Was für ein Schauspiel bot dieser Sonntagabend. Noch einmal ballte sich zusammen, was schon gebrochen schien: Medien und Politik blähten sich an Rücktrittsgerüchten um Horst Seehofer noch einmal zu voller Größe auf, als es darum ging, den Fakten des Streits zwischen Merkel und dem CSU-Parteiführer und Innenminister auszuweichen, als fürchte man um den Verlust einer emotionalen Komponente der Debatte.
Wenn die Schlagzeilen lauten, Seehofer weist Merkels Asylvorschläge zurück, ist das genaue Gegenteil doch Auslöser dieser Regierungskrise. Merkel verweigert sich dem Minimalkonsens. Wer sich die nun endlich im Wortlaut vorliegenden Passagen des Masterplans durchliest, die von Angela Merkel in die Waagschale geworfen wurden, dem stockt der Atem. Selbst, was man als kläglichen Versuch Seehofers betrachten muss, die anhaltende unkontrollierte Zuwanderung endlich zu begrenzen, stößt bei Merkel auf taube Ohren. Mit einem Rest an Nüchternheit betrachtet liegen die Fakten auf dem Tisch und erlauben nur eine Interpretation: Merkel hat die Hormonspritze aufgezogen und Seehofer den Ärmel hochgekrempelt, als er mit der Kanzlerin einen Konsens versuchte.
Der Spiegel hat die Minimalforderungen Seehofers aus seinem Masterplan an diesem denkwürdigen Sonntag veröffentlicht:
„Durchführung von vorübergehenden Binnengrenzkontrollen nach Schengener Grenzkodex (SGK) im erforderlichen Umfang. Die aktuelle Anordnung gilt für die deutsch-österreichische Landgrenze bis November 2018.
Im Rahmen durchgeführter Binnengrenzkontrollen erfolgen wie bisher Zurückweisungen, wenn die Einreisevoraussetzungen des SGK nicht erfüllt sind (z.B. fehlendes Grenzübertrittsdokument oder Visum). Inzwischen werden auch Personen zurückgewiesen, gegen die ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot für Deutschland besteht, ungeachtet der Frage, ob sie ein Asylgesuch stellen. Dies gilt auch für Personen, die bereits an andere Mitgliedstaaten überstellt worden sind und versuchen, nach Deutschland zurückzukehren.
Künftig ist auch die Zurückweisung von Schutzsuchenden beabsichtigt, wenn diese in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert sind.“
Bezeichnend ist hier auch der umfassende mediale Versuch, es so aussehen zu lassen, als ginge es um persönliche Dinge zwischen Merkel und Seehofer. Gar um irgendwelche Macho-Exzesse des Bayern, der es der „Kleinen“ von Helmut Kohl noch mal zeigen wolle. Nein, Seehofer hatte im Gespräch mit Maischberger sogar mehrfach versucht, dieser Emotionalisierung der sachlichen Auseinandersetzung um die Begrenzung der anhaltenden Zuwanderung auszuweichen. Am Ende hat es nichts genutzt, als lackierte Fingernägel mit Mikrofon in der Hand und Brandenburger Tor im Hintergrund nicht davon abzubringen waren, auf einen behaupteten zu hohen Testosteron-Spiegel Seehofers zu verwiesen.
Das ganze Ausmaß des Schadens, den diese Östrogenisierung der Zuwanderungsdebatte angerichtet hat, wird heute früh deutlich, wenn der Spiegel seine Leser aus dem Schlaf holt mit folgenden Sätzen: „Nun kann man mit einiger Berechtigung fragen: Hat die CSU den Verstand verloren? Ohne Zweifel waren es die Bayern, die den Streit mit der CDU so auf die Spitze getrieben haben. Wer soll verstehen, dass wegen Zurückweisungen an drei von 90 bayerischen Grenzübergängen eine Regierung scheitern soll?“
Es scheint fast so: Als Seehofer sein Ministerium vorstellte, als er nur Männer um sich scharte, war sein Schicksal besiegelt. Es geht hier nicht mehr um Fakten oder Streit um die Politik dieses Testosteron-Dinosauriers. Die emotionale Komponente dieses merkelschen humanitären Imperatives ist zur alles bestimmenden Größe geworden. Die Debatte um die Begrenzung der anhaltenden Zuwanderung kontaminiert von der Gender-Diskussion. Das Verlassen der Sachebene zugunsten von Bauchentscheidungen aus dem Kanzleramt. Deutschland kastriert sich selbst. Und Merkel hat Blut am Dolch.