Tichys Einblick
Kaeser vs. Neubauer

Wenn der Lehrling zum Qualitätsmanager berufen wird

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat Siemens-Chef Joe Kaeser einen Korb gegeben. Und der will an dem Kohle-Projekt in Australien festhalten. Aber der Geist ist aus der Flasche. Für den Aktionärsschützer Hans-Martin Buhlmann stellen sich einige grundlegende Fragen zur Corporate Governance nicht nur bei Siemens.

CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images

Respekt! Besser kann es gar nicht kommen. Siemens-Chef Joe Kaeser hat der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer angeboten, dem Aufsichtsrat des Siemens-Mega-Börsengangs des Jahrzehntes beizutreten. Luisa gab Joe einen Korb. Vorerst? Denn die Geschichte der Grünen lehrt, dass auch Protestler nicht immun sind gegen die Verlockungen der Macht. Und der Chairman bekräftigte am Sonntagabend, dass Siemens an der Zulieferung für die Adani-Mine in Australien festhalten werde. Woraufhin wiederum Neubauer neue Protestaktionen ankündigte.

Als Geburts-Alleinaktionär der Siemens Energy AG hatte Kaeser als Chairman von Siemens das Recht zu diesem Angebot. Aber warum tut er das? Ist es richtig? Und: Hätte er das Mandat auch einem Klimaaktivisten Luis Neubauer angeboten? Wo doch die erste Voraussetzung im Nominierungsausschuss der kleine menschliche Unterschied ist, spätestens seit zwei Bundesministerinnen in der vergangenen Legislaturperiode die DAX-Hauptversammlungen verlängert und abgeräumt haben. 

Den Ausstieg für Helden hat Joe Kaeser pfiffigerweise gleich mit eingebaut – die Wahl-Nominatur umfasst den Aufsichtsrat oder einen Beirat. Der schlichte Betrachter hinter dem Busch sagt sich: Da wird dann hoffentlich ein Schuh draus. 

Joe Kaeser hat Recht. Unsere Feinde sollen wir lieben, heißt es schon sinngemäß im Matthäus-Evangelium des Neuen Testaments. Oder um es mit John Steinbeck zu sagen: Es ist besser, sich mit zuverlässigen Feinden zu umgeben, als mit unzuverlässigen Freunden. 

Aber es geht ja nicht um gesellschaftliche Freund-Feind Beziehungen, sondern darum, wessen Zukunft wir heute gestalten: die von 60-Jährigen mit Erfahrung oder die der FFF-Greta-Jugend. Nun ist die junge Frau eingeladen, sich zum „bösen alten, weißen Mann“ zu gesellen.

Soll sich die Hamburger Geographie-Studentin mit ihm gemein machen? Oder wo sind die Grenzen des Interessenkonflikts, bei dem Governance-like die Kandidatin den Raum verlassen müsste? Und bei nachhaltigem Interessenkonflikt auch das Gremium selbst wieder …

Kaeser vs. Neubauer
Wer sitzt überhaupt in einem Aufsichtsrat? Im aktuellen Deutschen Corporate Governance Codex Kodex heißt es in Grundsatz 10: „Der Aufsichtsrat setzt sich aus Vertretern der Aktionäre und gegebenenfalls der Arbeitnehmer zusammen.“ Der Aufsichtsrat sei so zusammenzusetzen, heißt es in Grundsatz 11, „dass die Mitglieder insgesamt über die zur ordentlichen Wahrnehmung der Aufgabe erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachliche Erfahrungen verfügen …“ Retail Funds wie DEKA, Union & Co. wollen nicht in die Pflichten. Hedge Funds wie Cinven, Elliot etc. sehen das ganz anders. Reicht Fridays for Future als relevante Erfahrung? Vielleicht aber ist Geographie die bei Siemens Energy bedürftige Fachlichkeit … Ach ja, der Kodex philosophiert in seinen „Empfehlungen“ auch über eine Altersgrenze. Da fragt sich der Betrachter: Meinen die in Berlin eine Ober- oder eine Untergrenze? 

Was machen Sie Herr Kaeser, wenn es nun weitergeht: Zum Beispiel mit „Monday makes Mutual“ die Anti-Kriegs und -Abschuss Bewegung und „Tuesday tows …“ der Phantasie setzt nur die Intelligenz eine Grenze. Am Ende der Woche ist die halbe Kapitalbank dann mit NGOs gefüllt. 

Über die (stark gewachsenen) Aufgaben eines Mitgliedes im Aufsichtsrat wurde schon oft räsoniert. Der Begriff selbst ist schon hilfreich: AUFSICHT und RAT, sowie die freie Zeit dazu. Kommt es einem nicht so vor, als würde ein Lehrling zum Qualitätsmanager berufen werden? Wenn dieser dann zu zaubern anfängt … „Wehe! wehe! Beide Teile stehn in Eile schon als Knechte“ (J.W.v.Goethe)


Hans-Martin Buhlmann ist einer der erfahrensten deutschen Aktionärsschützer: Seit 45 Jahren ist er als Aktionärsvertreter aktiv, nahm an mehr als 3.500 Hauptversammlungen teil und war 16 Jahre als Vorstand in der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) tätig.

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