schickte.

Die NSDAP hatte die Hilfe seinerzeit gern angenommen, allerdings auch immer deutlich gemacht, wie sie die Anbiedermänner sah: als nützliche Idioten. Darin glich sie der KPD spiegelbildlich.

Das gleiche Muster zeigt sich jetzt bei Merkels Partei wieder, nur mit anderem Vorzeichen. Dieses Mal sollen die Parlamentsverächter und Systemüberwinder als Hilfstruppen gegen Rechts dienen, wobei ‚rechts’ bis vor die eigenen Schuhspitzen reicht, also bis zu den dezidiert Nichtlinken in der Union. Auch die Unionspolitiker heute meinen, ihre neuen Alliierten auf einer halben Armlänge Abstand und klein halten zu können.

Bodo Ramelow, die Linkspartei und der Begriff „Unrechtsstaat“
Natürlich ähnelt Hennig-Wellsows und Wisslers Partei eher der schwachen KPD der frühen Dreißiger als der NSDAP. Die Bundesrepublik ist nicht die zerrüttete Weimarer Republik. Am stärksten erinnert noch Merkel in diesem Tableau an Franz von Papen. In ihr gibt es keine liberale Faser. Die Corona-Ära hat ihren autoritären Charakter so deutlich herauspräpariert, dass jemand schon Selbstbetrug begehen muss, um ihn zu übersehen. Ihr Bezugspunkt ist der Staat, nie der Bürger. Bei ihr, und leicht abgestuft bis Söder und Günther, löst sich Politik vollständig in Taktik auf. Dass jemand, der ein bürgerliches Milieu ansprechen will, sich selbst auch bürgerlich verhalten sollte – der Gedanke ist ihnen fremd.

Noch eine zweite ferne Parallele gibt es zwischen 1932 und heute: auch vielen bürgerlichen Wählern erschien damals und erscheint heute die Liberalität fremd oder als Luxusgut für bessere Zeiten.

Es geht also nicht um die Frage, ob Hennig-Wellsow und Wissler übermorgen in einem gesäuberten Deutschland diktieren. Sondern darum, wer in der Lage ist, Liberalität zu verteidigen. In der Berufspolitik, in den Medien und Universitäten sind heute nur noch Minderheiten dazu bereit, sobald es etwas kostet.

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