Tichys Einblick
Ein durchsichtiges Spiel

Wer bleibt, der wechselt die Seiten

Der Rauswurf Monika Marons bei S. Fischer erzählt von einem Kategorienfehler. Machtkritik ist immer nötig. Auch, wenn die Macht links ist. Wie soll ein Autor sonst über die Gesellschaft schreiben?

imago images / Gerhard Leber

Arkadien gibt es in Berlin wirklich. Am Rand der Stadt, ein paar hundert Quadratmeter groß: das Literarische Kolloquium am Wannsee. Eine Gründerzeitvilla, ein Park mit abfallendem Gelände zum Ufer, ein weiter Blick über das Wasser. An diesem Ort, dessen Adresse Sandwerder 5 schon nicht mehr nach Metropole klingt, feierte der S. Fischer-Verlag im Sommer 2016 den 75. Geburtstag seiner Autorin Monika Maron.

Ein Redner des Verlags führte das Publikum durch sechsunddreißig gemeinsame Jahre, von ihrem ersten Buch „Flugasche“ im Jahr 1981, das in der DDR nicht erscheinen durfte, bis zur Gegenwart – damals der Roman „Zwischenspiel“ – und freute sich auf die nächsten Manuskripte.

Die originellsten Glückwünsche des Abends überbrachte Norbert Dickel, Stadionsprecher von Borussia Dortmund, der per Video zugeschaltet eine launige Rede auf die Borussia-Anhängerin Maron hielt. Zu der Feier am Wannsee kam auch Bundespräsident Joachim Gauck vorbei. Er unterhielt sich ziemlich lange mit Maron am Stehtisch beim Wein. Beide kennen einander seit langem, sie beurteilen bestimmte Gesellschaftsthemen unterschiedlich, was sie aber nicht daran hindert, miteinander zu reden. Niemand hätte es an diesem Abend für wahrscheinlich gehalten, dass sich die Wege von Verlag und Autorin einmal trennen würden. Und wenn, dann nur aus einem dramatischen Grund.

Eigentlich trennten sich beide auch gar nicht voneinander. Monika Maron bekam am 9. Oktober einen Anruf von ihrem Lektor; ihr wurde der Rauswurf nach 40 Jahren Zusammenarbeit mitgeteilt. Es lässt sich auch nicht die eine dramatische Ursache dafür ausmachen. In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ über den Hinauswurf zitierte die Schriftstellerin Günther Busch, den langjährigen Lektor der edition suhrkamp: „Ein Autor bleibt bei seinem Werk.“ Und kommentierte: „Das kann ich nun nicht mehr.“

Was als vorgebliches Motiv für Trennung in der Branche und manchen Medien herumgereicht wird, kommt nicht ernsthaft in Frage: Dass ihr Essayband „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“ nicht bei Fischer erschien, sondern im Frühjahr 2020 in der kleinen EXIL-Edition des Buchhauses Loschwitz. Maron hatte ihren Verlag gefragt, ob er eine Sammlung ihrer Essays herausbringen wollte. Er mochte aber nicht. Wohlgemerkt, es handelte sich bei dem, was dann in der EXIL-Reihe erschien, durchweg nicht um neue Texte, sondern schon veröffentlichte, teils bei Fischer, teils anderswo, etwa in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Der Verlag S. Fischer war mit der Publikation außer Haus auch ausdrücklich einverstanden.

Als Scheidungsgrund taugt diese Veröffentlichung auch deshalb nicht, weil sich der Riss schon vorher angekündigt hatte. Schon bei ihrem Buch „Munin oder Chaos im Kopf“, erschienen 2018, gab es verlagsinterne Bedenken. In diesem Roman blickt die Hauptfigur skeptisch auf die Einwanderungswelle von 2015 und die Bildung von gesellschaftlichen Lagern, zwischen denen kaum noch eine Diskussion über die Migration und anderen Fragen stattfindet. Damals ähnelten manche Rezensionen eher besorgten Diagnoseversuchen: was ist los mit Monika Maron? Warum behandelt sie die Themen Massenmigration und Islam anders als die meisten ihrer Schriftstellerkollegen, nämlich distanziert und kritisch? Genau diese Frage stellten sich offenbar auch einige Mitarbeiter bei Fischer. Offenbar, ohne in Marons Biografie und in ihren Büchern nach einer Antwort zu suchen.

Als die langjährige Fischer-Verlegerin Monika Schoeller im September 2019 ihren 80. Geburtstag feierte, zitierte das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels die Glückwünsche von Schriftstellern und zählte Autoren auf, die in Schoellers Ära zum Verlag gekommen waren. Marons Name fehlte in der Liste. Erst, als Kollegen nach dem Grund fragten, trug das Börsenblatt die Autorin nach.

Auch über ihr letztes Buch bei Fischer, den Roman „Artur Lanz“, erschienen in diesem Jahr, beugten sich manche Journalisten, als müssten sie eine noch nie dagewesene Kreatur sezieren, also ein Unwesen. In dem Buch findet sich das, was unter den alten und etwas zu oft bemühten Begriff Gesellschaftskritik fällt. Nur richtete die sich eben nicht gegen die branchenüblichen Verdächtigen. In dem Roman tritt beispielsweise die einflussreiche Kulturfunktionärin Penelope Niemann auf, ein Musterbild an politischer Korrektheit, Bildungsferne und erfolgreicher Betriebsnudeligkeit. Auch das passende Milieu dazu setzt Maron in Szene. Dazu kommt das eigentliche Thema des Buchs: die Figur des Helden – und die Frage, warum diejenigen, die in der Gesellschaft den Ton angeben, sich über Helden (und Männer) nur noch ironisch bis abfällig äußern. Der „Tagesspiegel“ stellt schon am Beginn seiner Rezension fest: „Monika Maron hadert in ihrem literarisch verunglückten Roman ‚Artur Lanz’ mit dem postheroischen Zeitalter, dem Feminismus, dem Klimawandel und der Migration.“ Wie in einem politischen Dossier heißt es weiter: „Maron sprang 2018 ihrem Kollegen Uwe Tellkamp zur Seite, als dieser sich mit seinen Aussagen zur Flüchtlingspolitik und Meinungsfreiheit stark nach rechts vergaloppierte.“

Den Vorwurf, irgendein Autor hätte sich stark nach links vergaloppiert, kann man übrigens im deutschsprachigen Raum und nicht nur dort lange suchen, ohne irgendeinen Textbeleg zu ergattern. Der SPIEGEL meldete mit befriedigtem Unterton den Verlags-Rauswurf der Autorin, „die immer wieder mit rechten Äußerungen für Empörung sorgt“. Und zwar bei den Empörbeauftragten des SPIEGEL. Missfallsbekundungen über linke Äußerungen sind dort grundsätzlich nicht vorgesehen. Wenn, dann kommen sie von anderswo und heißen Hass & Hetze.

Und genau hier liegt der Grund für die allergische Reaktion vieler Wohlmeinenden auf Maron, vor allem in den letzten zwei Jahren: in einem Kategorienfehler. Möglicherweise auch in einem gewollten Missverständnis. Ein Bundespräsident, der mit ziemlicher Sicherheit nicht zu Monika Marons 80. Geburtstag vorbeischauen wird, Frank-Walter Steinmeier, warnte 2018 in einer Rede vor den „selbsternannten Kämpfern gegen die sogenannten ‚Eliten’“. Wobei er das Rätsel leider nicht auflöste, wer Kämpfer gegen Eliten ernennt. Der Vorwurf zieht sich auch durch etliche Leitartikel, Mahnreden und politikwissenschaftliche Traktate, Elitenkritik sei etwas sehr Bedenkliches, Populistisches, auch gern: etwas Gefährliches. Jedenfalls dann, wenn die gemeinten Eliten links stehen. Das allerdings trifft für die Eliten in Kulturbetrieb, Medien und Universitäten fast überall in Westeuropa und den USA zu. In Deutschland auch für große Teile des politischen Establishments.

Wenn es ein Grundmuster in Marons Texten gibt, ob in Romanen oder Essays, dann ihr Blick auf Machtverhältnisse. Ihr Buch „Flugasche“ über die Umweltzerstörung in der DDR, erschienen 1981 bei Fischer, war klassische Gesellschaftskritik. „Stille Zeile Sechs“ handelte von Machtverhältnissen in der DDR und von Legenden, um diese Verhältnisse zu camouflieren. Nicht alle, aber die meisten ihrer Bücher befassen sich mit der Frage, worauf sich in einer Gesellschaft die Macht stützt, und wer welche Formeln zur Verklärung der Hierarchie benutzt. Das galt einmal als klassisch linke Sicht, jedenfalls in Zeiten, in denen die wichtigen Machtpositionen nicht in der Hand von Linken lagen.

In dem Interview mit der „Welt am Sonntag“ meint Maron über dieses linke Milieu: „Sie sind Establishment geworden, empfinden sich aber immer noch als Opposition. Das heißt, ein Angriff auf sie kann nur reaktionär sein.“

Schon 2017 fragte sie rhetorisch in dem Essay „Links bin ich schon lange nicht mehr“, erschienen in der NZZ: „Welche Achse hat sich gedreht, dass ich mich auf einer anderen Seite wiederfinde, ohne die Seite gewechselt zu haben?“

In ihrem neuen Buch „Artur Lanz“ beschäftigt sie sich mit zwei Mächten, die heute eben nur mit einem gewissen Risiko einer Kritik unterzogen werden können: der Linken und dem Islam. Beide befinden sich in einem ständigen Angriffsmodus, beide wollen in ihrer radikalen Ausprägung, wie Ayaan Hirsi Ali kürzlich feststellte, nicht diskutieren, sondern erwarten von anderen Unterwerfung. Und beide, nicht nur ihr radikaler Teil, haben bis heute nicht gelernt, Kritik halbwegs gelassen hinzunehmen.
Diese Ähnlichkeit dieser beiden politischen Größen gehört zu den interessantesten Phänomenen der Gegenwart. Eigentlich müsste sie jeden Autor reizen, der über die Gegenwart schreibt.

Von Monika Maron wird jedenfalls keiner ernsthaft erwarten, dass sie mit 79 Jahren das abstreift, was sich durch fast alle ihre Bücher zieht, nämlich Machtkritik. Was das betrifft, bleibt die Autorin bei ihrem Werk.

Nach ihrer Verabschiedung bei Fischer wird Monika Maron einen neuen Verlag finden, und ihr nächstes Buch ein Publikum. Auch die mutmaßlich neue Heimat verfügt über eine lange Tradition. Dieser Schritt wird kein Seitenwechsel.

Allerdings sortiert sich eine Gesellschaft gerade neu, wenn immer weniger Verlage, Redaktionen, Vereine und Parteien Spannung im Inneren aushalten. Wenn immer öfter eine Differenz zu einem Kontaktabbruch führt, zu der Feststellung, es gebe nichts mehr zu reden.

Abende, in denen Leute mit sehr unterschiedlichen Ansichten trotzdem ins Gespräch kommen, wirken unter diesen Verhältnissen mittlerweile exotisch. Beziehungsweise arkadisch.

Die Beteiligten können dann sagen: dort waren wir einmal.


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