Tichys Einblick
Viele hoffen auf einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU - aber vorher wird in die Trickkiste gegriffen.

Wie Cameron am Brexit vorbei kommt

Tritt Großbritannien aus der EU aus? Das wird eine verregnete Sache.

Was kaum einer glauben mag, mit einem Meistertrick könnte Britanniens Premier David Cameron sich aus seiner derzeitigen EU-Falle befreien. In der Falle sitzt er: Denn einerseits hat er versprochen, ein Referendum über den Verbleib oder den Ausstieg („Brexit“) aus Europa abzuhalten – obwohl er der Überzeugung ist, dass Drinbleiben besser und der Brexit wirtschaftlich extrem schädlich ist. Was aber, wenn jetzt die Aussteiger die Mehrheit gewinnen? Dann wäre er politisch ein Toter Mann, der noch dazu die Einheit Großbritanniens verspielt hätte. 




Was tun also? Das ginge so: Cameron verbündet sich in dieser Frage auf das Engste mit der Scottish National Party. Sie hat unter der Führung von Alex Salmond 56 von den 59 schottischen Sitzen im britischen Unterhaus erobert hat. Mit diesem Partner in allen Fragen könnte er bei der EU-Reform-Debatte in Brüssel kraftvoll auftreten und damit einen Teil seiner Forderungen erzwingen. Und diese Debatte braucht er vor dem versprochenen Referendum über den Verbleib in der EU.

Aber mindestens ebenso wichtig: Damit festigt er die schottische Mitgliedschaft im United Kingdom (UK). Das bietet zwei Vorteile. Erstens ist es erklärte Absicht, dass Schottland die Union mit England verlassen wird, sollte die Mehrheit der Engländer gegen Brüssel votieren. Die Schotten wollen lieber Europa als ein vereintes Königreich mit Großbritannien ohne EU-Mitgliedschaft. Also muss Cameron erst sie in den Verhandlungsprozess so fest einbinden, dass sie hinterher keine Argumente für den EU-Ausstieg mehr finden, wenn das Referendum einen Brexit erzwingt.

Kein Labour ohne Schotten

Zweitens schafft ihm das Entlastung an der heimischen Parteifront. Die oppositionelle Labour-Party hat alles und wird alles unterlassen, was den Abmarsch der Schotten aus Großbritannien fördern könnte und damit die Gefahr des Zerbrechens des UK heraufbeschwört. Der Grund dafür liegt allerdings nicht in der überschäumenden Europabegeisterung der Arbeiterpartei, sondern in schlicht opportunistischer Wahlarithmetik.

Seit 1924 Ramsay MacDonald die Labour Party in die Downing Street 10 führte, hat Labour nie mehr eine Wahl ohne schottische Stimmen gewonnen – in England allein siegten immer die Tories.

Bricht Schottland aus dem Königreich aus, darf Labour sich auf Daueropposition im Unterhaus einrichten. Ohne Schottland wird nie mehr ein Labour-Chef Premierminister. Daher stimmt Labour für die EU und hilft Cameron – allerdings mit zusammengebissenen Zähnen – beim Referendum.

Und auch innerparteilich kann diese Strategie Cameron nutzen. Denn der drohende Ausstieg (Brexit) treibt die Tories in die Spaltung. Während der Anti-Europa-Flügel der Partei die drohenden ökonomischen Folgen als übertrieben abtut, fürchtet der liberale, wirtschaftsnahe und gleichzeitig europafreundliche Flügel um die drohenden Konsequenzen. Zwar ist London nach wie vor das zweitgrößte Finanzzentrum der Welt, aber anders als in New York wird in der Londoner City vor allem internationales Geschäft abgewickelt. Und das stammt zum großen Teil aus Europa. Bekanntlich ist die Finanzindustrie die letzte Säule der Wirtschaft auf der Insel. Denn die heimische Industrie ist – nicht zuletzt wegen Margaret Thatchers Radikalpolitik – nur noch ein Schatten einstiger Größe. Geld verdient Großbritannien vor allem mit der City – also aus Finanzgeschäften.

Im Jahr 2013 waren es mit knapp 70 Milliarden Pfund Exportüberschuss mehr als alle anderen britischen Exportbranchen zusammen. Nach dem Brexit droht der City wegen des Verlustes des leichten Zugangs zu Europa als Motor der britischen Wirtschaft das Stottern. Wenn das eintritt, ist es mit der eh schon wackeligen Einheit in der konservativen Partei vorbei. Kurz: Die Tories spalten sich in zwei Flügel. Und all dem kann Cameron entgehen, wenn seine schottische Strategie zieht: Dann kriegt er in Brüssel mehr von dem, was er fordert, behält die Schotten im Vereinten Königreich und hat machtvolle Unterstützung für seinen Pro-Europa-Kurs.




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