Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kann für die Genehmigung der Einreise von Asylbewerbern ab September 2015 durch die Bundesregierung keine Rechtsgrundlage erkennen. Das berichtet zwei Tage vor der Bundestagswahl 2017 die Zeitung Die Welt (siehe hier). Leider wird das Gutachten den Bürgern vorenthalten und ist (bisher) nicht veröffentlicht. Laut Welt wird in dem Gutachten bemängelt, dass die Bundesregierung keine Angaben über die rechtlichen Grundlagen ihrer Entscheidung gemacht habe, obwohl die aus einem sicheren Drittstaat kommenden „Flüchtlinge“ an der Grenze hätten abgewiesen werden müssen. Solche Angaben wird es seitens der Bundesregierung wohl auch nicht geben – mangels Existenz einer solchen Rechtsgrundlage. Da sich Rechtsgrundlagen üblicherweise nicht verstecken, darf man wohl annehmen, dass die Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes wie auch zahllose andere Juristen vor ihnen die Rechtsgrundlage gefunden hätten, gäbe es sie.
Kurz gesagt: Merkels eigenmächtige Grenzöffnung war und ist rechtswidrig. Das dürfte für die meisten Leser nicht wirklich überraschend sein.
Interessanterweise geht laut Welt das Gutachten auch auf die Frage ein, ob das Parlament über die Grenzöffnung hätte entscheiden müssen. Aufgrund der Wesentlichkeitslehre und des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips sei der Gesetzgeber verpflichtet, „in grundlegenden normativen Bereichen … alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“, heißt es im Gutachten. Nicht explizit beantwortet wird im Gutachten die Frage, ob die Massenaufnahme der „Flüchtlinge” eine „wesentliche“ Entscheidung war. Stattdessen verweist das Gutachten auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familiennachzug. Demnach obliegt es der Entscheidung der Legislative, ob und bei welchem Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung die Zuwanderung von Ausländern ins Bundesgebiet begrenzt wird. Die Massenzuwanderung ist also eine dem Parlament obliegende Entscheidung. Daran kann es auch keinen ernstlichen Zweifel geben. Nichts berührt das gesellschaftliche Zusammenleben mehr, als eine deutliche Veränderung der Bevölkerungsstruktur.
Bundesverfassungsgericht schweigt laut
Wenn das Bundesverfassungsgericht die mit ausdrücklicher Zustimmung des vom Volk gewählten Parlaments vorgenommene, also formal rechtmäßige Übertragung vom Kompetenzen als rügefähig ansieht, dann müsste also erst recht die rechtswidrige Selbstaneignung von Kompetenzen durch die Bundesregierung unter Umgehung des Parlaments im Zuge der seit September 2015 andauernden Grenzöffnung rügefähig sein. Man fragt sich, was das Wahlrecht zum Bundestag eigentlich noch wert ist, wenn das gewählte Parlament durch solche eigenmächtigen und gesetzlich nicht vorgesehenen Maßnahmen in wesentlichen Fragen übergangen werden kann.
Bezeichnenderweise erfolgte die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde unter Vorsitz des früheren CDU/CSU-Politikers Peter Huber. Ausgerechnet dieser Richter Huber beklagte am 30.09.2015, also nur wenige Tage nach der Grenzöffnung, in der FAZ (siehe hier) ein Schwächeln der Demokratie und die zunehmende Machtlosigkeit der Abgeordneten gegenüber der Regierung und kritisierte überdies, dass sich die Fälle häuften, in denen sich die Politik über das Recht hinwegsetze. Recht hat er, der Huber, aber juristische Gegenwehr bei ihm und seinen Richterkollegen Fehlanzeige.
Nachtrag 1
Mittlerweile ist das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes einsehbar (siehe hier). Seit wann es dort für alle zugänglich ist, ist unklar. Die Welt schrieb in ihrem heutigen Artikel: „Wenige Tage vor der Bundestagswahl sorgt ein Gutachten zur Flüchtlingskrise für Aufregung … Das Gutachten liegt der Welt vor.“ Die Welt erweckte damit zumindest den Eindruck eines neuen, bisher nicht veröffentlichten Dokuments. Auch andere Medien wie der Spiegel berichten über das Gutachten nur unter Hinweis auf den Welt-Artikel (siehe zum Beispiel der Spiegel hier), nicht aber unter Bezugnahme auf die Primärquelle, also das Gutachten selbst.
Möglicherweise ist das Gutachten aber keine solche Neuigkeit. Auf der Internetseite des Wissenschaftlichen Dienstes ist das Gutachten als pdf-Dokument mit dem Veröffentlichungsdatum 24.05.2017 online gestellt. Dieses Datum ist allerdings auch fraglich, denn laut den Eigenschaften des pdf-Dokuments wurde es erst am 30.05.2017 erstellt. Insofern stellt sich die Frage, ob das Gutachten schon seit längerem in den Tiefen des Internets vorhanden ist und die Welt es als erste daraus hervorgeholt hat (das sollte dann allen Journalisten zu denken geben) oder ob der Bundestag es erst heute veröffentlicht hat, aber unter dem Datum 24.05.2017.