Die Zahlen sind bekannt, die Konservativen gewinnen die absolute Mehrheit und dürfen sich einer wachsenden Gunst bei den Wählern erfreuen, während die Sozialdemokraten ein Debakel erleiden und von den Wählern abgestraft worden sind. Die Enttäuschung über das Wahlergebnis sitzt bei ihnen ebenso tief wie bei den deutschen Journalisten, die versucht hatten, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu beschwören.
Nun jagt die deutsche Sozialdemokratie nicht gerade von Erfolg zu Erfolg. Auch von dem Chef der Labour Party, Jeremy Corbyn, inspiriert und von den Jusos gedrängt, gestoßen und gezwängt suchen die deutschen Sozialdemokraten ihr Heil in einem Linksruck.
Gerhard Schröder war in den neunziger Jahren dem Vorbild Tony Blairs gefolgt und hatte sich von New Labour anregen lassen. Doch für die Partei waren New Labour und die Agenda 2010 eine schwere Bürde, ein Schwenk, den sie nicht geliebt hatte. Deshalb verwundert es nicht, dass mit der Wahl von Jeremy Corbyn in England die Nostalgiker in der Partei gewannen, die im Grunde die Rolle rückwärts zu Old Labour vollbringen wollten, sich aber entweder nicht mehr richtig erinnerten oder sich zu viel vorgenommen hatten, jedenfalls kullerte sie die vermeintliche Rolle rückwärts erst in ein gesellschaftspolitisches Nirwana und dann in das Wahldebakel. Am schmerzlichsten für Labour dürfte dabei sein, dass diejenigen, für die sie Politik zu machen vermeinen, sie nicht gewählt haben. Das kommt dabei heraus, wenn man im 21. Jahrhundert sich in die Wohligkeit einer abgelebten Ideologie des 19. Jahrhunderts zurückzieht.
Für die deutschen Sozialdemokraten müssten nach ihrem mehr oder weniger Internationale-, oder Wann-wir-schreiten-Seit-an-Seit- oder Brüder-zur-Sonne-zur Freiheit-Parteitag alle Alarmglocken schrillen. Nur, wie erklärt man, dass der neue Weg, den man pathetisch verkündete, sich schon gleich zu Beginn als Holzweg herausstellt?
Am besten erklärt man die Wahlergebnisse zur Petitesse, die letztlich die Sozialdemokratie auf ihrem Weg in die Neue Zeit nicht aufhalten, denn: „Den Sozialismus in seinen Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf“, wusste bereits Erich Honecker. Wichtig in der Politik sei eine „klare Haltung“ entgegnete deshalb siegesgewiss der Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, „Ochs“ und „Esel“ und stellte klar: „Die Sozialdemokratie wird in ganz Europa gebraucht. Wichtig ist, die Werte einer sozial gerechten Gesellschaft und des Zusammenhalts unverdrossen aufrecht zu halten. Es kommt eine Zeit nach dem Populismus.“
Es mag sein, dass es eine Zeit nach dem „Populismus“ gibt, denn es gibt immer eine Zeit „danach“, man nennt es Geschichte, nur könnte die Zeit danach auch eine Zeit ohne Sozialdemokratie und ohne Labour sein. Denn es wird immer unklarer, wofür die Sozialdemokratie „gebraucht“ wird – und darin besteht ihr eigentliches Problem, denn einen sozialistischen Traditionsverein, der sich große grüne Flecken ins Rot malen lässt, benötigt niemand außer den Funktionären der Partei. Arbeiter, Handwerker, Selbständige, aber auch Ingenieure und letztlich auch Angestellte, auch Familien benötigen weder eine rotgrüne Kommandowirtschaft, noch eine Massenmigration in die Sozialsysteme, noch Verteilungskämpfe, noch die Auflösung der inneren Sicherheit, noch den Bankrott der Bildung. Am allerwenigsten benötigen Deutschlands Bürger die De-Industrialisierung, die Zerstörung der Wirtschaftsleistung, weil ein imaginierter Klimanotstand ausgerufen und die Apokalypse beschworen wird, um letztlich unsere „imperiale Lebensweise“ zu zerstören.
Was also könnte die deutsche Sozialdemokratie aus der Niederlage von very Old Labour lernen? Sie müsste zunächst und grundsätzlich verstehen, worin die soziale Frage im 21. Jahrhundert besteht. Schaut man nach England, könnte man fast auf den Gedanken kommen, dass die Konservativen die neue Arbeiterpartei wären, zumindest bewies der konservative Boris Johnson ein weitaus besseres Gespür für die neue soziale Frage. Die Sozialdemokraten hätten den Nationalstaat als urlinkes Projekt zu begreifen, denn wie Milton Friedman schrieb, kann man offene Grenzen und einen Sozialstaat haben – nur nicht zur gleichen Zeit. Als geistige Leitplanken sollte sie Realismus und Rationalismus zurückerobern. So kühn das klingen mag, aber es existiert sogar eine Welt außerhalb der Parteibüros und der think tanks. Die EU-Vergemeinschaftung sowohl der Arbeitslosenversicherung, als auch der Einlagensicherungsfonds widerspricht den Interessen der deutschen Bürger – welche Interessen will also die SPD in der Politik durchsetzen? Am schwersten allerdings dürfte der SPD fallen, wieder zu begreifen, dass sie eine deutsche Partei und den Interessen der deutschen Bürger verpflichtet ist.
Man kann es auch in einem Wort sagen, es wäre ein Anfang, wenn die Sozialdemokratie den Kopf aus dem Himmel der verlebten Träume nähme und mit den Füßen wieder auf den Boden der Tatsachen anlangte.