Tichys Einblick
Immer mehr Einbürgerungen

Was wählen 8 Millionen neu Eingebürgerte: Links und grün, wie von der Ampel erhofft, oder konservativ?

Die Wahl im Februar wird von einer Gruppe mitentschieden, die gerade erst die Bundesbühne betritt. Es geht um die lawinenartig erhöhte Zahl von Neubürgern, von denen letztes Jahr über die Hälfte aus islamisch geprägten Ländern stammte. Sind sie der Sprengsatz am alten Parteiensystem?

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Nie wurden so viele Ausländer in das deutsche Gemeinwesen eingebürgert wie in den letzten Jahren. Blickt man auf die Zahlen, wie sie das Statistische Bundesamt liefert, dann gab es hier noch bis 2018 eine ziemliche Gleichmäßigkeit: Jährlich wurden rund 110.000 im Ausland geborene Personen eingebürgert. In den Folgejahren stieg die Zahl der Einbürgerungen – von Corona und der damit verbundenen Gesellschaftsparalyse nur kurz gebremst – rasch an. Inzwischen sind es so mehr als acht Millionen zu Bürgern geworden, und dieselben machen damit gut 13 Prozent, also mehr als ein Achtel der rund 61 Millionen wahlberechtigten deutschen Bürger aus.

Die Ursache des Anstiegs waren offenbar vor allem die durch Ansässigkeit erworbenen Ansprüche der seit 2015 Zugewanderten. Die Gesetzesänderungen der Ampel wirken erst seit Ende Juni 2024, berichtet wurde von einer rasanten Zunahme der Anträge. Schon 2023 war eine neue Spitze erreicht worden und damit fast eine Verdoppelung des alten Werts: 200.095 Einbürgerungen gab es im vergangenen Jahr. Zugleich ging es dabei inzwischen vor allem um eine Zuwanderer-Gruppe, nämlich die ehemaligen Asylanten, die sich inzwischen als „Neubürger“ sehen und das auch offiziell machen wollen. 52 Prozent der Anträge vom letzten Jahr kamen von Personen aus Syrien, der Türkei, dem Irak und Afghanistan – wobei natürlich viele Türken nicht per Asyl eingewandert sind, auch wenn dieses Phänomen zuletzt zugenommen hat.

Mindestens 100.000 Muslime wurden also letztes Jahr zu Deutschen, und man darf und muss fragen, was das für die Wahlen im Februar bedeutet. Das Erstaunliche ist, dass es dazu bislang fast gar keine Zahlen gibt. Von der Berliner Wiederholungswahl – die TE durch eine Recherche ausgelöst hat – wurde bekannt, wie jene Muslime abgestimmt haben, die ihre Religionszugehörigkeit auf dem entsprechenden Formular angegeben haben. Mehrheitlich CDU, nämlich zu 28 Prozent, war hier das Hauptergebnis, das die linken Migrationsidealisierer alarmieren musste. Aber immerhin vier Prozent der bekennenden Muslime wählten AfD. Eine Tendenz zu linken Parteien war zu konstatieren. SPD und Linke wurden stärker gewählt als im Durchschnitt, die Grünen mit acht Prozent nicht einmal halb so oft wie sonst von den Berlinern (verrückte 18 Prozent).

17 Prozent für DAVA, 19 Prozent für „andere“

Daneben gibt es eine neuere und wohl systematischere Auswertung. Untersucht wurde das Wahlverhalten von Muslimen bei den Wahlen zum EU-Parlament vom vergangenen Juni, wenn auch nur von einem Befragungsinstitut, der Forschungsgruppe Wahlen, die normalerweise für das ZDF arbeitet. Darüber berichtete zunächst die FAZ, dann auch Focus online.

Es gab dabei in Ostdeutschland noch zu wenige Muslime, um ein gültiges Bild zu zeichnen. Im Westen gelang das aber sehr wohl. Und die Ergebnisse weichen durchaus stark von den bekannten Umfragen ab. Mit jeweils 17 Prozent wurden am häufigsten das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und die muslimische, Erdogan-nahe Partei DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) gewählt. Gemeinsam ist beiden Parteien ihr spätes Gründungsdatum; es handelt sich um Neugründungen. Insgesamt bekam DAVA bei den EU-Wahlen 0,4 Prozent, das BSW 6,2 Prozent der Stimmen.

Nun sind solche Umfragen und Auswertungen sicher mit Vorsicht zu genießen, aber die Liste der Forschungsgruppe Wahlen geht so weiter: Die CDU (oder Union) erreichte unter muslimischen Wählern 15 Prozent, die SPD 13 Prozent, die Linke acht und die Grünen sieben Prozent, FDP und AfD jeweils drei Prozent. 19 Prozent der Muslime stimmten für andere Parteien – auch das war ein relativ hoher Wert.

Nur Bauern Putins und anderer Machthaber?

Auch wenn wir damit nur eine weitere Quelle für unser Wissen haben, kann man daraus gewisse Dinge ableiten: Die SPD konnte ihr allgemeines Ergebnis von 13,9 Prozent bei den EU-Wahlen am 9. Juni fast auch bei den Muslimen erzielen. Auch die Grünen lagen schon deutlicher unter den 11,9 Prozent, die sie insgesamt erhielten. Die Linkspartei war fast dreimal so stark unter Muslimen wie sonst, dasselbe gilt auch für das BSW. Schwächer schnitten CDU und FDP ab, deren allgemeine Werte halbiert wurden. Die AfD war relativ noch schwächer bei den muslimischen Wählern. Insgesamt deutet also einiges auf eine Stärkung linker Parteien durch muslimische Wähler hin, aber nur solange es keine eigene muslimische Partei gibt.

Anders ist das Bild bei den Russlandstämmigen, deren Wahlverhalten in einer aktuellen Studie des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) untersucht wurde. Hier zeigt sich: Zumal die Generation der jungen Erwachsenen wählt deutlich seltener CDU/CSU (nur neun Prozent) oder die Grünen (acht Prozent), deutlich häufiger BSW (17 Prozent) und AfD (19 Prozent) als die entsprechende Alterskohorte in der Gesamtbevölkerung. Dieselbe Bevorzugung dieser beiden Parteien gibt es auch bei der Elterngeneration der Russlanddeutschen.

Spannend könnte nun sein, wie man die jeweiligen Unterschiede bewertet. Denn bei den Russlanddeutschen stand ja bisher, gesagt oder ungesagt, im Raum, dass sie untergründig von der Putin-Propaganda beeinflusst sind und aus diesem Grund BSW und AfD wählen. Was ist aber nun mit den Muslimen und ihrer Neigung zu BSW und DAVA? Wird man auch darin eine Beeinflussung von äußeren Mächten erkennen und künftig in der öffentlichen Diskussion darauf verweisen?

Unkartierter Kontinent Neubürger

Die AfD wird zwar von diesen Wählern weitgehend ignoriert, das scheint aber zumindest bei – dann vielleicht weniger islamtreuen – Türken nicht durchgehend der Fall zu sein, wenn man nach Stimmungsbildern gehen darf, die sich auf X und anderswo zeigen. Dort stimmen die Meinungsäußerungen von Türken oft eher mit dem Programm der AfD überein als mit denen von CDU oder SPD. Aber man bemerkt: Es ist noch ein unkartierter Kontinent, der sich da vor uns auftut und von dem wir erst einen ersten Blick erhaschen.

Schon bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 verloren die etablierten und die ehemaligen „Volksparteien“ an Zustimmung bei Türken und Russlanddeutschen, die damals noch fast allein unter allen Auslandsstämmigen von Interesse waren. Daneben ist allerdings die Wahlbeteiligung gewöhnlich unter Zugewanderten niedriger als bei den Einheimischen. Das ist aus den französischen Départements mit hohem Zuwandereranteil bekannt. Ähnlich war es bis vor kurzem auch in Deutschland. Ein Abstand von 15 bis 20 Prozentpunkten ist keine Seltenheit, was auch auf die geringere Identifikation der Neubürger mit ihrem Land zurückzuführen sein dürfte.

Mehr als 13 Prozent der Wahlberechtigten ist aber dennoch kein Pappenstiel und jeder Kampagnenplaner wird sich Gedanken machen, wie man an diese doch erhebliche Minderheit herankommen kann. Man darf also gespannt sein auf die Wahlspots, die mehr und mehr auch auf Muslime zugeschnitten sein werden und ihre Bedürfnisse stärker in den Vordergrund stellen könnten, als bisher gewohnt. Die Frage ist dann auch, wie die übrige Gesellschaft darauf reagieren wird. Aber im Grunde sind das schräge Ebenen, denen das Land nicht mehr entkommen kann. Der mehr oder weniger starke Trend zu neuen, nicht etablierten Parteien könnte sich als neuer Sprengsatz am Parteiensystem, wie wir es kennen, erweisen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen