Tichys Einblick
Bürger und Leser sind mündig

Was unsere Leser sagen

Einer der ersten Leserkommentare zu den Beiträgen über die Kölner Gewalt-Übergriffe lautet: „Nach einer kurzen Phase der Betroffenheit dürfen wir vermutlich mit relativierenden und verharmlosenden Erklärungsversuchen für das Geschehene rechnen.“

Einer der ersten Leserkommentare auf Tichys Einblick zu den Beiträgen über die Kölner Gewalt-Übergriffe lautet: „Nach einer kurzen Phase der Betroffenheit dürfen wir vermutlich mit relativierenden und verharmlosenden Erklärungsversuchen für das Geschehene rechnen.“

Genau so kam es und setzt sich fort. An zwei Stellen haben es Autoren zuerst denen – im Klischee der politischen Gesäßgeographie – rechts und dann denen links unnötig leicht gemacht. Den Pegidaführer Lutz Bachmann als „Idiot“ zu bezeichnen, wo es der Autorin um die falsche Priorität der Meinungsführer-Medien für eine Bachmann-Äußerung statt dem notwendigen Fokus auf die allgegenwärtige Terrorbedrohung ging, führte zu empörten Kommentaren – davon kein einziger zur Sache. Das Wort Massenvergewaltigung löste das gleiche aus. „Massenvergewaltigung“ anzuzweifeln erspart jede Auseinandersetzung mit den Übergriffen. Beides hätten nicht sein müssen, weil es für den Kern der Geschichten nicht ausschlaggebend war – und vor allem weil die Unbedingten auf beiden Seiten keine differenzierte Betrachtung der Dinge in der Sache wollen. Sie verlangen Bekenntnisse zu ihren Meinungen, Abweichungs-Toleranz Null.

Bürger und Leser sind mündig

Bei einem Online-Medium wie Tichys Einblick liefern die Leserkommentare oft bessere Einsichten, als professionelle Journalisten in ihren Medien präsentieren. Nicht selten kriegt unsereins aus dem Kreis der Journalisten Tipps oder Texte zu Dingen, über die sie nicht oder nicht so schreiben oder senden dürfen. Genauso verhält es sich auch mit manchen Zeitgenossen, die ihr Geld in Politik und Verwaltung, in NGOs und Verbänden verdienen.

Roland Tichy hat gestern aus einem Beitrag zitiert, den Stefan Winterbauer geschrieben hat – nach Stefan Niggemeier „der Blinde unter den Einäugigen beim Branchendienst Meedia“: „Trotz des teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Welt, trotz zig Social Media-Redaktionen und trotz Online-Redaktionen, die im Zweifel die neusten Volten im Hause Kardashian aus den USA in Minutenschnelle tickern, hat es vier lange Tage gedauert, bis ausführlich bundesweit über den Vorfall berichtet wurde. Wenn man die ‚Tagesschau‘ sah, Spiegel Online und Bild (oder andere überregionale Medien) las, bekam man bis zum vergangenen Montag nix mit von den Vorfällen in Köln und Hamburg.“

Damit bestätigte Meedia den Vorwurf der Autoren auf Tichys Einblick des zögerlichen und verzögerten Berichtsverhaltens der Meinungsführer-Medien zu den Kölner Ereignissen. Gleichzeitig drückt Winterbauer Tichys Einblick den Stempel des Rechtspopulismus auf (derselbe Stempel von Niggemeier würde mich nicht überraschen). Den Meedia-Beitrag übernahm das Handelsblatt. Ein alter Freund fragte mich, ob Tichys früherer Arbeitgeber Dieter von Holtzbrinck hier seine Lohnschreiber Rechnungen begleichen lässt. Zu den Gebräuchen in den Medienhäusern passen würde es.

„Rechtspopulismus“ – was ist das eigentlich und was „Linkspopulismus“? Damit möchte ich mich in einem gesonderten Beitrag befassen. Nur so viel vorab. Ralf Dahrendorf sagte: „Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen: des einen Populismus ist des anderen Demokratie, und umgekehrt.“ Und ein anderes Mal: Populistisch ist, was du nicht magst.

Zurück zur tagelangen Enthaltung von Meinungsführer-Medien im Kölner Skandal. Das Argument von etlichen Seiten, die Journalisten hätten erst recherchieren und dann berichten wollen, ist fadenscheinig. Das ZDF, dessen Fan ich nicht bin, hebt sich hier wohltuend ab, Vize-Chefredakteur Elmar Theveßen erklärte: „„Die Nachrichtenlage war klar genug. Es war ein Versäumnis, dass die 19-Uhr-heute-Sendung die Vorfälle nicht wenigstens gemeldet hat. Die heute-Redaktion entschied sich jedoch, den geplanten Beitrag auf den heutigen Tag des Krisentreffens zu verschieben, um Zeit für ergänzende Interviews zu gewinnen. Dies war jedoch eine klare Fehleinschätzung.“

Bürger brauchen keinen Vormund

Die Wahrheit ist:

1. Die meisten Politiker und Journalisten und anderen Meinungsführer in Gesellschaft und Wirtschaft wollen den politischen Kräfte, die sich an den Namen Pegida und AfD festmachen, keinen Stoff für deren Agitation liefern.

2. Insbesondere, aber nicht nur bei den Grünen, herrscht ein romantisches Bild, das Flüchtlingen und Zuwanderern bessere menschliche Eigenschaften zuschreibt als einem gehörigen Teil der Landsleute in Deutschland, Österreich und der Schweiz, mittlerweile auch in den meisten anderen Ländern Europas und im Westen insgesamt.

3. Mit Angela Merkels in der Migrationsfrage ebenso abruptem Kurswechsel wie in der Energiepolitik hat sie die Union als natürlichen Gegenpol zu Grünen und SPD politisch neutralisiert, als Kontrahenten von Rot und Grün aus dem Verkehr gezogen. Unionsleute können außer Union wählen nichts mehr für ihre Richtung tun.

Der gemeinsame Nenner dieser Situation landet bei einer Unmündigkeitserklärung der Bevölkerung. Wer mit der unterstellten Mehrheitsmeinung in Sachen EU, Euro und Migration nicht konform geht, muss isoliert werden, soll seine Stimme öffentlich nicht laut erheben. Das beginnt nicht bei radikalen und extremen Kräften, sondern bei den Abweichlern in den Regierungsparteien, aber auch innerhalb der Grünen. Da man entsprechende Stimmen nicht ganz unterbinden kann, sollen ihnen zumindest die Medien keine Plattform geben. Horst Seehofer, Wolfgang Bosbach und andere einzelne fungieren im Ergebnis als Ventile, die die breite Einheitsfront stabilisiert und nicht ernsthaft infrage stellt.

Mir fällt täglich auf, wie viele erkennbar aus dem Osten stammende Leser diese Situation mit der in der früheren DDR vergleichen oder gleichsetzen und sagen, das ist hier jetzt wie damals, als wir auch kuschen mussten. Ich weiß von denen, die ich 1989/1990 kennenlernte, dass unser Bild unrealistisch auf Dresden verengt ist. Dort sind nur Strukturen, die den radikalen bis extremen Protest wie unter einem Brennglas sichtbar machen. Die diesem Protest lautlos zustimmen, sind wesentlich mehr. Über die Kölner Silvester-Katastrophe und andere Vorkommnisse nicht zu berichten, erhöht den Druck im Kessel. Je weniger informiert wird, desto mehr kriegt dann jedes Gerücht Gewicht.

Die genannte Begründung der Verteidiger der Meinungsführer-Medien, vor dem Berichten müsse erst recherchiert werden, das müssten sie doch wissen, trifft für Übergriffe gegen Migranten-Unterkünfte und Zuwanderer seit jeher nicht zu. Brennt eine Unterkunft, haben die Medien kein Problem, sofort von der Wahrscheinlichkeit eines fremdenfeindlichen Hintergrundes zu berichten. Meist stimmt das ja auch, aber wenn andere Gründe zum Vorschein kommen, insbesondere wenn Migranten fahrlässig oder absichtlich involviert sind, erfährt das deutlich weniger Medienaufmersamkeit.

Nicht berichten und einseitig fördert die Extreme

Was Meinungsführer-Medien erst Tage nach der Silvesternacht über das Kölner Thema berichteten, unterscheidet sich in den Fakten nur wenig von dem, was in Köln am Tag danach bekannt war. Kein Wunder, dass viele Vorwürfe sich an den WDR richten, der in Wurfweite des Tatortes zuhause ist. Er hätte doch am intensivsten berichten können und müssen. Dass in den Medien auch das Wochenende seine Wirkung tat, bezweifle ich nicht. Aber die großen Häuser sind doch auf außergewöhnliche Ereignisse hin auch dann einsatzfähig – oder machen sie so gnadenlos dienstfrei wie die Berliner Lageso?

AfD und Pegida haben Meinungsführer-Medien durch ihr Verhalten zu Köln wieder einmal mehr Aufmerksamkeit verschafft, als es bei einer ruhigen, sachlichen und zeitnahen Berichterstattung der Fall gewesen wäre. Drei bis vier Tage nichts bis wenig über Köln und dann plötzlich nur noch. Aber nicht nur Journalisten warteten ungewöhnlich lange, Politiker auch. Nachdem sie nun langsam ihre Sprache wiederfinden, sagen sie das Übliche. Von Handlungsperspektiven keine Rede, nur, dass man Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen darf. Das stimmt immer, auch für Bürger, die fassungslos vor dem Kölner Schock stehen. Wenn Claudia Roth sagt, da geht es nicht um die Herkunft der Täter, sondern um Männerverhalten, stimmt das ebenfalls. Aber Roth ignoriert, was Alice Schwarzer ihren Kon-Feministinnen ins Stammbuch schreibt:

„Als EMMA in der November/Dezember-Ausgabe einen Forderungs-Katalog zum Schutz weiblicher Flüchtlinge und Kinder sowie zum Respekt männlicher Flüchtlinge vor Rechtsstaat und Frauenrechten in Deutschland veröffentlichte, hagelte es mal wieder die seit 30 (!) Jahren vertrauten Rassismus-Vorwürfe seitens der üblich Verdächtigen. Ein Spiegel-Kolumnist ging sogar so weit, mich des „Rassismus“ zu bezichtigen, weil ich mir erlaubt hatte, auf den traditionellen, eingefleischten „Antisemitismus und Sexismus“ vieler Männer aus der arabischen und muslimischen Welt hinzuweisen.“ Bezeichnend, dass die TAZ Schwarzer als „Rechts-Feministin“ bezeichnet. Rechts wird zum Wort, das Alles sagt – und eben dadurch nichts mehr bedeutet, außer dass die Autoren hilflos sind.

Heiko Maas hat ein Gespür fürs Falsche. Er philosophiert offenkundig freihändig und ohne Fakten über eine neue Form der organisierten Kriminalität, weil Gruppenübergriffe nicht nur in Köln, sondern auch in Hamburg und Stuttgart stattfanden. Maas macht das am iPhone fest, das alle Zuwanderer haben. Damit reiht sich Maas ein in die unglaubliche geschlossene Front der hilflosen Reaktionen vieler Politiker von der Kanzlerin angefangen. Ursula Scheer formuliert das im Feuilleton (!) der FAZ so:

„Die ersten Schlussfolgerungen der Politik sind erstaunlich. Erstens: Die Täter sollen ermittelt, angeklagt und strafverfolgt werden ohne Ansehen der Person. Das aber ist eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat, die es nicht zu betonen bedarf. Zweitens: Die Stadt Köln will mehr Polizeipräsenz zeigen und die Kameraüberwachung ausweiten. Das nennt Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin der Domstadt, ‚Prävention‘ – die sich allerdings nur auf die letzten Sekunden vor der möglichen Tat richtet. Drittens – und das ist nun wirklich das erstaunlichste Ergebnis des Krisentreffens, das die parteilose Oberbürgermeisterin am Dienstag anberaumt hat: Die Stadt Köln will Verhaltensregeln aufstellen. Und zwar für Frauen und Mädchen.“

Auf das Bull’s Eye zum Rezept der Kölner Oberbürgermeisterin von der Armlänge, die sich Frauen entfernt von Fremden halten sollten, gab es auf Facebook  unter anderem diese Stimmen:

Aus den vielen Stimmen zu den Artikeln auf Tichys Einblick zu den Kölner Übergriffen eine kleine Auswahl:

Dienstag spät abends kommentierte ein Leser:

Welches Bild von Staat und Politik sich politisch überdurchschnittlich Interessierte machen, zeigt dieser Beitrag:

„Ich verstehe die Aufregung über die Vorfälle von Köln nicht. Ähnliche Vorkommnisse geschehen in unserem Land seit Jahrzehnten, wenn auch nicht in derart konzentrierter Form, während sich unsere Gesellschaft eine Kultur des kollektiven Wegschauens angeeignet hat. In zwei Monaten wird der Vorfall vergessen sein und durch Berichte über Brandanschläge ersetzt werden. Die Helferindustrie samt ihrer Winkeladvokaten wird sich das Geschäft ihres Lebens nicht vermiesen lassen.
Die Politik wird zum eigenen Machterhalt weiterhin alle Register des ‚Teile und Herrsche‘ Spiels ziehen, bis die Staatsschuldenkrise dem Treiben ein natürliches Ende setzt. Wir haben die letzten Jahrzehnte in der Illusion einer immerwährenden Demokratie gedankenlos verschlafen und wollen jetzt augenreibend die Realität wegdiskutieren Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, dass der Drops längst gelutscht ist. Der internationale Sozialismus hält die Macht über unsere finanzielle und gesellschaftliche Zukunft in seinen Händen, während wir uns weiterhin vehement vom nationalen Sozialismus distanzieren. Die Hoheit über unser Schicksal haben wir an Leute in Brüssel übergeben, die man nicht wählen kann, die uns aber jährlich mit tausenden von Gesetzen beglücken, welche unser Leben reglementieren und unsere Grenzen für die Welt geöffnet haben. Die Vorfälle in Köln sind nur eine logische Konsequenz. Wer redet schon noch von EFSF, ESM oder Bankenrettung? Wir haften für die EU Staaten, wir zahlen die Gasrechnung der Ukraine, geben der Türkei Milliardengeschenke und und und.. Der sozialistische Wohlfahrtsstaat hat sich lediglich der Globalisierung angeschlossen. Wer jahrzehntelang glaubt, man könne dauerhaft die Zinsen für Schulden mit neuen Schulden bezahlen, ohne eine Endabrechnung zu bekommen, der glaubt auch, dass die Sonne um die Erde kreist.“

Niemand hat die Absicht, Grenzen zu ziehen

Besonders nachdenklich gemacht haben mich zwei Antworten von 50-Jährigen auf die Leserumfrage, was für sie persönlich „Deutsch sein“ bedeute.

Der Erste war bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig von Anfang an dabei, die mit dem Slogan begannen, „Wir sind das Volk“. Als später stattdessen gerufen wurde „Wir sind ein Volk“, seien das überwiegend ganz andere Gesichter gewesen als zu Beginn.

Die Zweite sagt, die Bundesrepublik hätte Deutschland nicht beitreten sollen. Nicht die DDR habe sich der Bonner Republik angeschlossen, sondern die alte Bundesrepublik habe ihre Weltoffenheit in der Berliner Republik an den DDR-Nationalismus verloren.

Die Mauer ist vor 25 Jahren gefallen, die mentale Mauer zwischen West und Ost hat sich allein schon durch Hin- und Herzüge weitgehend verflüchtigt. Nichts schätzen die Leute mehr als die Reisefreiheit durch Schengen. Genau dieses Schengen ist für die EU mehr als der Euro. Wenn ein Staat nach dem anderen von Schweden südwärts seine Grenzen wieder aktiviert, bleibt Schengen für Deutschland und Österreich. Beide sind jetzt schon umzingelt von europäischen Nachbarn, die nicht wollen wie sie.

Ich glaube inzwischen, dass die Öffnung der Grenzen für die Zuwanderung aus dem Süden durch die großen Koalitionen in Berlin und Wien einen einzigen wirklichen Grund hatte: die Kapitulation vor dem Faktischen. Erdogan für das Grenzregime der EU bezahlen, ist Teil dieser Kapitulation.

Dass der Staat Erscheinungsformen wie am Kölner Domplatz hilflos gegenübersteht und die Verantwortlichen keine Antworten haben, wie sie damit umgehen wollen, stellt uns vor die erschreckende Frage: Kapitulieren wir nach den Ereignissen von draußen auch vor denen im Inneren?

Was tun? Eigene Vorschläge von Engagierten und Katastrophen-Resistenten organisieren, die vorwärts weisen, denn einen Weg zurück gibt es nicht, auch wenn das Politiker von Warschau bis Athen und von Tallin bis Lissabon erst noch schmerzhaft lernen müssen.

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