Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch über Angela Merkels Verfassungsbruch wirft zwar einen Schatten auf ihr Ansehen, aber politische Auswirkungen hat es nicht. Das wäre sicher anders gewesen, wenn das höchste deutsche Gericht unmittelbar auf den Eilantrag der AfD noch im Sommer 2020 mit demselben Urteil reagiert hätte. Eine als Verfassungsbrecherin verurteilte Kanzlerin – das hätte eine veritable Krise für Merkel und die damalige Bundesregierung bedeutet.
Aber die für den Eilantrag erforderliche Eilbedürftigkeit entfiel, wodurch das Gericht sich ganze zwei Jahre Zeit nehmen konnte. Denn die Bundesregierung hatte die verfassungsbrecherischen Aussagen Merkels in Südafrika – wo sie die Wahl des FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD als „unverzeihlich“ bezeichnet und gefordert hat, das müsse „rückgängig gemacht werden“ – von der Website der Bundesregierung entfernt.
Die Bild-Zeitung berichtet nun, Grund für die Löschung solle „ein dezenter Hinweis aus den Reihen des Gerichts gewesen sein“.
Die Bild-Zeitung winkt in ihrem Bericht mit dem Zaunpfahl, indem sie ein Wahlplakat von 2013 zeigt, auf dem der damalige CDU-Bundestagskandidat und spätere Fraktionsvize Stephan Harbarth gemeinsam mit Merkel abgebildet ist. „Die Kanzlerin und ihre Richter – Viel zu gute Freunde“ steht über dem Artikel. Darin wird auch an das vertrauliche Abendessen der Karlsruher Verfassungsrichter mit Merkel im Kanzleramt im Juni 2021 erinnert.
Das jetzige Urteil kommt vom zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. In diesem sitzt unter anderen auch der frühere CDU-Politiker und saarländische Ministerpräsident Peter Müller.
Dass Merkel es schaffte, eine Bundestagsmehrheit für Harbarths Berufung als Vorsitzender des ersten Senats am Bundesverfassungsgericht 2018 und schließlich im Juni 2020 als dessen Präsident zu erreichen, kann man wohl als einen ihrer machtpolitisch geschicktesten Schachzüge betrachten. Der Anwalt für Gesellschaftsrecht Harbarth war nicht nur niemals Richter, sondern stand auch wegen mehrerer Vorwürfe in der Kritik – unter anderem im Zusammenhang mit dem VW-Diesel-Skandal und CumEx-Geschäften, an denen seine frühere Rechtsanwaltskanzlei beratend mitwirkte. Für Merkel und die damalige Große Koalition (plus Grünen und FDP) war das aber offenbar kein Hindernis.
Unter Harbarths Präsidentschaft fiel das Bundesverfassungsgericht seither jedenfalls nicht dadurch auf, dass es den Regierenden allzu große Probleme machte.