Um seinen Freund und Staatssekretär Patrick Graichen gegen Rücktrittsforderungen zu verteidigen, setzt Wirtschaftsminister Robert Habeck alles ein – auch Unterstellungen und schiefe Bilder. Im Tagesthemen-Interview beklagte der Vizekanzler kürzlich die „Härte und Böswilligkeit“ der Opposition bei diesem Thema, um dann sehr weit auszuholen: Wer die Verabschiedung Graichens aus dem Amt fordere, dem gehe es in Wirklichkeit darum, die „Dekarbonisierung“ Deutschlands zu verhindern. Vor dem Hintergrund dieser großen Aufgabe sei er „nicht bereit, Menschen zu opfern“ – so, als ob es sich bei der Versetzung eines Staatssekretärs in den Ruhestand – verbunden mit einem üppigen Ruhegeld – ernsthaft um ein Menschenopfer handeln würde.
Die Affäre um die Neubesetzung an der Spitze der Deutschen Energie-Agentur (Dena) durch den Graichen-Freund und seinen Trauzeugen Michael Schäfer stellt allerdings nur ein Detail in dem jahrelangen Versuch der Grünen und verschiedener Lobbyverbände dar, die halbstaatliche Agentur endlich ganz auf ihre Linie zu bringen. Der verbissene Kampf dauert seit mittlerweile neun Jahren an – und wäre schon erfolgreich zum Abschluss gekommen, wenn Schäfer, als neuer Dena-Chef berufen zum 15. Juni 2023, den Posten auch antreten könnte. Unter dem Druck der Opposition und sogar der anderen Ampel-Koalitionspartner muss sein Vertrag jetzt aufgelöst werden, das Auswahlverfahren beginnt noch einmal von vorn.
Wer in der Geschichte der Grünen und der Dena etwas weiter zurückschaut, entdeckt dort tatsächlich Beispiele von Härte und auch Polemik: allerdings von Seiten der damals noch oppositionellen Grünen.
Aber zunächst einmal: Warum wurde die Neubesetzung des Dena-Chefpostens überhaupt nötig? Der langjährige Chef der Agentur Andreas Kuhlmann, ein SPD-Mann, hätte gern weitergemacht. Das entschieden die Verantwortlichen an der Spitze des Wirtschaftsministeriums 2022 anders. Sie wollten an der Spitze der Agentur, deren Finanzierung sich vier Bundesministerien, die KfW und private Unternehmen teilen, ganz offensichtlich jemand sehen, der ihre Wirtschaftsumbau-Pläne bedingungslos unterstützt. Dazu fand sich Kuhlmann, Chef der Organisation seit 2015, nicht bereit.
Bei seiner Abschiedsrede meinte er, es sei aus seiner Sicht nicht entscheidend, „ob eine Wärmepumpe in Wanne-Eickel 2024 oder 2025 eingebaut wird“. Würde die Deutsche Energieagentur einfach nur eine Art Unterabteilung des Habeck-Ministeriums, so Kuhlmann, dann könnte man sie auch besser gleich auflösen: „Ohne eigene Haltung wäre die Dena ein Fähnchen im Wind.“ Genau darin – die Unterordnung der bisher noch hier und da eigenwilligen Agentur unter die Ministeriumsideologie – besteht aber ganz offensichtlich das Ziel Graichens und Habecks. Was den Kern dieser Ideologie ausmacht, sprach Graichen schon als Chef des Lobbyvereins „Agora Energiewende“ aus: „Es geht darum, unsere Wirtschafts- und Industriegesellschaft komplett umzubauen.“
Zu diesem Ziel passte der vorgesehene Nachfolger auf dem Dena-Chefposten bestens. Michael Schäfer kommt anders als seine beiden Vorgänger nicht von der technisch-naturwissenschaftlichen Seite. Der 50-jährige Verwaltungswissenschaftler verfügt dafür über eine lupenreine grüne Netzwerk-Biografie. In der Vergangenheit gehörte er zur Geschäftsleitung des Naturschutzbund Deutschland (NABU), war Direktor beim WWF Deutschland, und – hier schließt sich der Kreis zu Graichen – Projektleiter Industriepolitik bei der Agora Energiewende, jener Denkfabrik also, die unter Leitung des heutigen Staatssekretärs Konzepte zur Gesellschaftstransformation bis ins Detail ausarbeitete. Außerdem gehörte Schäfer zehn Jahre der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses an, vier Jahre davon als Fraktionsvize. Selbst dann, wenn es sich bei Schäfer also nicht um Graichens Trauzeugen gehandelt hätte, wäre die Besetzung ein Filz-Vorgang gewesen, in dem der frühere Agora-Chef einen seiner damaligen Agora-Mitarbeiter auf einen Spitzenposten hievt.
Unfreiwillig komisch wurde es, als Graichen am Mittwoch bei seiner Befragung vor dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages versicherte, er habe seinen Freund Schäfer ja eigentlich gar nicht zum Chef der Dena machen, sondern ihn nur von der Bewerbung nicht „ausschließen“ wollen.
Mit wesentlich härterem Einsatz kämpften die Grünen und diverse Lobbyorganisationen gegen Kuhlmanns Vorgänger Stephan Kohler, der die Dena von 2006 bis 2014 führte. Auch er schied unfreiwillig aus dem Amt. Der Sozialdemokrat Kohler verfügte auch über gute Parteikontakte, die ins Persönliche reichten. Mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verband ihn eine Freundschaft; Kohlers Frau leitete zeitweise Gabriels Ministerbüro. Die Grünen und ihre Verbündeten wollten den Dena-Chef allerdings nicht deswegen von seinem Posten entfernen, sondern aus inhaltlichen Gründen.
Der studierte Maschinenbauer weckte bei ihnen schon deshalb Misstrauen, weil er zu Beginn seiner Karriere in der Atomindustrie arbeitete. Außerdem widersprach er einfach zu oft ihren Energie-Umbauplänen. Kohler kritisierte mehrfach öffentlich den exzessiven Windkraft-Ausbau: Der sei nicht sinnvoll, solange die notwendige Erweiterung der Stromnetze nicht hinterherkomme. Schwer verärgert reagierte die Partei auch auf seine Forderung nach 2011, einige der damals sieben abgeschalteten Kernkraftwerke nicht abzureißen, sondern in Reserve zu halten. Kohler, hieß es damals, sei in Wirklichkeit ein Gegner der Energiewende. Tatsächlich wies er auf Widersprüche hin und kritisierte illusionäre Annahmen, auch, was die Kosten des Umbau-Unternehmens betraf.
Als der Bundesrechnungshof 2014 die Gehaltshöhe Kohlers und anderer Dena-Mitarbeiter kritisierte, gab es den passenden Stoff für eine politisch-mediale Kampagne gegen ihn. Tatsächlich fiel seine Bezahlung mit jährlich 184.000 Euro und Zulagen großzügig aus. Allerdings – und dieses Detail ließen seine Kritiker damals weg – hatte er damit auch seine Altersvorsorge zu finanzieren. Und verglichen mit den 137.000 Euro, die Außenministerin Annalena Baerbock sich 2022 allein für ihr Makeup aus dem Steuertopf erstatten ließ, nimmt sich das Salär Kohlers auch nicht exorbitant hoch aus.
Die damals oppositionellen Grünen schlugen jedenfalls mit der Härte auf Kohler ein, die sie heute im Umgang mit Graichen beklagen. Die damalige grüne Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn forderte sogar, „strafrechtlich“ gegen Kohler vorgehen. Höhn erklärte: „Er ist mit seinem überdimensionierten Gehalt der Hauptnutznießer der zu viel gezahlten Steuermittel“ – obwohl die Dena insgesamt 200.000 Euro an das Wirtschaftsministerium zurückzahlte.
Bemerkenswert war auch die Tonlage, in der etliche Medien den Dena-Chef attackierten. Im Tagesspiegel hieß es 2014 beispielsweise: „Für oder gegen die Energiewende? Stephan Kohler – wie eine Spinne im Netz“. Das Blatt warf ihm vor, er werde auch „von großen Konzernen“ bezahlt. Genau das war allerdings durch die Beteiligung von Unternehmen wie RWE an der Dena in deren Struktur angelegt. Die mediale Behandlung der Graichen-Affäre im Tagesspiegel unterscheidet sich deutlich von den Kommentaren damals. Heute erklärt ein Redakteur des Blattes die Kritik an Graichen, Schäfers Berufung und den familiären Verquickungen des Staatssekretärs kurzerhand zur „rechten Kampagne“.
Bei der Neubesetzung der Dena-Spitze kann sich Schäfer nicht wieder bewerben. Interessant dürfte an der Personalie die Frage sein, ob jetzt ein Fachmann zum Zug kommt, der die Dena inhaltlich auf Mindestdistanz zu Habeck und Graichen hält – oder einfach der nächste Kandidat aus dem grünen Personalreservoir. In der Bewerberrunde, aus der Schäfer erfolgreich hervorging, saßen jedenfalls, wie Graichen vor dem Wirtschaftsausschuss einräumte, noch mehrere andere seiner Duz-Freunde.
Da der Hauptvorwurf gegen Kohler 2014 lautete, er sei zu freizügig mit Steuergeld umgegangen, ist noch ein anderes Detail der Besetzungsaffäre von Interesse: Schäfer, schon per Vertrag zum neuen Chef der Dena bestellt, steht jetzt bei Vertragsauflösung eine Entschädigung zu, falls er nicht wider Erwarten von sich aus darauf verzichtet. Die Kompensation bekäme er dann, ohne einen einzigen Tag für die Energieagentur gearbeitet zu haben.