Erfolgsmeldungen kann Robert Habeck in letzter Zeit kaum noch verkünden – nicht einmal, wenn es um positive Nachrichten aus der speziellen Sicht seiner Partei geht. Umso breiter lobte er sich und seine Politik zum Jahresanfang für die Strombilanz des Jahres 2023. „Wir haben erstmals die 50-Prozent-Marke bei den Erneuerbaren geknackt“, verkündete der Wirtschaftsminister. „Wir kommen also auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stromversorgung sichtbar voran. Wir haben einen Aufwärtstrend erreicht und setzen diesen fort. Das ist gut für die Wirtschaft und gut fürs Klima.“ Vor allem die Kohleverstromung sei stark zurückgegangen – auf den tiefsten Stand seit den fünfziger Jahren. Andere Grünen-Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek applaudierten: „Die Richtung stimmt.“
Allerdings beruht die Jubelmeldung im Wesentlichen darauf, dass möglichst niemand die Zahlen genau ansieht und sich fragt, um welche Richtung es sich eigentlich handelt. Der höhere Anteil von Solar- und Windenergie, die geringere Kohleverstromung und der Rückgang des deutschen CO2-Ausstoßes – alle Faktoren haben bestenfalls am Rand etwas mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu tun, für den Habeck sich lobt. Sondern vor allem mit dem Rückgang des Strombedarfs durch die überwiegend politisch verursachte Wirtschaftsrezession in Deutschland, die wiederum überdurchschnittlich stark die energieintensive Industrie trifft.
Deren Unternehmen drosselten in vielen Fällen die Produktion, legten wie BASF in Ludwigshafen bestimmte Anlagen gleich ganz still, oder verlagerten Produktion ins Ausland. Insgesamt sank der Stromverbrauch 2023 um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Formel „grün wirkt“ trifft also zu – nur eben etwas anders, als der Vizekanzler es der Öffentlichkeit weismachen will. Dazu kam ein milder Winter 2022/23 – ebenfalls keine Leistung des Ministers oder der Ampel.
Die Senkung des deutschen CO2-Ausstoßes 2023 um 73 Millionen auf 673 Millionen lag nach Berechnungen der grünen-freundlichen „Agora Energiewende“ zu gut 50 Prozent am Wirtschaftsrückgang, außerdem am milden Wetter – und nur zu 15 Prozent an der Installation neuer Solar- und Windkraftanlagen und am Einbau von Wärmepumpen. Der Chef der „Agora Energiewende“ Simon Müller machte außerdem auf einen Punkt aufmerksam, den Habeck gern weglässt: Wenn Unternehmen unter Kostendruck Produktion ins Ausland verlagern, sinkt zwar der CO2-Ausstoß in Deutschland entsprechend, geht aber anderswo weiter.
„Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen“, betonte Müller. Selbst die FFF-Anführerin Luisa Neubauer zeigt erstaunlichen Realismus, und weigert sich, in den grünen ‚danke, Robert“-Chor einzustimmen.
Der Ausstoß der Kohlekraftwerke ging auch deshalb zurück, weil 2023 der Stromimport nach Deutschland um satte 63 Prozent stieg. Das lag weniger an der Kapazitätsfrage, sondern daran, dass Strom aus dem Ausland an vielen Tagen weniger kostete als einheimischer. Es gab an etlichen sehr wind- und sonnenreichen Tagen umgekehrt auch deutsche Stromexporte. Nur fehlt in der Habeck-Bilanz auch hier wieder eine wichtige Zahl: In der Spitze mussten die Netzbetreiber um die 500 Euro Prämie pro Megawattstunde zahlen, damit jemand im Ausland die Last abnahm. Die Zahl der Tage mit negativem Börsenpreis schnellten 2023 von 69 (2022) auf 301 nach oben. Trotz der Stromverschenk-Aktionen: 2023 wurde Deutschland unter dem Strich klar Netto-Stromimporteur.
In der Aufstellung des Wirtschaftsministers fehlt auch ein innereuropäischer Vergleich. Gegenüber den Nachbarländern liegt der Strompreis samt Netzgebühr nach wie vor an der Spitze. Gleichzeitig gehört die Bundesrepublik mit durchschnittlich 431 Gramm CO2 pro Kilowattstunde bei der eigenen Stromerzeugung neben Polen und Tschechien immer noch zur Spitzengruppe der Länder mit den höchsten spezifischen Emissionen.
Fazit: Strom aus Deutschland ist trotz Nachfragerückgang teuer und CO2-lastig. Und das größte Industrieland Europas hängt mittlerweile in der Stromversorgung von Nachbarn ab.
Für 2024 und die Folgejahre sieht sich Habeck einem neuen, aber keineswegs überraschenden Problem gegenüber: Um wie geplant Kohlekraftwerke 2030 abschalten zu können, müssten bis dahin Gaskraftwerke mit der Kapazität von gut 60 Gigawatt entstehen. Wer sie finanzieren, bauen und betreiben soll – dazu gibt es bisher keinerlei Pläne.