Viel wurde in den letzten Wochen und Monaten über die Integration von Flüchtlingen gesprochen. Die Politik gibt sich optimistisch. Ein Teil der Bevölkerung ebenso. Dabei zweifelten andere bereits vor Monaten an, dass die Integration von über einer Million Flüchtlingen hierzulande überhaupt leistbar sei. Es seien einfach zu viele und überhaupt: Wieso sollte ausgerechnet jetzt klappen, was doch vorher auch schon nicht funktionierte? Kann man Menschen aus einer so fremden Kultur überhaupt integrieren? Und wie macht man das? Noch mehr Sozialarbeiter, Integrationskurse und andere Angebote?
Gerade in diesem Zusammenhang ruht die Hoffnung zumeist darauf, dass zumindest die Jüngeren sich gut integrieren. Wenn auch die Erwachsenen vielleicht in Sachen Integration eine verlorene Generation darstellen, dann gilt das doch nicht automatisch für die Kinder. Zwar hat man auch in der Vergangenheit nicht selten die frustrierende Erfahrung machen müssen, dass selbst Deutsche mit Migrationshintergrund aus der dritten und vierten Generation der Gastarbeiter-Familien öfter nicht richtig integriert sind, dennoch herrscht innerhalb der Gesellschaft ein breiter Konsens und eine tiefe Überzeugung, dass gerade die Jüngsten noch am formbarsten und damit am besten zu integrieren seien. Aber ist dem wirklich so? Und dabei bliebt immer noch eine Frage ungeklärt: Wollen die Zuwanderer überhaupt? Ist Integration nicht eher ein einseitiges Konzept der Politik, aber nicht der Betroffenen? Ist die neue Kultur aus deren Sicht überhaupt angestrebtes Ziel? Wo verläuft die Grenze zur Assimilation?
Ich habe mich aufgemacht, um jemanden ausfindig zu machen, der es wissen muss. Selten wird mit jenen gesprochen, die diesen Prozess hautnah miterleben. Sonja Lewe ist eine dieser Personen, die hautnah miterleben, was es bedeutet, Flüchtlinge in den Alltag in Deutschland zu integrieren. 47 Jahre ist sie alt, und seit 18 Jahren Grundschullehrerin. Ihre Schule ist eine der Schulen, die die Flüchtlingskrise unmittelbar zu spüren bekommt. Ihren richtigen Namen nennen wir nicht, weil auch im öffentlichen Dienst so etwas wie eine Schweigepflicht gilt. Man darf und soll nicht darüber sprechen. Sonja will es trotzdem tun. „Weil es wichtig ist, dass man mal in der Öffentlichkeit erfährt, was los ist. „ sagt sie mir. „Es ändert sich ja nichts, wenn man nicht zeigt, wo die Probleme liegen.“
Die Brennpunktschule
Sonjas Schule befindet sich in einem sogenannten sozialen Brennpunkt einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen. Dennoch sei das Publikum an der Schuler relativ gemischt, erklärt sie. Es gäbe auch viele Kinder aus der Mittelschicht, aber die meisten seien eben doch aus den bildungsfernen Schichten. Knapp 300 Kinder gehen hier zur Schule. Der Stadtteil, in dem die Grundschule steht, hatte auch in Sachen Flüchtlingsaufnahme in den letzten Monaten viel zu stemmen. Im angrenzenden Stadtteil ist es nicht anders, wo sich eine Siedlung befindet. Sozialer Wohnungsbau für Asylbewerber und Geduldete. Auch ihre Kinder werden, sobald sie schulpflichtig sind, Sonjas Schule zugeteilt. Ein Bus bringt sie morgens von der Siedlung zur Schule und holt sie mittags auch wieder ab. Vor der Flüchtlingskrise hat man das irgendwie im laufenden Betrieb gemanaged. Da wurden die Kinder noch auf die regulären Klassen nach Alter aufgeteilt. Probleme gab es schon damals. Den Eltern die Notwendigkeit des Schulbesuchs zu vermitteln? Kaum möglich. Die Kinder ohne Deutschkenntnisse zu erreichen? Genauso wenig.
Und nun die Flüchtlingskrise
Seit der Flüchtlingskrise haben sich diese Probleme in hohem Maße potenziert. Im Zuge der letzten Monate wurden auch an Sonjas Schule zwei sogenannte Willkommensklassen eingeführt. Hier sollen Flüchtlingskinder ohne Deutschkenntnisse in einer Art Förderklasse für maximal ein bis zwei Jahre auf den Regelunterricht vorbereitet werden. Meist geht es ausschließlich um Deutschunterricht. 23 Kinder sollten es eigentlich einmal maximal pro Klasse sein. Mit der Zeit wurden es immer mehr. Eine ganze Stelle haben sie dafür bewilligt bekommen. Die neue Kollegin hat sich in Deutsch als Zweitsprache fortbilden lassen. Ansonsten reißt man sich im Kollegium nicht gerade um die Leitung einer der Willkommensklassen.
Die Flüchtlingskinder kämen ohne Vorwarnung an die Schule. Das zuständige Schulamt interessiert sich laut Sonjas Aussage auch nicht dafür, ob die Kapazitäten vorhanden sind oder nicht. „Denen sind halt auch die Hände gebunden. Die Vorgabe kommt von oben – von Menschen, die selbst keine Lehrer sind und die Situation nicht kennen.“ Weitere Stellen sind jedenfalls erst einmal nicht vorgesehen, weshalb jetzt auch teilweise Studenten als Lehrer an der Schule arbeiten. „Früher hat man halt neben dem Studium gekellnert, jetzt unterrichtet man Kinder.“ Der Lehrermangel ist eklatant.
„Und dann kommt man morgens zum Dienst, betritt das Gebäude und dann steht da die Chefin mit einem neuen Kind an der Hand und sagt: ‚So, das ist jetzt Ihres und dann machen Sie mal’. Und dann wird das Kind in die Klasse geschoben und dann hast du es da sitzen.“
Dabei sei oft nicht einmal geklärt, wie alt die Kinder wirklich sind und ob demnach die jeweilige Klassenstufe überhaupt die Richtige ist. Viele Kinder, berichtet Sonja, würden erheblich älter aussehen. Manche Mädchen hätten schon eine richtige Figur und sähen alles andere als nach Grundschulkindern aus. Andere wiederum sähen viel jünger aus. Nachprüfen könne man das nicht. Die Angaben der Eltern zählen. Manche Kinder werden in die dritte oder vierte Klasse eingestuft und haben noch nie oder nur kurz eine Schule von innen gesehen. Das Alter und nicht die tatsächliche Schulpraxis sei entscheidend. Daneben werden alle Kinder dem Stichtag gemäß automatisch in die reguläre erste Klasse eingestuft. Eine Vorlaufzeit in der Willkommensklasse gibt es für sie nicht. Letztes Jahr waren es zwei dieser Kinder ohne Deutschkenntnisse, die bei Sonja in der ersten Klasse saßen. Vier sollten es eigentlich sein, aber die zwei Mädchen hat sie nur kurz einmal gesehen. Vermutlich sind sie mit ihren Familien weitergezogen. Genau weiß man das nicht. So plötzlich wie sie auftauchen, verschwinden sie eben auch manchmal wieder.
Und dann heult das Kind wie eine Sirene
Dabei stellt nicht nur die fehlende Information und Vorbereitung auf die neuen Schüler ein Problem und eine tägliche Überforderung für die Lehrer dar. Die meisten Kinder sind verhaltensauffällig, vermutlich traumatisiert. „Da sitzen dann Kinder bei dir in der Klasse, die teilweise richtig weinen, wo man denkt, die sind traumatisiert und man weiß nicht, was man tun soll bzw. befindet sich auch immer wieder in einer Zwickmühle. Wie verhalte ich mich jetzt?“ Es ist eine Zerreißprobe, sagt Sonja. Eine Zerreißprobe zwischen der Betreuung einer ganzen Klasse und der individuellen Betreuung teils schwer traumatisierter Kinder. „Was meinst du, wie das erst mit der Inklusion wird?!“ lacht Sonja bitter. „Wenn wir dann neben den Flüchtlingen auch noch behinderte Kinder innerhalb der Klassen individuell zu betreuen haben.“ Man würde immer mehr abstumpfen mit der Zeit. Anders ginge es nicht. „Aber wenn man dann doch wieder drüber nachdenkt, dann sind das alles schon riesige Dramen, die man da jeden Tag mitbekommt.“ Einmal hatten sie ein kleines Mädchen in der Klasse. „Die hat wochenlang richtig laut wie eine kleine Sirene geheult. Wir haben alles versucht; sie getröstet, in eine andere Klasse gesetzt, die anderen Flüchtlingskinder geholt. Das hat alles nichts gebracht. Manchmal ist sie richtig wütend geworden und es hat sich gezeigt, dass da so etwas wie ein System für sie war, was sie vielleicht von zu Hause gelernt hat. Nach dem Motto: ‚Wenn ich hier einen auf komplett bockig mache, bekomme ich meinen Willen’.“ erklärt Sonja. „Alles drehte sich immer um dieses Mädchen, was vom Leistungsvermögen, vom Kognitiven, ohnehin nicht da reingepasst hat, aber der Schulpflicht muss eben Rechnung getragen werden. Und natürlich beeinträchtigt das den Unterricht und geht zu Lasten der anderen Kinder.“
„Pausenaufsicht ist Höchststrafe“
Dabei sind traumatisierte Kinder längst nicht das einzige Problem. Ein weiteres großes Problem besteht in der Weigerung, sich an Regeln zu halten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es nur um das Rennen im Treppenhaus geht oder um ausgemachte Handgreiflichkeiten. Sicherlich sei es normal, dass Kinder toben und sich auch nicht immer an die Regeln halten, sagt Sonja, aber es sei auffällig, mit welcher Vehemenz sich die Flüchtlingskinder weigern würden, sich an feste Regeln zu halten. Es sei für sie schlicht unerheblich, ob Regeln existieren. „Bei Ermahnungen wird nur unbeeindruckt geguckt. Frei nach dem Motto: ‚Was willst du denn von mir?’. Danach wird genauso weiter gemacht wie vorher.“ Insbesondere auf dem Schulhof mache sich das bemerkbar. Mittlerweile musste die Pausenaufsicht aufgestockt werden, um der Lage überhaupt noch Herr zu werden. Gerade in den Pausen kommt es, seitdem die Flüchtlingskinder da sind, vermehrt zu Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Wohlgemerkt an einer Grundschule. Statt zwei Pausenaufsichten gibt es jetzt drei. „Pausenaufsicht ist Höchststrafe.“ erklärt Sonja mir. Sie fühle sich mittlerweile eher wie eine Sicherheitskraft und nicht mehr wie eine Lehrerin, da es mittlerweile vorrangig nur noch darum ginge, Handgreiflichkeiten zu verhindern und Kinder auseinanderzuhalten. Und manchmal geht es sogar darüber hinaus. So würden manche Väter von Flüchtlingskindern, sofern man in der Nähe wohnt, ihre Kinder auch selbst zur Schule bringen. Dass man die Kinder vor der Schule verabschiedet, möchte man auch hier nicht akzeptieren, also trifft man auch immer wieder in der Schule aufeinander. „Und dann muss man morgens eben auch manchmal nicht nur die Kinder auseinanderhalten, sondern auch die Väter.“
Meist bleiben die Flüchtlingskinder unter sich. Die Jungs spielen gerne miteinander Fußball. Aber auch hier geht es nicht ohne Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen. „Der hat mich geboxt.“, „Der hat Hurensohn gesagt“. Schimpfwörter werden zuerst gelernt. Und auch von Seiten der anderen Kinder wird sich zusehends darüber beschwert, dass sie von den Flüchtlingskindern nur angerempelt und beschimpft werden würden.
„Mit guten Worten kommt man da nicht voran.“ gibt Sonja resigniert zu. „Ich muss da immer an deinen Text von neulich denken. Der über die Konfliktlösung. Dass die einen halt lernen, ihre Konflikte verbal zu lösen und die anderen nicht. Das lässt sich halt schon im Grundschulalter ganz deutlich erkennen, dass da eben zwei ganz verschiedene Kulturen aufeinanderprallen. Die kommen hier eben schon mit einer gewissen Sozialisation an. Man weiß ja auch gar nicht, was sie in ihren Heimatländern erlebt haben. Wenn man in den Medien mitbekommt, wie sich die Erwachsenen teilweise benehmen, ist es ja klar, dass das auch auf die Kinder abfärbt.“
Wie sollen die Kinder lernen, sich an Regeln zu halten, wenn selbst die Eltern nicht bereit sind, sich an die einfachsten Regeln zu halten? „Man kann dem Vater sagen: ‚Bitte nicht mit ins Gebäude’ und der reagiert da genauso wenig drauf wie das Kind, dem man sagt: ‚Renn hier bitte nicht durch’s Gebäude’. Es gibt einfach keine Verbindlichkeit, keine Akzeptanz, sich an Regeln zu halten. Ich frage Sonja, ob das vielleicht an der sprachlichen Barriere liegen könnte. „Nein.“ sagt sie. Sie verstehen schon ganz genau, was wir von ihnen wollen. Ich kann dir das gar nicht erklären, aber wenn man das anders sieht, sieht man das eben anders. Das ist deren Einstellung und dann wird sich eben darüber hinweggesetzt.“ Mit der Einstellung zur Schulpflicht sei das genauso. Den Kindern sei überhaupt nicht klar, was sie bei uns sollen. Den Eltern genauso wenig. Es herrscht überhaupt kein Bewusstsein darüber, wie wichtig Bildung hier im Land ist. Schulpflicht wird im Zuge dessen ebenso wenig als Verbindlichkeit angesehen wie irgendwelche Regeln und Verbote.
Anpassungsbereitschaft fehlt völlig
Dabei ginge es laut Sonja nicht nur um die fehlende Akzeptanz von Regeln und Verbindlichkeiten. Besonders auffällig sei auch die generell fehlende Anpassungsbereitschaft. „Kinder lernen zumeist intuitiv von anderen Kindern.“ erklärt mir die Pädagogin. Bei den Flüchtlingskindern sei das nicht so und weder Sonja, noch ihre Kollegen könnten sich das so recht erklären. Stattdessen fiele auf, dass diese immer auf eine persönliche Ansprache angewiesen seien. Orientieren sich andere Kinder am Verhalten ihrer Mitschüler, holen beispielsweise ihr Federmäppchen heraus, wenn der andere es tut, wird sich hier komplett verweigert und nur nach persönlicher Aufforderung gehandelt. „Sie gehen einfach nicht mit der Masse mit, wie man das eigentlich kennt.“ beschreibt Sonja das Problem. „Normalerweise kommst du ja irgendwo neu hin, orientierst und akklimatisiert dich so peu à peu. So machen das die anderen Kindern. Du siehst: Aha, so läuft es und beginnst irgendwann damit, in kleinen Schritten mitzumachen. Genau das findet bei den Flüchtlingskindern nicht statt. Da ist keine intrinsische Motivation vorhanden.“ Dennoch ist es Sonja wichtig, zu betonen, dass es hier einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gibt. Die Mädchen seien insgesamt lernfreudiger. „Manchmal kamen welche neu in die Klasse und meldeten sich direkt. Sie konnten nicht viel sagen, aber sie wollten mitmachen.“ Insbesondere die syrischen Mädchen seien motiviert, während es die Jungen gar nicht sind. Ihr Sozialverhalten sei deutlich schlechter ausgeprägt. Ähnliches sei bei den Kindern aus den Balkanländern zu beobachten. Auch sie hätten erhebliche Defizite im Sozialverhalten, selbst wenn sie schon länger hier sind.
Kleine Machos
Je älter die Jungen werden, desto größer seien die Probleme. Auch wenn es, wie eingangs beschrieben, durchaus auch Problemfälle bei den Mädchen gibt, sind es vor allem die Jungen, die negativ auffallen. „Wenn sie jünger sind, kannst du sie noch ein wenig besser wie alle anderen Kinder auch durch Lob und Zuwendung erreichen. Das saugt ja jedes Kind auf. Das funktioniert auch bei den Flüchtlingskindern bis zu einem gewissen Punkt.“ Ab Klasse Drei/Vier ginge es allerdings schon los, dass sie das nicht mehr interessiert. „Sie können das nicht verbalisieren, aber das siehst du an ihrer Haltung, an den Gesten. Wenn ihnen z.B. etwas im Unterricht herunterfällt, schauen sie dich mit großen Augen an und erwarten, dass du es aufhebst und reagieren dann ganz empört, wenn du von ihnen verlangst, das selbst zu machen. Das sind richtige kleine Machos.“ beklagt Sonja. Auch in die Augen würden sie ihr als weibliche Lehrerin nicht schauen. Dabei sei es gerade in der Erziehung wichtig, dass Kinder einen angucken, wenn man ihnen etwas erklärt.
„Aber sie starren einfach an dir vorbei. Sie können das einfach nicht und wenn du sie dann mehr oder weniger zwingst, dich anzugucken, dann siehst du da die komplette Ablehnung oder allenfalls ein riesiges Fragezeichen ‚Was will die von mir, was soll das jetzt? Interessiert mich doch eh alles nicht.’“
Auch an anderen kleinen Dingen scheitert es. Ein anderes Kind an die Hand nehmen? Unmöglich. Körperkontakt sei ein absolutes No-Go, erklärt mir Sonja. „Das für sie wahrscheinlich der totale Kulturschock.“
Schon in der Grundschule wird sich voneinander separiert
Die kulturellen Differenzen fallen auch den anderen Kindern auf, weshalb man schon in der Grundschule weitgehend unter sich bleibt. Integration, Vermischung von Deutschen und Flüchtlingskindern scheitert hier schon im Kindesalter. Dabei hätte das gar nichts mit Aussehen oder Herkunft zu tun, sagt Sonja. Dafür hätten die Kinder noch gar keinen Sinn. Es läge am Verhalten. „Die Kinder spüren in instinktiv, dass da kulturell Welten aufeinanderprallen und dass das alle nicht so kompatibel ist. Schule hat halt irgendwo auch Grenzen. Der Löwenanteil muss eben vom Elternhaus kommen. Das ist auch bei den deutschen Kindern so. Wenn ich da problematische Kinder habe, kann ich mein Bestes tun. Wenn die Eltern nicht mit mir an einem Strang ziehen, ist es auch da nur allzu oft um das Kind geschehen und der Weg ist vorprogrammiert. Das Elternhaus muss da mitmachen, sonst haben wir im Prinzip direkt verloren.“
Bei den Eltern der Flüchtlingskinder gestalte sich das besonders schwer. Gerade hier würden die Eltern nicht mitmachen. Auch das hinge zuvorderst mit der Einstellung zur Schulpflicht zusammen. Ohnehin kann man die Eltern nicht direkt erreichen, wenn es zu Problemen kommt. Zuständig ist in diesem Fall eine Zweigstelle eines Wohlfahrtsverbandes. Seine Mitarbeiter werden angerufen, wenn schon wieder ein Kind unentschuldigt mehrere Tage gefehlt hat oder wenn es andere Probleme gibt. Und natürlich würden die Mitarbeiter versuchen, Druck aufzubauen, den Menschen ins Gewissen zu reden. Der Effekt, wenn überhaupt vorhanden, ist jedoch nur von kurzer Dauer. „Es wird kurz genickt und das Kind geht wieder drei Tage zur Schule. Danach geht das Spielchen wieder von vorne los.“ Man muss ständig hinterher sein. Und das wohlgemerkt im regulären Schulalltag und mit anderen Kindern, die auch ein Recht auf Unterricht haben.
„Wenn man sie anschaut, sieht man manchmal schon, wo die Reise hingeht“
Dann hake ich bei Sonja über eine Sache nach, die sie mir in unserem ersten Gespräch ohne Aufzeichnung verraten hatte. Vorsichtig frage ich sie, ob sie das noch einmal wiederholen würde, weil ich der Meinung bin, dass man es vielleicht doch erwähnen sollte, weil ich Ähnliches auch bei Tania Kambouri in ihrem Buch gelesen hatte. Sie atmet tief durch. Ist sich unsicher, ob man das so schreiben kann. Sonjas Angst, man könne sie für rechts halten, wenn sie so etwas sagt, ist groß.
„Es ist definitiv so. Das würden dir selbst die super linken Kollegen sagen.“ sagt sie schließlich. „Du guckst manche Kinder an und die haben schon Gesichtszüge drauf….das ist eingemeißelt und du denkst dir: Lass den mal 3-4 Jahre älter sein. Dann ist der hier Stammgast bei der örtlichen Polizeistelle.“
Schon jetzt würden manche von ihnen durch kleine Diebstähle auffallen. Einmal ist sogar Geld verschwunden. Wird nach dem Schuldigen gesucht, werden instinktiv die Arme in die Höhe gerissen und ein „Ich war das nicht!“ gerufen. Es ist, als hätten sie das einstudiert. Bei einem Kind ging es sogar soweit, dass eine Kollegin es aus dem Fenster beobachtete, wie es unten auf der Straße an Türgriffen von Autos zog. Der Vater in einiger Entfernung hinter ihm. Die beiden tauschten Zeichen aus. Die Frau gab den Fall daraufhin an die Polizei weiter.
Dennoch sei ein Aufbegehren von Seiten der Lehrerschaft trotz all dieser Probleme nicht zu erwarten, sagt Sonja. „Dass es diese Probleme gibt, darüber herrscht breiter Konsens. Es ist für alle wahnsinnig anstrengend und keiner möchte die Willkommensklassen leiten.“ Dennoch sei ein Großteil der Kollegen eher links eingestellt oder komplett unpolitisch. Man sieht sich als Befehlsempfänger und mehr nicht. „Über politische Themen sprechen wir untereinander nicht.“
Was, wenn sich nichts ändert?
„Aber was, wenn sich nichts ändert?“ frage ich Sonja daraufhin. „Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, damit das alles besser klappt?“
„Ja wo soll man da anfangen?“ ist Sonjas erste Reaktion. „Im Prinzip müsste da schon an ganz anderer Stelle in der Politik angesetzt werden. Wir können ja nichts daran ändern, dass die Kinder zu uns kommen und da würde sich meiner Meinung nach auch nichts am Gesamtproblem ändern, wenn sie uns noch fünf oder sechs weitere Lehrer schicken. Klar, du könntest sie sicher besser im Zaum halten, es könnte ein bisschen mehr gelernt werden , aber die Probleme liegen ja in der Integration und es ist ja nicht nur Schule, die integrieren muss, das muss ja schon viel früher einsetzen. Im Grunde müsste jede Flüchtlingsfamilie richtig angeleitet, mit einem Familienbetreuer betreut werden etc., was natürlich alles nicht realisierbar ist. Bräuchte es einen stärkeren Integrationsdruck, frage ich sie daraufhin. „Definitiv. Gerade als Lehrer hast du ja kaum Handhabe. Du kannst ja im Grunde nicht mehr machen, als dem Kind gut zuzureden und auf Basis der Vernunft zu argumentieren. Dass das Kind einfach von sich aus die Einsicht der Notwendigkeit bekommt . Das ist ja aber schon bei deutschen Kindern schwer genug und bei einem Großteil der Flüchtlingskinder einfach überhaupt nicht realisierbar und da muss selbstverständlich Druck von außen kommen, dass die Menschen verpflichtet werden für Deutschkurse etc. Wie oft sitze ich denn auch mit türkischen Müttern hier, die seit x-jahren in Deutschland leben und wo die Nachbarin als Dolmetscherin mitkommt. Wir machen ja genau da weiter mit diesen Parallelgesellschaften, wenn wir nicht endlich etwas einfordern. Das wird nur immer schlimmer werden.“
(Anmerkung: Das Gespräch wurde aufgezeichnet)