TE: Frau Schimke, Sie gehörten am 4. März zu den Sieben Aufrechten in der CDU, die in einer namentlichen Abstimmung den Gesetzentwurf „Zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen“ abgelehnt haben. Warum?
Jana Schimke: Es war von Beginn an meine Überzeugung, dass einschneidende Maßnahmen dieser Art vornehmlich im Parlament entschieden werden müssen. Doch mit dem damaligen Gesetzentwurf beließ der Bundestag die Entscheidung über die Pandemiebekämpfung unverändert bei der Exekutive. Aus diesem Grund sah ich keine andere Möglichkeit, Einfluss auf die Krisenpolitik in der Pandemie zu nehmen, als gegen den vorliegenden Gesetzentwurf und die Verlängerung der pandemischen Lage zu stimmen.
Gehörte Mut dazu?
Wenn man sich entscheidet, in die Politik zu gehen, gehört es dazu, für sein Gewissen einzustehen, auch gegen Widerstände.
Kaum einen Monat später will die Regierung Merkel das Gesetz verändern? Worin unterscheidet sich der Entwurf vom 4. März, der inzwischen Gesetz ist, vom neuen Entwurf?
Werden Sie diesmal zustimmen?
Ich werde nicht zustimmen, weil ich die politische Antwort auf das Virusgeschehen in vielen Bereichen für falsch halte.
Warum?
Die Pandemiebekämpfung wird immer mehr zu einem Vorhaben, das die Menschen nicht mehr mitnimmt. Der Einzelhandel, die Kultur, der Tourismus sterben. Unsere Kinder müssen den ganzen Tag Maske tragen oder dürfen gar nicht in die Schule und leiden darunter. Viele Maßnahmen sind weder wirksam, noch nachvollziehbar. Der Bund sollte jetzt vor allem eines tun: mehr Impfstoff beschaffen und die logistische Abwicklung des Pandemiegeschehens in Zusammenarbeit mit den Ländern optimieren. Die strategischen Fehler bei der Impfstoffbeschaffung wirken sich dramatisch auf die Wirtschaft und unsere Gesellschaft aus.
Die Regierung begründet die Entmachtung der Länder mit dem Argument, dass die Mutanten gefährlicher sind, und mit steigenden Inzidenzzahlen. Ist die Argumentation stichhaltig?
Niemand bestreitet, dass die Mutanten infektiöser sind. Dennoch leben wir in einer Demokratie, die vor allem auch durch unseren Föderalismus getragen wird. Politische Macht wird zurecht durch dieses System geteilt und begrenzt. Keine Mutante rechtfertigt es, das zu beschneiden.
Für die Durchsetzung des Sozialismus in der jungen DDR und zur Schaffung eines straffen Zentralismus wurden 1952 die Länder in der DDR mittels Verwaltungsreform in Bezirke aufgespalten. Überkommen die ehemalige DDR-Bürgerin Angela Merkel ostalgische Gefühle?
Ich denke, dass die Schwächung der Demokratie und die Auflösung der Freiheitsrechte gerade im Osten Deutschlands, wo man zwangsläufig Erfahrungen mit der Diktatur machen musste, auf Ablehnung stoßen. Wie sehen Sie das als brandenburgische Bundestagsabgeordnete?
Die Sensibilität für Freiheit und Gerechtigkeit ist hier im Osten stark ausgeprägt. Die Menschen reagieren nach mehr als einem Jahr Corona-Krise gereizt auf die immer selben politischen Antworten und jetzt natürlich auch die systemischen Veränderungen. Das ist übrigens Wasser auf die Mühlen von politischen Kräften, die am Rand des demokratischen Spektrums oder gar außerhalb stehen.
Die Grünen hoffen, wenn sie im Herbst an die Regierung kommen, das Pandemie-Regime in das Klima-Regime überführen zu können. Nach Corona-Lockdown in den Klima-Lockdown, denn sie halten die sogenannte Klimakrise für weit schlimmer. Dass sie geschlossen der Zentralisierung zustimmen, ist daher logisch. Aber warum folgen so viele Abgeordnete der CDU der Kanzlerin auf diesem rechtlich fragwürdigen Weg?
Diese Frage bekomme ich sehr oft gestellt in diesen Tagen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei allem Protest auch viele Menschen in diesem Land gibt, die das alles unkritisch sehen und die Art und Weise, wie wir das Virus eindämmen wollen, für richtig erachten. Da gehen die Meinungen durch alle Parteien hinweg auseinander. Für mich sind Maß und Mitte sowie eine ordentliche Portion gesunder Menschenverstand entscheidend. Gerade wenn es um die befristete Einschränkung von Grundrechten geht, spielt Vertrauen in die politisch Handelnden eine extrem große Rolle. Ist dieses Vertrauen durch falsche Entscheidungen beschädigt, wird es schwer, Akzeptanz zu erzeugen.
Gilt die Freiheit, gilt Seriosität, Konsolidität und Wirtschaftlichkeit nichts mehr in der CDU?
Selbstverständlich. Deshalb ringen wir auch so hart um unsere Positionen.
Verdeckt das Kanzlerkandidatentheater wie ein Rauchvorhang die Entmachtung der Länder? Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki stellt eine Denkweise wie in „autoritären Staaten“ fest. Wenn das alles so von einer Kanzlerin durchgestellt werden kann, ohne dass der Bundestag oder die Ministerpräsidenten sich wehren, wie funktionstüchtig ist dann noch unsere Demokratie?
Wie prognostizieren Sie das Abstimmungsverhalten der CDU/CSU Fraktion?
Das hängt davon ab, ob es gelingt, noch Änderungen am Entwurf vorzunehmen. Meine Prognose ist, dass der Anteil der Nein-Stimmen, bzw. nicht abgegebenen Stimmen ansteigt.
Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage?
Das macht mir Sorge. Aller Prognosen zum Trotz, wir werden erst nach Corona und dem Auslaufen der Insolvenzregelungen sehen, wie die Lage tatsächlich ist.
Sollte einmal der Lockdown aufgehoben werden: wie sieht dann unserer Land aus: wirtschaftlich, mental, rechtsstaatlich und demokratisch?
Unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft ist robust und widerstandsfähig. Ich hoffe, dass der Aufbau nach der Krise schnell gelingt. Sorge bereiten mir der hohe Schuldenstand sowie die finanziellen Aussichten für unsere sozialen Sicherungssysteme. Im Politischen müssen wir zu einer neuen Prioritätensetzung kommen. Die Corona-Krise hat uns vor Augen gehalten, wo die Defizite liegen, vor allem bei der Digitalisierung und der Bürokratie. Insgesamt müssen wir alles daran setzen, dass der schon entstandene Schaden in den genannten Bereichen nicht noch größer wird. Den mir möglichen Teil werde ich dazu beitragen.