Mit Scherbenhaufen ist noch höflich umschrieben, was EZB-Chef Draghi am Ende seiner Amtszeit hinterlässt – es sind breite Schneisen der Zerstörung, die die geldpolitische Landschaft Europas zerfurchen. Der Skandal, der seit Jahren mit zunehmender Härte gegen Finanzwirtschaft und Sparer der Nordstaaten der Eurozone geführten Angriffe strebt nach langer Vorgeschichte einer neuen Eskalationsstufe zu. Immer lauter stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Währungspolitik, die eine schleichende Lähmung der Wirtschaftskräfte der Eurozone und eine fortschreitende Außerkraftsetzung des Funktionsmechanismus der Sozialen Marktwirtschaft in Kauf zu nehmen bereit ist.
Vor drei Jahren, im Oktober 2016, habe ich in tichyseinblick in meinem Beitrag „Es reicht!“ die Gründe dafür aufgezeigt, weshalb dieser geldpolitische Ansatz sein Ziel verfehlen muss. Gewundert habe ich mich darüber, wie wenig Standardwissen aus Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft offensichtlich in die geldpolitischen Entscheidungen der europäischen Währungsbehörde einfließt. Wenn ich Anfang der 60er Jahre in meiner Diplomarbeit an der Hamburger Uni bei Professor Karl Schiller dafür plädiert hätte, die wirtschaftliche Entwicklung durch monatliches Hineinpumpen von Zig- Milliarden Währungseinheiten in den Wirtschaftskreislauf in Gang zu setzen, hätte ich mir den Diplom-Volkswirt abschminken können. Damals galt, was auch heute noch überall dort gilt, wo ökonomischer Sachverstand die politischen Entscheidungen bestimmt: dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum und ausreichende Beschäftigung ohne innovatives Unternehmertum, ohne Ärmelaufkrempeln, Fleiß und Disziplin aller, ohne kluge Nutzung des technischen Fortschritts und sparsamen Umgang mit den Ressourcen und ohne unablässige Strukturreformen in den infrastrukturellen Bereichen der Gesellschaft nicht zu haben sind.
Die Sparer als die für ihre Zukunft Vorsorgenden werden mit Zinsverweigerung bestraft. Künftige Finanzkrisen werden vorprogrammiert, wenn Sparer infolge der Entwertung ihrer Sparguthaben gegen ihren Willen zu riskanteren Anlagestrategien gedrängt werden. Versicherungen und Banken, die im Dienst kollektiver Zukunftsgestaltung stehen, werden massiven Gefährdungen ausgesetzt. Je unprofitabler Banken durch die Niedrigzinspolitik werden, desto geringer wird ihre Neigung, Kredite zu vergeben. Die von der EZB billig bereitgestellten Milliarden kommen daher zu großen Teilen gar nicht in der Wirtschaft an, sondern werden gleich wieder zurückgeschaufelt: Die europäischen Banken bunkern Hunderte von Milliarden Euro in den Tresoren der EZB – trotz negativer Strafzinsen in Milliardenhöhe, die sich zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihrer US-amerikanischen Konkurrenz ausgeweitet haben.
Desaströser noch als diese geballte Ladung an Negativeffekten ist der mit der Nullzinspolitik bekundete ordnungspolitische Offenbarungseid der EZB-Banker. Wenn die das Marktgeschehen erst ermöglichende Steuerungsfunktion des Preises auf den zentralen Kapitalmärkten durch Nullstellung außer Kraft gesetzt wird, sollte sich niemand darüber wundern, dass zum Nullpreis angebotenes Geld auf werthaltigen Realgütermärkten null Anlage findet.
Der Skandal des anhaltenden Nullzinses liegt vor allem darin, dass er durch mehrfache vertragswidrige Interventionen der europäischen Währungsbehörde herbeigeführt wurde. Mit der politisch wohlfeilen Absicht, die Südstaaten der Währungsunion in ihrer Überschuldung zu entlasten sowie deren lahme Wirtschaftskräfte zu beleben und der dort grassierenden hohen Arbeitslosigkeit den Kampf anzusagen, wurden entgegen den Vorgaben der europäischen Finanzverfassung verdeckte Staatsfinanzierungs-Programme großen Stils aufgelegt und die finanziell stabiler aufgestellten Nordstaaten dafür in Haftung genommen.
Abgesehen davon, dass trotz des massiven Mitteleinsatzes keines der vom EZB-Direktorium verfolgten Ziele bisher erreicht wurde, gehen alle diese Maßnahmen weit über das Mandat einer Währungsbehörde hinaus. Denn Wachstum und Beschäftigung sicherzustellen, ist in der konstitutionellen Arbeitsteilung der Verfassungsorgane den Regierungen und auf europäischer Ebene der EU-Kommission vorbehalten. Die Zentralbank hat sich ausschließlich um die Stabilerhaltung der europäischen Währung zu kümmern.
Da der Euro vor allem Dank solider Haushaltsführung der Nordunion-Staaten einen hohen Stabilitätsgrad erreicht hat, sollten geldpolitische Inflationierungsmaßnahmen zugunsten einer Wirtschaftsbelebung auch der Mitglieder der Südunion nur insoweit vorangetrieben werden, wie sie tatsächlich zu Wachstums- und Beschäftigungseffekten führen. Sie sollten aber nicht auf Teufel komm heraus fortgeführt werden, wenn sie, wie dies seit Jahren der Fall ist, mit tiefgreifenden negativen Begleiteffekten wirkungslos verpuffen. Wenn Währungspolitik zum Kanonenschießen auf Spatzen degeneriert und ihre Kollateralschäden in der Enteignung der Sparer auf der einen und im Ausbleiben von Reformen auf der anderen Seite bestehen, dann ist „Holland in Not“ und es wird höchste Zeit, dem „falschen, gefährlichen und nutzlosen Spiel“ (deutscher Sparkassenpräsident) ein Ende zu machen.
Solange sich Währungspolitik in gigantischer Umverteilung von Sparern zu Schuldnern und von Geld- zu Immobilienbesitzern erschöpft, wird die fatale Doppelwirkung nicht ausbleiben: die für die Zukunft vorsorgenden Sparer werden nicht nur um die Früchte ihres die Gemeinschaft entlastenden Handelns gebracht, sondern sie werden über den Haftungsmechanismus der Währungsunion auch noch gezwungen, sich an der dynamisch auftürmenden Schuldenlast der Schuldner zu beteiligen, da diese mit jeder weiteren Schuldenaufnahme zu eigenständiger Tilgung immer unfähiger werden. Damit wird die Axt nicht nur an die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft sondern auch an die der Europäischen Union gelegt.
Misst man daher die Ergebnisse der Amtszeit Draghis an seinem Auftrag, kann das Urteil verheerender nicht sein. Sie muten wie die Trümmer eines Feldzugs gegen die Statuten der eigenen Institution an, deren Regelwerk stets auf Stabilität und Maßhalten gerichtet war und so auch im „Schwarze Null“-Credo der deutschen Finanzpolitik Ausdruck findet. Im diametralen Gegensatz dazu stehend eine irreal anmutende Geisterwelt der Flutung des Euroraumes mit immer wieder neuen Geldschüben aus der Druckmaschine, um mit grenzenloser Verschuldung auf Wachstum um des Wachstums willen zu setzen, wo als Zeitansage etwas fundamental anderes gilt: den Geboten der Vernunft und der ökologischen Notwendigkeit folgend sich den klimapolitischen Herausforderungen zu stellen und Sparsamkeit generell und vor allem im Umgang mit den natürlichen Ressourcen ganz obenan zu stellen.
„Die Bevölkerung hat ein sicheres Gespür dafür, dass hier etwas ganz Grundlegendes nicht mehr stimmt“, meldet sich der gefühlt-bevorzugte Kanzlerkandidat der Union Friedrich Merz zur Sache und klagt an, dass die EZB ihr wichtigstes Kapital, das Vertrauen in ihre Kompetenz als Währungsbehörde, aufs Spiel setze, wenn sie nicht wieder zu solider Geldpolitik zurückfinde. Paul Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter, wird direkter, wenn er der Notenbank vorwirft, in die Eigentumsrechte der Bürger einzugreifen: „Wenn der Bürger sein Geld der Bank überlässt, muss dieses Eigentum prinzipiell nutzbar und ertragsfähig sein. Und genau das organisiert die Europäische Zentralbank weg – ohne jedes Mandat. Sie besitzt nur ein Mandat für Geldwertstabilität, nicht für Umverteilung.“
Treffender als ein Bürger aus Frankfurt am Main in einem Leserbrief an eine deutsche Tageszeitung vermag wohl niemand den alle Grenzen sprengenden währungspolitischen Skandal auf den Punkt zu bringen: „Die EZB finanziert seit Jahren die Pleitestaaten der EU, die auf hunderten Milliarden fauler Kredite sitzen. Die EZB nimmt mit ihrer Nullzinspolitik in Kauf, auch die Geschäftsmodelle unserer Banken weiter zu ruinieren. Wie lange lassen wir uns das noch gefallen?“
Das bemühte Wegschauen der Regierung und der regierungsnahen Medien von den Manipulationen der mit ihren eigenen Statuten auf Kriegsfuß stehenden Währungsbehörde der EU dürfte seinen tieferen Grund in der Scheu haben, an ein Tabu zu rühren: Wäre doch die Rückkehr zu einer „normalen“, die Wirtschaftskräfte wieder belebenden und die Interessen der Sparer wahrenden Geld- und Zinspolitik der EU nur im Weg einer Neuformierung der Eurozone zu haben, an die sich in der EU bisher niemand heranzuwagen traut.
Dieser Beitrag ist am 9. Oktober 2016 in seinem Kernteil (ohne die aktuellen Bezüge) in tichyseinblick unter dem Titel „Es reicht – Europas Zerstörungs-Bataillon (EZB) endlich Einhalt gebieten“ erschienen.
Weitere Beiträge des Autors zum Thema in tichyseinblick:
„Europas Draghik – Wirtschaftskrieg Süd gegen Nord“ (13. Februar 2015)
„Null Bock auf Null Zins“ (31. März 2016)