„Aufmerksame Beobachter, die sie nur wenige Tage vor der Bekanntgabe ihrer erneuten Kandidatur im kleinen Kreis erlebt haben, waren sich absolut sicher, dass sie nicht noch einmal antreten würde.“ Schreibt Stephan-Götz Richter in einem Gastkommentar für Die Welt: „Zehn Gründe, warum Merkel verlieren wird“. Er ist in guter Gesellschaft von anderen, die von dieser Beobachtung zu erzählen wissen und normalerweise immer richtig liegen.
Richters These als rhetorische Frage: „Die meistgehasste Führungsfigur in der CDU-Geschichte?“ mit der Antwort, „dass Angela Merkel binnen Kurzem von der unumstößlichen Heldin der Partei zu ihrem Schandfleck umgemünzt wird“, kann sehr gut Wirklichkeit werden.
Besonders interessant finde ich Richters Vergleich zwischen der Grand Old Party und der strukturellen Mehrheitspartei CDU:
„Rückblickend betrachtet werden CDU-Wähler und Wirtschaftskonservative Angela Merkel nicht nur als De-facto-Wegbereiterin der rot-rot-grünen Koalition zu verachten lernen. Sie werden auch sehen, dass Merkels ‚Nichtwirtschaftspolitik‘ denselben antreibenden Effekt auf ihren Nachfolger haben wird, wie dies in den USA zweimal fatal der Fall gewesen ist.
Das erste Mal passierte das bei George W. Bush (als Nachfolger Clintons) und aktuell geschieht es bei Donald Trump (als Nachfolger Obamas). Clinton und Obama firmierten offiziell als Präsidenten der Demokratischen Partei. In der Realität haben sie hingegen eine klassisch republikanische Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben. Kein Wunder, dass ihre jeweiligen Nachfolger da zum ‚Overdrive‘ neig(t)en.“
Die Bemerkung des Autors werden sich in der ganzen Union nicht wenige auf der Zuge zergehen lassen: „Merkel hat – umgekehrt gepolt – guten Teils eine stark sozialdemokratisch eingefärbte Politik betrieben (und das längst nicht nur aus Koalitionszwängen).“
Richters dazugehörige These heißt: „Grün ist verwelkt“. Das animiert mich zur Ergänzung: Schwarz ist verdorrt.
Mit der These „Die ewige Selbstverstellerin“ trifft Richter, was ich ganz ähnlich bei vielen Lesern und Kommentatoren immer wieder höre, die auf ihre Eigenschaft als „Ossi“ hinweisen: „… dass Angela Merkel – wohl aufgrund ihrer mannigfach gebrochenen Ost-West-Biografie – am Ende nicht so recht weiß, wer sie ist oder wofür sie wirklich steht. Außer, dass es ihr irgendwie immer gelungen ist, sich im Windschattenkanal fortzubewegen.“
Bei den Unionsanhängern, vor allem auch den gewesenen, rennt die These offene Türen ein: „Die permanente Karriere-Killerin“. Schlussabsatz: „Im Rückblick – nach der Abwahl Merkels – wird es ihre Partei nicht mehr verzückt zur Kenntnis nehmen, dass Merkel alle, die zum echten Nebenbuhler hätten werden können, über den Jordan geschickt hat (wenn sie dies dümmlicherweise nicht selber bewerkstelligt haben).“
Stephan-Götz Richter hat zehn gute Gründe genannt, weshalb Merkel seiner Meinung nach verlieren wird. Ich bin da nicht so sicher wie er. Obwohl mir seine Gründe einleuchten. Bis zum 24. September kann und wird noch viel geschehen.