Im Jahr 1973 kam das Scheidungsdrama „Szenen einer Ehe“ des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann, das im schwedischen Fernsehen zunächst als sechsteilige Fernsehserie gezeigt worden war, auch in die deutschen Kinos. Dort wurde das Drama zu einem großen Erfolg. Es dokumentiert ebenso akribisch wie anschaulich das Auf und Ab des Scheiterns der zehnjährigen Ehe eines gutsituierten Ehepaars, das in der Homestory einer Zeitschrift noch als Musterehepaar vorgestellt und gefeiert worden war. Kurz darauf gesteht der Ehemann seiner Ehefrau, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat und sich deswegen scheiden lassen will. Darauf folgt ein zähes Hin und Her von Trennung und Wiederannährung bis hin zur endgültigen, auch amtlichen Scheidung.
Die neu geschlossene, christ-sozialdemokratische Ehe führte während ihrer vierjährigen Dauer nicht zu dem von den beteiligten Ehepartnern erhofften Aufblühen ihrer Parteien, sondern zu deren allmählichen Erosion, die sich bei der Bundestagswahl 2017 in einem Verlust an Wählern von insgesamt rund vierzehn Prozentpunkten niederschlug. Eine Fortsetzung der GroKo-Ehe war damit seitens der Wähler abgelehnt worden, was die Sozialdemokraten bewog, die sofortige Scheidung zu erklären. Die Christdemokraten, die sich eine Fortsetzung der bestehenden Ehe trotz des Wählervotums weiterhin gut vorstellen konnten, sahen sich daraufhin genötigt, sich nach anderen Ehepartnern umzusehen. Nachdem noch kurz vor der Wahl per Gesetz die „Ehe für alle“ erlaubt worden ist, war eine wichtige Hürde für eine Verbindung mit den Grünen und den Freidemokraten aus dem Weg geräumt. Anders als noch im Jahr 2013 waren die Grünen einer Ehe mit den Christdemokraten und den Freidemokraten gegenüber äußerst aufgeschlossen, fürchteten sie doch, bei einer erneuten Absage auf Dauer als alte Jungfer zu enden. Demgegenüber sahen die Freidemokraten das Risiko, bei einer Dreier-Beziehung mit den Christdemokraten und den Grünen unter die Räder zu kommen und setzten daher lieber auf aussichtsreichere Eheschließungen in der (nahen) Zukunft.
Dies zeigt, worum es bei den (an-)laufenden GroKo-Gesprächen für die beteiligten Partner in der Hauptsache geht: die Wiedergewinnung ihrer jeweils verloren gegangenen Anhänger und Wähler bei gleichzeitiger Fortsetzung der (noch) bestehenden Verlierer-Koalition. Das setzt voraus, daß Christdemokraten und Sozialdemokraten jeweils unterschiedliche, vielfach sogar gegensätzliche politische Akzente setzen, mit denen sie ihre jeweilige (Stamm-)Klientel ansprechen, um diese für sich zurück zu gewinnen.
Besonders offenkundig wird auch dies wiederum beim Thema Flüchtlings- und Migrationspolitik, das inzwischen zum wichtigsten politischen Konfliktfeld avanciert ist. Hier wollen neben der CSU mittlerweile selbst namhafte Vertreter der CDU durch eine Begrenzung der Zuwanderung und durch verschärfte Aufenthaltsregeln und –bedingungen für Asylbewerber an die AfD und die FDP verlorene Wähler ansprechen.
Das würde für die SPD zwar durchaus auch Sinn machen, haben doch auch die Sozialdemokraten rund 400.000 Wähler an die AfD verloren. Die Parteiführung der SPD scheint jedoch eher daran interessiert zu sein, Wähler der Grünen und der Linken (wieder) für sich zu gewinnen, indem sie sich gegen eine zahlenmäßige Begrenzung der Zuwanderung und für eine Öffnung des Familiennachzugs stark macht. Damit positioniert sie sich, entgegen Gabriels Plädoyer für eine migrationspolitische Berücksichtigung der Interessen der „kleinen Leute“, neben den Grünen und der Linken endgültig als eine Partei kosmopolitisch orientierter „Globalisierungsgewinner“ aus der Mittel- und Oberschicht. Ihren Anspruch, wieder deutlich über die 30-Prozent-Marke zu gelangen, um so erneut den Status einer Volkspartei erreichen zu können, hat sie damit faktisch aufgegeben. Dies wäre allenfalls noch durch die wenig wahrscheinliche parteipolitische Fusion mit der Linken denkbar, wie sie Oskar Lafontaine jüngst ins Spiel gebracht hat.
Die insbesondere von Angela Merkel und ihrer Entourage gewünschte Fortsetzung der christ-sozialdemokratischen Ehe steht vor diesem Hintergrund unter einem denkbar ungünstigen Stern. Wollen die beteiligten Partner ihre jeweiligen, den (verloren gegangenen) Wählern versprochenen politischen Ziele nicht verraten, dürfen sie nicht erneut koalieren. Tun sie es trotzdem, laufen sie in hohem Maße Gefahr, noch mehr ihrer bisherigen Wähler zu enttäuschen und so bei den nächsten Wahlen gemeinsam unter die Fünfzig- Prozent-Marke zu fallen. Wer dabei die größeren Verluste zu tragen hat, wird bei einer solchen Verlierer-Koalition vor allem davon abhängen, wer mehr seiner Ziele durchsetzen und in die Tat umsetzen und dies öffentlich auf seinem Erfolgskonto verbuchen kann. Wir werden daher, sollte die christ-sozialdemokratische Verbindung tatsächlich fortgeführt werden, Zeugen eines ständigen Hauens und Stechens von drei Partnern sein, deren GroKo-Ehe spätestens seit dem 24. September 2017 definitiv gescheitert und nicht mehr zu kitten ist. Das wissen gewiß auch die Teilnehmer der beginnenden Sondierungsgespräche. Wir dürfen daher gespannt sein, ob einer dieser Teilnehmer die Courage besitzt, endlich die Scheidung einzureichen. Das wäre nicht nur für die beteiligten Parteien, sondern auch für Deutschland ein Segen.