Tichys Einblick
Zensur aus Peking

Wie China seine Verantwortung für Corona vergessen machen will

China nimmt Einfluß auf einen deutschen Kinderbuchverlag und betreibt eine gezielte Kampagne, um seine Verantwortung für das CoVid-19-Virus zu leugnen. Auch TE wird angegriffen.

Der Fall Carlsen hat inzwischen hohe Wellen in deutschen Medien geschlagen. Nach dem Artikel von Tichys Einblick vom vorvergangenen Sonntag haben inzwischen schon mehrere Medienhäuser in Deutschland von dem Vorfall berichtet, darunter die Süddeutsche Zeitung, die Welt, der Bayerische Rundfunk, Focus, die Frankfurter Allgemeine, Stern oder die Hamburger Morgenpost.

Kinderbuch als latentes Sicherheitsrisiko

Die Welt hat sich ebenfalls die Mitteilung des chinesischen Generalkonsulats Hamburg zur Causa Carlsen genauer geschaut. Demnach warnte das chinesische Generalkonsulat vor einem „latenten Sicherheitsrisiko“, das von einer „unsachgemäßen Darstellung“ in einem „Kinderbuch“ ausgehe. Hier bezieht sich das chinesische Generalkonsulat wohl auf einen Satz in Kinderbuch „Lesemaus 185: Ein Corona Regenbogen für Anna und Moritz“, in dem der Grundschüler Moritz behauptet, dass das „Virus aus China kommt und sich von dort aus auf der ganzen Welt ausgebreitet“ hat.

Das Konsulat riet laut dem Artikel der Welt Chinesen in Hamburg, das „Bewusstsein für Voraussichtsmaßnahmen zu schärfen“ und warnte vor „Provokationen, Diskriminierung und Hass“. Auch behauptete das Konsulat, einen „strengen Einspruch“ an den Hamburger Verlag geschickt zu haben. Kurz darauf veröffentlichte der Carlsen Verlag auf seiner Homepage eine Entschuldigung und kündigte an, die Auslieferung des Buchs mit sofortiger Wirkung zu stoppen und noch vorhandene Exemplare zu vernichten. Gab der Carlsen Verlag also dem politischen Druck der chinesischen Regierung nach? Auf Anfrage der Welt erklärt der Hamburger Verlag allerdings, keine „direkte Mitteilung“ des Generalkonsulats erhalten zu haben. Vielmehr betont der Verlag, zahlreiche „Zuschriften“ erhalten zu haben, die sich über den entsprechenden Passus im Kinderbuch beschwert hätten.

Der Bayerische Rundfunk berichtete hingegen, dass das chinesische Generalkonsulat in Hamburg sogar Strafanzeige gestellt hat, weil der Carlsen-Verlag behauptete, das „Virus komme aus China und habe sich von dort verbreitet“.

Bezeichnend ist dabei auch, dass keiner der nachfolgenden Medienberichte in Deutschland den Artikel auf TE zitiert hat, obwohl TE als erstes der deutschsprachigen Medien davon berichtet hat. So behauptete der Bayerische Rundfunk, dass die Süddeutsche Zeitung zuerst über den Fall Carsen berichtet hätte, obwohl der Artikel von der Süddeutschen Zeitung erst einen Tag nach dem TE-Bericht erschienen war. Was deutsche Medien mühsam unterschlagen, ist zumindest der Chinesischen Handelszeitung nicht verborgen geblieben. Dazu unten mehr.

Empörung der chinesischen Gemeinde

Zwischenzeitlich haben sich auch staatlich-chinesische Medien für den Fall Carlsen interessiert. So berichtete ein Artikel auf der englischen Ausgabe der Parteizeitung Global Times vom 8. März von einer Verärgerung der chinesischen Gemeinde in Deutschland über den Satz in einem deutschen Kinderbuch. Einige Chinesen hätten deshalb rasch im Internet schlechte Ratings und Kommentare über das Buch hinterlassen. Andere hätten gar Anwälte eingeschaltet und bereiteten sich vor, um gegen „Rassismus und Diskriminierung“ zu protestieren. Ein in Deutschland lebender Chinese erzählte Global Times, dass so ein Buch wie „ein Virus herum zirkuliert, die von Person zu Person und von Generation zu Generation weitergereicht werde“. Der Grund: Wenn Kinder durch die „falsche Idee indoktriniert werden, dass das Corona-Virus aus China stamme, wie würden sie chinesische Kinder in der Schule behandeln?“

Vorwurf gegen mangelnde Umsetzung der Anti-Extremismus-Bemühungen in Deutschland

Auch die chinesischen Nachrichtenportale „new.qq.com“ und „www.163.com“, die zu den größten Nachrichtenportalen in China zählen, berichten von einer starken Unzufriedenheit von in Deutschland lebenden Chinesen durch die Causa Carlsen.

Weiter heisst es:

„Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland immer das sogenannte „extremistische Gedankengut“ bekämpft. Aus diesem Vorfall um das „antichinesische Kinderbuch“ lässt sich erkennen, dass die sogenannten deutschen anti-extremistischen Bemühungen wohl nur auf dem Papier geblieben sind und nie umgesetzt wurden.

Erstens lässt sich feststellen, dass der Ursprung der Pandemie komplex ist. Dass Kinder ohne jegliche Urteilsvermögen angesichts der noch offenen Debatte um den Ursprung des Virus indoktriniert werden, dass das Virus aus China stamme, ist weder wissenschaftlich, noch moralisch.

Zweitens ist die Leistung Deutschlands in der Pandemie-Bekämpfung nicht zufriedenstellend. Bis zum 5. März Berliner Zeit hat es bislang insgesamt 2,5 Millionen Corona-Infizierte in Deutschland gegeben. Täglich gibt es über 10.000 Neuinfektionen. Die Situation ist daher sehr ernst. Tatsächlich ist die Handhabung der Pandemie im gesamten Westen sehr irritierend. Westliche Länder können nicht wie China jede enge Kontaktperson von jedem Einzelnen nachverfolgen. Die Lockdowns werden auch nur lediglich mit der Begründung aufgehoben, dass die Zahl der Corona-Infektionen erheblich gesunken seien. Das ist auch der Grund dafür, dass die Zahl der Neuinfektionen in westlichen Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland höher liegt als ganz China. Ebenso ist das die Ursache dafür, dass in den westlichen die zweite Welle und die dritte Welle der Pandemie eintreten konnten.

Außerdem haben in westlichen Ländenr inklusive Deutschlands Proteste im großen Stil stattgefunden. Viele wollten auch keine Maske tragen. Das wäre so, als ob sie aktiv ihre Umgebung mit Corona-Virus infizieren würden. Tatsächlich haben viele westliche Länder inklusive Deutschlands nur so viele Einwohner wie eine Provinz in China. Trotzdem haben sie bislang mehr als eine Million Infizierte. So eine „erstickende Handhabung“ der Pandemie kann man wirklich als „ruhmreich“ bezeichnen.“

Internationale Reaktionen

Der Fall Carlsen hat bislang nicht nur die Öffentlichkeit in China und Deutschland beschäftigt. Die Debatten darüber haben auch die internationale Presse weit über Deutschland hinaus – in Großbritannien, Australien und Amerika erreicht.

Die in New York ansässige Online-Nachrichtenplattform Coda Media etwa gab den sogenannten „Wolfskrieger-Preis“ im Rahmen seines wöchentlichen Newsletters „China Influence Monitor“ (in dem u.a. die Einflussnahme Chinas in Europa thematisiert wird) an das chinesische Generalkonsulat in Hamburg – dafür, dass der „Zorn des Parteistaates gegen ein Kinderbuch entfesselt“ wurde. Als „Wolfskrieger“ (Chin: Zhan Lang) werden die aggressiven Anhänger des chinesischen Staates genannt, die überall auf der Welt gegen jedwede Beleidigung des chinesischen Staates „kämpfen“. Eine Anfrage des Newsletters bei dem Carlsen-Verlag bezüglich möglicher ökonomischer Druckausübung Chinas blieb unbeantwortet.

Die britische Tageszeitung „The Times“ spricht im Falle der Vernichtung des Kinderbuchs von einem „kleinen Sieg“ für China.

Oliver Kamm, Autor und Kolumnist auf „The Times“ veröffentlichte dazu einen Kommentar und forderte, dass „wir niemals der Drangsalierung des chinesischen Staates nachgeben“ dürfen.

Kommentar von „The Times“-Kolumnist Oliver Kamm in der Print-Version

Auf Twitter sprach Kamm in der Causa Carlsen von einem verstörenden Fall der chinesischen staatlichen Druckausübung auf einen deutschen Kinderverlag. Die Drangsalierungskampagne gegen den Verlag sei empörend.

Auch Ian Birrell, britischer Journalist und ehemaliger Redenschreiber des britischen Premierministers David Cameron, fand klare Worte. Er nannte die Einstampfung des Kinderbuchs eine „beschämende Kapitulation“.

Der Fall erreicht sogar die britische Politik. Der britische Abgeordnete und Vorsitzender des Auswärtigen Komitees des britischen Parlaments Tom Tugendhat richtete die Frage an den Carlsen Verlag, dass der Verlag sich entscheiden müsse, ob er an die freie Presse oder Propaganda glaubt.

Bezeichnend ist, dass bislang kaum ein Politiker der etablierten Parteien in Deutschland so deutliche Worte gefunden hat.

Aktuell hat es der Fall in die New York Times geschafft:

Auslandschinesische Zeitung in Deutschland mahnt eine neue Strategie an

Die kritischen Reaktionen der westlichen Presse haben die „Chinesische Handelszeitung“, die von in Deutschland lebenden Auslandschinesen herausgegeben wird und sich primär an die in Deutschland lebenden Chinesen richtet, völlig überrascht. Noch am 5. März, als der Fall Carlsen in der deutschen Öffentlichkeit noch weitestgehend unbekannt war, feierte das auslandschinesische Blatt in einem Artikel über die öffentliche Entschuldigung des Hamburgers Verlags und die Ankündigung des Rückrufs des Buchs als einen „Erfolg im Krieg gegen die Beleidigung von Chinesen und einen Sieg im Kampf gegen die Diskriminierung“. Die Chinesen in Deutschland hätten in „dieser Schlacht auf ganzer Linie gesiegt“ und Musterbeispiele für spätere Generationen statuiert. Fast schon euphorisch berichtete die Zeitung von weiteren Protestaktionen von chinesischen Gruppierungen in Deutschland gegen den Hamburger Verlag, die am vergangenen Samstag im Siegesrausch Unterschriften für einen Protestbrief sammelten.

Am 9. März zeigte sich das auslandschinesische Blatt angesichts der zunehmenden negativen Schlagzeilen in Deutschland nicht mehr so siegesgewiss.

Die „Chinesische Handelszeitung“ führte aus, dass die Entschuldigung des Carlsen Verlags die Wahrheit ins Licht gebracht habe. Eigentlich sei die Sache um das Kinderbuch schon erledigt. Aber dem sei nicht so. Mehrere deutsche Zeitungen hätten angefangen, über den Vorfall zu berichten. Dabei seien die Berichte über diesen „Kampf der Chinesen“ überwiegend negativ.

Die „Chinesische Handelszeitung“ nannte dabei als Beispiele der negativen deutschen Berichterstattung zur Causa Carlsen die Berichte der „Süddeutschen Zeitung“ und „Tichys Einblick“.

Die „Chinesische Handelszeitung“ erläuterte, dass viele Aspekte im Bericht der Süddeutschen Zeitung nicht den Tatsachen entsprach. Dabei nannte die Chinesische Handelszeitung drei „Fakten“. Zum einen hätten sich die Chinesen für diesen Fall „der Verteidigung der Rechte der Chinesen“ selbst organisiert. Es hätte keine offizielle Stellen dahinter gegeben. Zum anderen würde die unangemessene Formulierung im Buch denjenigen „schlechten Menschen“ in Deutschland einen Grund liefern, Chinesen zu diskriminieren. Dies würde das gesunde Aufwachsen von chinesischen Kindern beschädigen und „unstabile Faktoren“ für die deutsche Gesellschaft herbeiführen. Drittens würden Kinder die Ursache und Wirkung gerne vereinfachen. Kinder würden „schlechte Sachen“ mit der Verbreitung der Pandemie in Zusammenhang bringen.

Noch ablehnender sei der Artikel von Tichys Einblick, der diesen Kampf der Chinesen „für die Bewahrung von deren Rechten“ komplett verleugnen würde. Dabei zitierte die chinesische Handelszeitung einige TE-Leserkommentare, die das chinesische Vorgehen kritisieren.

Tichys Einblick ist bislang unter den in Deutschland lebenden Chinesen weitesgehend unbekannt. Allerdings gerät Tichys Einblick durch die Berichterstattung über die Analyse des Hamburger Professors Roland Wiesendanger zum Labor-Ursprung von Covid-19 zunehmend in den Blickwinkel einiger Deutsch-Chinesen, z.B. eines in Deutschland aufgewachsenen deutsch-chinesischen Publizisten und Journalisten „Lei Zhou“. Zhou hat am 5. März in einem Artikel in seinem offiziellen WeChat-Account dargelegt, wie eine richtige Vorgehensweise der Chinesen in Deutschland im Falle des Hamburger Kinderbuchs aussehen könnte. Unter anderem schlägt Zhou vor, dass Chinesen, wenn sie hier in dem Vorfall rechtlich gegen den Verlag bzw. gegen die Autorin des Buchs vorgehen wollen, den Fokus auf „mögliche negative Auswirkungen auf chinesischstämmige Kinder in Kindergärten, z.B. durch Ablehnung seitens der deutschen Kinder“ legen sollen, aber nicht primär auf den Ursprung des Corona-Virus. Offenbar wusste hier genau jemand, was politische Korrektheit in Deutschland bedeutet und wo man ansetzen sollte, um seine Forderungen durchzusetzen. Weiterhin empfiehlt Zhou, dass sich das chinesische Konsulat möglichst wenig in die Sache einmischen soll. Er beschreibt, dass ein Fokus auf den „Ursprung des Virus“ möglicherweise zum Argwohn von einigen Deutschen führen würde, die die Frage stellen könnten, weshalb die Meinung der protestierenden Chinesen mit der der chinesischen Regierung hochgradig übereinstimmt. Dies könnte wiederum dazu führen, sodass diesen Chinesen vorgeworfen wird, von der chinesischen Regierung gesteuert zu sein. Er nannte Roland Tichy als einen dieser möglichen Deutschen, die diesen Verdacht gegen jene protestierende Chinesen erheben würde. Der Grund? Roland Tichy sei einer der „extrem wenigen deutschen Medienschaffenden in Deutschland, die die falsche Analyse des Professors Wiesendanger unterstützen würde.“

Kommen wir aber zurück zur Chinesischen Handelszeitung.

Angesichts der „negativen Berichte der deutschen Medien und angreifenden Kommentare der [deutschen] Leser“ stellt sich die chinesische Handelszeitung aber auch selbstkritisch die Frage, wie die Chinesen diese Reaktionen betrachten sollten? Das Ziel der chinesischen Aktionen sei es, ein positives Bild für China und für Chinesen zu vermitteln. Wenn aber nicht dieses Ergebnis erreicht wird, was dann? Hier verweist die chinesische Handelszeitung auf einen anderen Artikel der Zeitung, der eine wohltemperierte und rationale Vorgehensweise empfiehlt. Statt den Deutschen „Anti-chinesische Haltung“ oder „Verbreitung von Unwahrheit“ vorzuwerfen, solle man wie im Fall Carlsen argumentieren, dass Kinder nach Lesen des Buchs rassistische Gedanken gegen Chinesen entwickeln würden. Der Artikel weist darauf hin, dass die deutsche Rechtsprechung die „schwachen Gruppen“ unterstütze würde. Wenn man in einem Protestbrief an den Carlsen-Verlag die Schäden für chinesische Kinder betonen würde, würde man die „Schwachstellen genau treffen“. Diese Vorgehensweise sollten die Chinesen erlernen.

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