„Was für Journalisten ein Volk hervorbringt, ist heute ein wesentliches Moment seines Schicksals.“ Karl Jaspers, Philosoph (1883 – 1969).
Erfahrene Journalisten haben seit jeher junge Kollegen vor der gefährlichsten Krankheit des Berufs gewarnt, der journalistischen Hybris. Wer Minister auf Reisen begleitet, mit Nobelpreisträgern in deren Wohnzimmer plauscht, vom Konzernboss durch die Fabrik geführt wird, mit einem Parteichef frühstückt und vom Bundespräsidenten zu Staatsbanketten geladen wird, kann rasch ein trügerisches Gefühl der Ebenbürtigkeit mit den Mächtigen und Reichen, den Genies und den Berühmtheiten dieser Welt bekommen. Manche Journalisten dünkten sich sogar deutlich smarter als die Politiker, über die sie schrieben. Diese Selbstüberschätzung machte sie nicht selten zu ziemlich eitlen, arroganten und wenig beliebten Zeitgenossen.
Gesinnungsjournalismus ist eine Gefahr für die Demokratie
Die Vermittlung eines realistischen Bildes der Welt ist eine Bedingung für den informierten, aufgeklärten Bürger und damit für die Demokratie. Der moderne Haltungs-Journalismus aber krankt immer mehr an Einseitigkeit und Subjektivität, ist oft tendenziös und ideologisiert. Dabei sind viele Korrespondenten und Redakteure gut ausgebildete, professionelle Journalisten, ehrliche und anständige Kollegen, die ihrem Beruf mit Herzblut nachgehen. Liest man aber die Zeitungen, die diese ehrenwerten Journalisten füllen, hört oder sieht man ihre Sendungen, finden sich unzählige Belege für die ständige Verletzung zentraler journalistischer Standards.
Es gibt mehrere Gründe, warum gute Journalisten schlechten Journalismus machen. Keiner der Ursachen aber scheint so wichtig wie die des Machtgewinns. Gesinnung macht aus dem Beobachter einen Protagonisten und Einflussnehmer. Gesinnung verleiht Ansehen und Bewunderung. Aber Gesinnungs-Journalismus ist der größte Feind des Qualitäts-Journalismus.
Mit den 68-Journalisten begann der Niedergang
Der Sündenfall kam schleichend, fast unbemerkt. Den Startschuss gab wohl die Generation der 68er, die in die Medien strömten. Die Arbeit dort war für die ehrgeizigen Rebellen bei ihrem Marsch durch die Institutionen ohnehin sehr attraktiv. Erprobt im anti-autoritäten Habitus und in heftigen Debatten linksextremer Zirkel, moralisch selbstgewiss für die Rechte von Frauen und Behinderten, die „Ausgebeuteten“, „Unterdrückten“ und die Dritte Welt eintretend, brachten sie ein Sendungsbewusstsein in die Redaktionen, dem die meisten, von Kriegs- und Nachkriegszeit gebeutelten älteren Redakteure wenig entgegen setzen konnten.
Journalisten spürten, welch großen Einfluss sie nehmen konnten, wie viel Beifall und Zustimmung sie einheimsen konnten. Je emotionaler, je drastischer und aufwühlender die Beiträge wurden, desto größer waren oft Resonanz und Zustimmung. Journalisten entdeckten, dass offenbar niemand sie daran hinderte, ihrem eitlen Sendungsbewusstsein freien Lauf zu lassen. Eher im Gegenteil.
Moralisierung als Steigerung der Skandalisierung
Verleger und Medienkonzerne kümmerten sich angesichts des dramatischen Strukturwandels in der Branche vor allem um die Rentabilität der traditionellen Medien und um neue Geschäftsmodelle. Die Erfahrung, dass man auf dem immer heftiger umkämpften Medienmarkt mit Boulevardisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung sehr erfolgreich sein kann, verführte auch seriöse Medien, strenge journalistische Standards hintenan zu stellen.
Politiker und Parteien, die anfangs noch protestiert hatten, wenn sie und ihre Positionen schief und krumm dargestellt, vor allem aber einseitig bewertet wurden, scheiterten fast immer. Beim Versuch direkter Einflussnahme holte sich die Politik immer wieder eine blutige Nase, wurden allzu wagemutige Politiker öffentlich vorgeführt als Feinde der Pressefreiheit. Auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern triumphierte trotz der Macht von Rundfunkräten bei der Besetzung von Spitzenpositionen eine neue Freiheit von politischen Abhängigkeiten – solange die Botschaften dem politischen Mainstream entsprachen.
Deutschland – ein Paradies journalistischer Freiheit?
Wer in Deutschland nach Zensur oder Kontrolle der Medien seitens des Staates, nach Willkür oder strengen Vorgaben der Verleger sucht, wird kaum fündig. Oberflächlich betrachtet wirkt es wie ein demokratisches Paradies der journalistischen Freiheit. Bedauerlicherweise dient die Realität in den Redaktionen immer weniger dazu, objektiv zu berichten und aufzuklären. Journalisten, deren Dienstleistung und Handwerk essentiell für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft sind, die traditionell in privaten Kreisen beklagten, lediglich „Voyeure der Geschichte“ zu sein, wurden über die Jahren wichtige Protagonisten des politischen Diskurses, Hauptdarsteller auf der öffentlichen Bühne.
Von großer Bedeutung war, dass die Mehrheit der deutschen Journalisten mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge eindeutig linke und grüne Positionen vertritt – was sich vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien wiederspiegelt. Heute lässt sich mühelos und täglich zeigen, dass die Nachrichten, die Berichte und insbesondere die Kommentare von Sendern wie dem Deutschlandfunk oder dem Hessischen Rundfunk in der Regel einen deutlich linken oder grünen Zungenschlag haben. Es ist ein Rätsel, dass Konservative und Liberale in den Unionsparteien und der FDP klaglos ihre dramatische, alltägliche Missachtung in den öffentlich-rechtlichen Sendungen akzeptieren.
Wer nach journalistischer Vielfalt sucht, wird von Chefredakteuren gerne auf die wachsende Diversität in den Redaktionen verwiesen. Der Anteil der Frauen ist in den Medien drastisch gestiegen, was ebenso mit einem Qualitätsgewinn gleichgesetzt wird wie die wachsende Zahl von Journalisten mit Migrationshintergrund. Ziemlich sicher haben Frauen eine erhebliche Verantwortung für die zunehmend subjektive und emotionale Berichterstattung in unseren Medien. Absurderweise wird hier unterstellt, Geschlecht und Herkunft brächten automatisch neue, unterschiedliche Sichtweisen in die Redaktionen – wenn das so wäre, wäre das schlimm, wo es so ist, ist es schlimm.
Denn in der klassischen Ausbildung des Journalisten gilt es zu Recht als eines der höchsten Güter, bei der journalistischen Arbeit den größtmöglichen Abstand von den eigenen Interessen, der persönlichen Geschichte und Herkunft einzunehmen. Eben möglichst neutral und objektiv zu berichten. Optimal ist – zumindest bei rein nachrichtlichen Berichten – eine möglichst große Nähe zur wissenschaftlichen Herangehensweise an die eigene Arbeit. Wobei Journalismus immer geprägt sein wird von Reduktion und Gewichtung, Verkürzung und Komprimierung, ja auch von einer gewissen Oberflächlichkeit und Verzicht auf viele Aspekte insbesondere im Vergleich zu wissenschaftlichen Methoden.
Aus der Sicht des modernen Haltungsjournalismus sollen die jungen Kollegen allerdings nicht um die optimale Form einer objektiven Berichterstattung ringen, nicht dem Perspektivwechsel, der Ausgewogenheit und der Suche nach unterschiedlichen Quellen höchste Priorität geben, sondern dem Leser, Hörer oder Zuschauer möglichst schnell „Orientierung“ geben und sich dabei auch selbst „einbringen“. Welch ein absurdes Bild vom guten Journalisten steht hinter einer solchen Auffassung?
Der Siegeszug des schlechten Journalismus
Der Haltungs- oder Gesinnungsjournalismus befindet sich nach wie vor in einem Siegeszug durch die Redaktionen vieler Medien. Gepriesen wird – auch an Journalistenschulen und Medieninstituten, von Journalistenverbänden und „Medienjournalisten“ – ein „werteorientierter Journalismus“, das professionelle Idealbild ist der „Journalist mit Haltung“.
In den Redaktionen setzte sich, auch dank gruppendynamischer Prozesse, dieses Weltbild durch: Jeder will „zu den Guten“ gehören, kaum einer möchte auf die wohlige Wärme der redaktionellen Zugehörigkeit und den „gemeinsamen Werten“ verzichten. Dass Journalisten zudem von jeher viel von anderen abschreiben, ist ohnehin eine Binsenweisheit. Schließlich stellten junge Nachwuchsjournalisten auch schnell fest, dass sie mit Texten und Beiträgen, die nicht dem Mainstream entsprechen, sehr schlechte Berufs-Perspektiven haben.
Zwar verteidigt der Journalist neuen Typs seine „Haltung“ als Bekenntnis zu den Menschenrechten, als Kampf gegen jede Relativierung des Holocaust, was für jeden vernünftigen Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aber in Wirklichkeit geht es um viel mehr. Geschickt wurde nämlich der angebliche „Kampf für die Demokratie“ und „gegen rechts“ thematisch auf die Energie- und Klimapolitik, die Migrations- und Flüchtlingspolitik, auf die EU- und USA-Politik ausgedehnt. Überall soll „Haltung“ gezeigt werden – wer widerspricht, ist schnell „Rassist“, „Klimaleugner“ oder gleich „Nazi“.
Der ewige Kampf gegen die eigene Geschichte
Der Haltungsjournalismus lehnt sich eng an das schlichte Weltbild moderner Globalisten (früher Internationalisten) an, ist ein Ausdruck des siegreichen Kulturkampfes der Linken seit den 70er Jahren in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Nach wie vor geht es um die vorgebliche Interessenvertretung für die Unterdrückten und Ausgebeuteten. Heute kämpfen diese akademischen Eliten nicht mehr für die Arbeiterklasse (die seit Jahrzehnten schrumpft) und auch nicht mehr für unterdrückte Völker (von denen die smarten – zum Beispiel in Südostasien – sich eh selbst zu helfen wissen).
Jetzt dominieren den gesellschaftlichen Kampfplatz vor allem identitär definierte Gruppen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, Herkunft oder sexuellen Orientierung die neuen Opfer des Kapitalismus, des freien Westens und des „alten weißen Mannes“ sind. In Deutschland kommt zur „weißen Schuld“ auch noch die Verantwortung für den Holocaust. Beides dient dem Haltungsjournalisten als schlüssige Legitimation, wo immer es geht, linke, anti-westliche und freiheitsfeindliche Positionen einzunehmen, die eigene Geschichte ausschließlich in düsteren Farben darzustellen, nach Reglementierungen und Gesetzen, nach dem Eingriff des Staates in möglichst viele Lebensbereiche und insbesondere, um der „sozialen Gerechtigkeit“ willen, vor allem der Wirtschaft zu verlangen.
Klare Weltbilder sollen „Orientierung“ geben
Dieses destruktive und letztendlich freiheitsbedrohende Weltbild dominiert die Berichterstattung vieler Medien. Schon bei Wortwahl und Formulierung wird darauf geachtet, dass der Leser oder Hörer die Informationen richtig „einordnen“ kann: Wenn es beispielsweise um den Lieblingsfeind deutscher Medien, US-Präsident Donald Trump, geht, dann heißt es nicht, er sage oder erkläre etwas, sondern meistens „behauptet“ oder „verbreitet etwas“, er „tönt“ oder „lästert“.
Inzwischen gehören traditionelle journalistische Standards für viele Journalisten auf die Müllhalde der Geschichte. So kann heute ungestraft und offen verkündet werden: mit dem „Neutralitätswahn“ sei Schluss. Journalisten müssten aufhören „nur abbilden zu wollen“, so der WDR-Redakteur Georg Restle. Auch im Spiegel durfte der Redakteur Phillipp Oehmke titeln „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“, weil neutraler Journalismus „uninteressant und unaufrichtig“ sei. Oehmke formulierte in seinem Beitrag aber lediglich den seit Jahren praktizierten Gesinnungsjournalismus seines Magazins.
Medien fügen sich in die große Harmonie Berlins ein
Glücklicherweise unterschied sich schon seit vielen Jahren die „Haltung“ der meisten deutschen Journalisten kaum von den Werten der großen Koalition in Berlin. Deren Politik wiederum wird grundsätzlich auch von einem Großteil der Opposition mitgetragen. Bei so viel Harmonie zwischen der Exekutive und der Legislative sowie der so genannten „Vierten Gewalt“ der Medien müsste es sich in Deutschland um ein besonders glückliches Land handeln. Das allerdings entspricht nicht unbedingt der Wahrnehmung vieler Bürger. Die Medien in Deutschland verweisen zwar häufig und gerne auf das große Vertrauen, das sie in der breiten Öffentlichkeit genießen.
Erhebliche Zweifel an dieser Behauptung sind allerdings erlaubt. Denn der Journalismus in Deutschland befindet sich in einer massiven Vertrauenskrise – und das paradoxerweise trotz eines deutlichen Bedeutungsgewinns. Die Macht der Medien ist enorm – ebenso groß ist aber auch die alltägliche Skepsis gegenüber dem Journalismus.
Ein sehr großer Teil der Bürger vertraut den Medien nur noch sehr begrenzt. Das allerdings möchte die Branche nicht wahrhaben. Medienwissenschaftler unterstützen diese Illusion und verkünden: „Medienvertrauen stabilisiert sich auf hohem Niveau“, so der Tenor der kürzlich veröffentlichten Umfrage-Ergebnisse der Universität Mainz. Dabei belegt eben diese Studie, dass die Zahl der Bundesbürger, die den Medien „vertrauen“ oder „sehr vertrauen“ der repräsentativen Umfrage zufolge seit vielen Jahren unter 50 Prozent liegt – 2019 waren es 43 Prozent.
Die Zahl derer, die Medien „überhaupt nicht“ mehr vertrauen, war mit 28 Prozent sogar so hoch wie nie – dennoch wird das in den Auswertungen weichgespült, irgendetwas von „Polarisierung“ gefaselt. Es wird so getan, als ob die Bürger, die bei der Vertrauensfrage „teil, teils“ antworteten, im Grunde ja doch den Medien vertrauten. Das ist absurd. Selbst in Diktaturen wie der DDR mit streng vom Staat gesteuerten Medien waren natürlich nicht alle Meldungen gleich Lüge oder völlig verfälschend. Auch da hätten Bürger bei der Vertrauensfrage „teils, teils“ antworten können, obwohl sie genau um die kommunistische Ausrichtung der Medien wussten.
Da auch Medienwissenschaftler offensichtlich heute vor allem Haltung demonstrieren wollen, werden Umfrageergebnisse mit klaren Zustimmungsraten von gut 40 Prozent als „Vertrauen auf hohem Niveau“ interpretiert – und natürlich wird das von den Medien entsprechend übernommen. Fakt aber ist, dass eine Mehrheit in Deutschland den Medien nicht vertraut. Das ist nur ein Beispiel, dass es dem Journalismus – nicht nur in Deutschland – längst nicht mehr um Fakten und Realitäten geht. Wichtig ist das „Narrativ“, der „Hintergrund“, die Einordnung. Und das alles wird von Journalisten definiert. Ganz mutige von ihnen nennen sich inzwischen stolz auch „Aktivisten“ – dabei müsste sich objektiv betrachtet heute schon ein Großteil der Journalisten genau so nennen.