WEF: Mit Merkel in der Sauna und die Übertragung von Intelligenz
Roland Tichy
Ich war mit Angela Merkel in der Sauna. OK, das ist ein paar Jahre her, nur im Ruheraum und wir trugen alle Jacken, Pullis, Thermohosen und Winterschuhe. Es war ihre Pressekonferenz in Davos, und es war kurzfristig nur noch dieser einzige Raum frei.
Davos zum Weltwirtschaftsgipfel ist rammelvoll. Schon der Flughafen Zürich hat nicht genügend Jet-Parkplätze. Deshalb landen die Staats- und Privatjets dort – aber müssen zum parken zu einem Militär-Notflugplatz weiterfliegen. Die Schweiz ist eine Festung, und nach Davos führt eine kurvenreiche Paßstraße. Sie wird unauffällig kontrolliert. Im Zweifel kommt man mit dem Luft-Taxi rein, aber nicht mehr raus.
Après Davos
Davos, das ist das Hirn der Welt; es arbeitet im Congresszentrum, wo die Nobelpreisträger-Dichte eine Woche so hoch ist wie sonst nirgends. Wissenschaftler reden zu allem, was nach Zukunft riecht aus Physik, Informatik, Chemie und über soziale Gleichheit, Homosexuellen- und Frauenrechte. Es ist ein gewaltiges und schnelles Update darüber, was gerade en vogue ist. Wissenschaft ist nicht nur Wissenschaft, sondern am besten auch hip. Davos springt gerne auf Trends – Klima, Gender, Avatare. Im nächsten Jahr kann alles anders sein. Es ist auch eine anstrengende Trend-Messe.
Dass wieder nur 17 Prozent der Teilnehmer Frauen sind, das heißt: Den „Zustand der Welt verbessern“, so das Motto von Davos, ist eben doch nur eine Sache für Kerls.
Die WEF-Hirnies werden eingeladen und zahlen nichts, finanziert von den großen Konzernen; 600.000 € kostet die Vollmitgliedschaft. Für 200.000 darf der Chef nur mit ein paar Mitarbeitern kommen; die Ehefrau läuft dann umsonst mit. Das Billig-Ticket kostet 100.000,–; aber dann nur für einen „Governor“, wie es heißt. Es lohnt sich schon deshalb, sagen viele, weil sie im Halbstundentakt andere wichtige Gesprächspartner treffen – in winzigen, licht- und luftlosen Kabuffs. Vertraulichkeit ist nicht gegeben, nach Ablauf der angemeldeten Zeit wird man verscheucht. Andere Manager tagen daher in umfrisierten Eisdielen; einer leergeräumten Boutique (Deutsche Börse mit Reto Francioni) im Museum, oder im Mitarbeiter-Raum einer Bäckerei. Alles ist vermietet in Davos, was ein Dach hat – und wenn nicht, steht ein Zelt für das „World-Food-Programm“ im Garten. Das Jugendstil-Cafe Schneider sieht heuer aus wie ein virtuelles Taj-Mahal der Computer-Industrie. Es ist vollgeklebt mit Folien, die den Informatik-Standort Indien loben. Nebenan hat Malaysia alle Balkone eines kleineren Hochhauses vollgeklebt. Gerade solche Länder scheuen keine Kosten, um sich in Davos zu vermarkten.
Das Herz und der Bauch
Das Herz und der Bauch des Weltwirtschaftsforums ist das alte Jugendstil-Hotel „Belvedere“. Dort kostet der Eintritt nur 50 €, weswegen dort viele ihr „Badge“ verbergen – an der Farbe der Einlasschips erkennt man, wer Macher, Mitmacher oder Mitläufer ist. Vor 100 Jahren ein Grand-Hotel, ist das Belvedere heute fast eine Ruine, aber für eine Woche die lukrativste der Welt: Mit vielen Zimmern, Ecken, Nischen, Sälen und Keller-Löchern, die alle vermietet sind und das alle zwei Stunden an einen anderen. Die Nächte sind lang im Zwei-Stunden-Takt. Im Belvedere treffen sich diskret deutsche Konzernlenker. Einmal im Jahr beredet man beim Wein, wie man sich gegen Chinas zentral gelenkte Staatskonzerne wehren kann; deutsche Minister laden zu Runden, die in Berlin so leicht nicht zu organisieren sind. Beim Empfang der Deutschen Bank versammeln sich alle. Es ist sicherlich der wichtigste Empfang. Die Deutschland AG lebt nicht, aber sie lebt wieder auf. Deshalb kommt auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorbei in Davos und lädt zum Frühstück mit der deutschen Wirtschaft. Henkel-Chef Kasper Rohrstedt (Persil, Patex) trinkt nur Cola und geht pünktlich um 22.00 schlafen, weil um 6 Uhr morgens seine Verhandlungen und Vorträge anlaufen. Wer will, kann den Morgen mit dem Meditations-Guru Jon Kabat Zin (Lob der Achtsamkeit und so was) beginnen oder bei Gunter Gabriel ein Liedchen zur Nacht hören. Nikolaus von Bomhardt, Chef der Münchner Rückversicherung (bei ihm versichern sich Versicherer), dagegen ist intellektuell diszipliniert; zusammen mit seiner Frau besucht er tags den wissenschaftlichen Teil. Dass die München-Rück als erstes Unternehmen vor Klimawandel und die Schäden durch Sturm und Überflutung warnte, ist der Davos-Effekt: es ist eine gigantische Volkshochschule für Manager. Post-Chef Frank Appel verlässt am Samstag seinen Dauerverhandlungsraum, um sich über die neuesten Entwicklungen der Hirnforschung zu informieren. Der Manager ist eigentlich Biochemiker und nutzt die Gelegenheit zum intellektuellen Update.
Durchs Klo zur Party
Direkt durchs Herren-WC führt der Weg vom Treffen der Wirtschaftsleute zur Party des Verlegers Hubert Burda. Da trifft sich die Internet-Welt; Oliver Samwer („Schrei vor Glück“); Marc Zuckerberg (Facebook) habe ich da kennengelernt, und nur halb so groß wie Veronika Ferres ist der Bestseller-Autor Paulo Coelho. Er gibt Autogramme auf der Serviette und alle reden mit allen. Jedenfalls da. Hubert Burda „connectet“ alle, faßt bei der Hand und bringt zueinander. Das ist der Geist von Davos. Allerdings beginnt er sich aufzulösen. Die Industrie reagiert auf ihre Weise auf die sogenannte „Lügenpresse“. Die Veranstaltungen häufen sich, bei denen Journalisten draussen bleiben müssen. Man redet lieber unter sich. RWE-Chef Peter Terium nutzt die Gunst des Ortes und verhandelt mit einem Minister eines ex-sowjetischen Staates über den Kauf einer seiner riesigen, effizienten aber in Deutschland überflüssigen Gasturbine. Die Pleiten der Energiewende in Deutschland werden auf dem Marktplatz Davos verscherbelt.
High Heels der Internet-Queen
Es ist eng, es ist kalt, Schneematsch bis ins Genick. Lange Schlangen vor der Garderobe, bis man Mantel, Pulli und Schneestiefel gewechselt hat; aber dafür darf ich Marissa Meyer (Yahoo) in die highest High Heels des Silicon Valley helfen. Google schmeisst die geilste Party; Aloe Blacc singt „Wake me up, when it´s over“ – weck mich, wenn´s vorbei ist. Der Kater ist nie vorbei. Und dann wieder diese vielen Wirtschaftsnobelpreisträger; Untergangs-Prophet Nouriel Robini; „Rettet die Welt durch Schulden“-Paul Krugman, Edmund S. Phelps: Wenn Intelligenz zu kriegen wäre wie die dort grassierende Grippe – ich wäre weit vorne.
Stimmungen werden gemacht in Davos. Vergangenes Jahr war Aufbruch – die Finanzkrise überwunden, China auf Wachstumskurs, Indien vorne und Russland mit dem Auftragsblock warten auf Manager.
Im Jahr 2015 der Kater. China will nicht mehr so viel wachsen; Wachstum sei wie „Skifahren“, sagt Chinas Premier … Man müsse Geschwindigkeit, Halten, Richtung sauber koordinieren. Es wird als Unsicherheit interpretiert. Die Russen sind ganz weg, die Amerikaner immer weniger da. An Indien glaubt keiner mehr, weil jedes Jahr Reformen versprochen werden, die ausbleiben. Die Unsicherheit ist greifbar. Davos, sagt Google-Boss Eric Schmidt, ist immer das Schwanken zwischen „Doom and Glory“. Die Depression steckt an. Dann, sagt er, fährt man nach Hause und kriegt es doch irgendwie hin.
Jörg Eigendorf und Andrea Tichy, Sieger beim Davos-Cup
Der Franken ist hart, der Schnee glitzert. Ab Samstag reisen alle ab. Am Sonntag gibt es noch ein Ski-Rennen. Dann ist Davos wieder, was es früher war mal gewesen sein soll: Ein Treffen, auf dem man mal so irgendwie mit allen sprechen kann; ohne großes Programm.Es ist der Rest des alten Davos, wo sich ein paar Unternehmer und Journalisten trafen und am letzten Tag es beim Skirennen krachen ließen. Wobei auch da der Ehrgeiz Pate stand und viel aussagt über die Charaktere: Weil Journalisten, meist jüngeren Alters als die Tops der Industrie, auf dem Siegertreppchen standen, wurde getrennt – jetzt laufen Manager getrennt von Journalisten. Damit sie irgendwie doch gewinnen können, wäre doch gelacht. Lange Jahre war es Goldman-Sachs-Chef Alexander Dibelius, er trainierte richtig für das Rennen, um es 5 mal zu gewinnen und sich dann mit einem Schnaderhüpfl (baierisches Spottlied) singend und Gitarre spielend in der Hütte zu bedanken. In diesem Jahr stand der Berater John Mengers vor Oliver Schiller auf dem Treppchen, und wieder unschlagbar in der Kategorie Journalisten Jörg Eigendorf von der WELT – der dann „Skifoan is des leibandste auf da Wood“ ziemlich akzentsauber singt: Das Leben kann so schön schlicht sein. Und Andrea Tichy von Quell, meine Frau, gewinnt bei den Damen, das 3. Mal. Es muss einfach sein. Gratulation.
Ist damit die Welt eine Bessere geworden? Zumindest hat sich ihr Zustand nicht verschlechtert. Zu erwarten, in 3 Tagen sei die Welt zu retten, wäre ja auch naiv. Nicht einmal mehr Demonstrationen gibt es gegen Davos. Das kann auch ein Zeichen seiner Irrelevanz sein.
Tage und Nächte davor sind lang. Die Kellner, meist aus Sachsen oder dem Schwarzwald stammend, sind freundlich für 27 € die Stunde (steuerfrei plus Zuschläge:) In Davos kriegen auch die Gastarbeiter aus Deutschland was ab; Davos ist also auch was für die kleinen Leute.
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