In Großbritannien nutzt die Regierung zur Entscheidungsfindung ein Modell des Imperial College London, das mit einem fehlerbehafteten Computer-Modell berechnet wurde und damit möglicherweise die Folgen des Virus weit überschätzt hat – jedenfalls behaupten das die zwei Software-Größen David Richards und Konstantin ‘Cos’ Boudnik; mit der Programmierung und dem benutzen FORTRUN wären systematisch Dimensionierungsfehler verbunden, die Folgen der Infektion wäre damit weit überhöht berechnet worden. Die möglicherweise falschen Prognose-Zahlen des Modells habe in Großbritannien mit dem Lockdown die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ausgelöst. Das wäre eine folgenschwere Behauptung.
Fragen werden auch andernorts gestellt: Die Investmentbank JP Morgan stellt in einer Studie die Behauptung auf, die Regierungen seien durch „fehlerhafte wissenschaftliche Arbeiten“ dazu verleitet worden, den Lockdown zu verhängen, der „ineffizient oder zu spät“ gekommen sei und insgesamt wenig Wirkung zeigte. Die extremen Nebenwirkungen für die Wirtschaft seien nicht beachtet worden.
Einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH) zufolge verlangsamte sich die Ausbreitung des Virus schon vor Verkündung des Lockdowns – der damit übertrieben war und der Schweiz ebenfalls einen Fast-Ruin wie Großbritannien beschert hat. Während auf der Insel die Gelehrten noch über Fortran streiten mussten die Schweizer Wissenschaftler auf Druck von oben ihre Aussagen relativieren. Dabei kommt auch das Robert Koch-Institut in Deutschland zu ähnlichen Ergebnissen – auch diese Nachricht ging unter. Sie passte nicht in die Regierungs-Strategie.
In den Vereinigten Staaten argumentiert der Stanford-Professor John Ioannidis, der als Professor für Medizin und Professor für Epidemiologie und Bevölkerungsgesundheit zu den 200 meistzitierten Wissenschaftlern weltweit zählt, dass die Gefahr des Corona-Virus deutlich überschätzt würde und Lockdowns unnötig seien. Seine Kritiker hingegen verweisen auf Durchführungsfehler in der Studie, auf die Ioannidis sich stützt und dass seine Behauptungen nicht von Santa Clara auf New York übertragen werden könnten. Aber es wird wenigstens gestritten.
Kohn bilanzierte sogar einen „Fehlalarm“. Ob das stimmt oder nicht, wird Generationen zukünftiger Wissenschaftler beschäftigen. Schon heute zeigt sich, dass es zu erheblichen Versäumnissen seitens der Krisenstäbe der Bundesregierung und der Länder kam. Zum einen sind da die unterlassenen Vorbereitungen auf eine Pandemie, die von den Behörden schon seit langem erwartet wurde. Pandemiepläne, Schutzkonzepte und Empfehlungen für die Regierungen bestehen schon lange. Es wurden Empfehlungen ausgearbeitet, präsentiert – und dann abgelegt und vergessen.
Schwerpunktkliniken einzurichten, Ausrüstung vorzuhalten und Personal mit Blick auf eine mögliche Pandemie auszubilden: alles Maßnahmen, die schon 2006 in einem Zwischenbericht der Schutzkommission im Inneren gefordert, aber nie umgesetzt wurden. Zum anderen bemängelt Kohn in seiner Analyse, dass die elementar wichtige Prüfung der Auswirkungen der Corona-Politik auf Wirtschaft und Bevölkerung nicht stattfand. Und das, obwohl spätestens seit 2006 bekannt ist, dass die Nebenwirkungen der Behandlung größer sein können als die Krankheit selbst. Und das ist sein wichtigster Punkt.
Kohn arbeitete auf 191 Seiten heraus, welche Schäden durch den Lockdown der Gesellschaft entstehen können. So wurden zum Beispiel Operationen, Behandlungen und andere medizinische Eingriffe aufgeschoben, um die Intensivstationen der Krankenhäuser für Corona-Erkrankte frei zuhalten. Doch das Verschieben von Behandlungen forderte Opfer, und nicht zu wenig:
„Die voraussichtliche Sterberate lässt sich nicht seriös einschätzen; Vermutungen von Experten gehen von Zahlen zwischen unter 5.000 und bis zu 125.000 Patienten aus, die aufgrund der verschobenen OPs versterben werden/schon verstarben.“
Auch eine Gefährdung der kritischen Infrastruktur prognostizierte Kohn in seiner Analyse, zum Beispiel weil die Unterbrechung der Lieferketten dazu geführt hätte, dass es zu Engpässen mit Produkten und Materialien etwa für die Trinkwasserversorgung kam. Viele dieser hier beschriebenen Probleme hätten abgeschwächt werden können, hätten die Krisenstäbe auf Bundes- und Länderebene Auswirkungen der beschlossenen Maßnahmen in ihre Überlegungen einbezogen. In der Analyse der Sitzungen der Krisenstäbe heißt es: „In keiner Sitzung wurde über die Gesamtkosten der Schutzmaßnahmen oder den Neuverschuldungsbedarf diskutiert und auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Entwicklung am Arbeitsmarkt wurden nicht behandelt. Auch die gesundheitlichen Kollateralschäden (einschl. Todesfälle) waren kein Thema.“
Notgedrungen handelten die Ministerien und Behördenstäbe mit unzureichendem Wissen und unzureichender Prüfung. Doch wenn in das Leben der Bürger derart tief eingegriffen wird, wenn das Land im Ausnahmezustand versinkt, dann muss auch eine begleitende Analyse der Maßnahmen stattfinden. Doch dies geschah nicht – und so erarbeitete Kohn seine Analyse. Er kommt zu dem Schluss, dass der Schaden, der durch den Lockdown entstand und entsteht, den die Pandemie bekämpfenden Nutzen weit übersteigt.
Ob und wie weit er Recht hat, kann nur rückblickend geklärt werden. Aber dass Bund und Länder weitreichende Maßnahmen ohne laufende Auswirkungsanalyse beschließen, etwaige Kollateralschäden also einfach unter den Tisch fallen lassen wollen, ist wohl die erschreckendste Nachricht des Berichts, auch wenn man ihm nicht in allen Punkten folgen mag.
Offenbar hat man im BMI nicht einmal die Schlussbemerkungen der neun-seitigen Kurzfassung gelesen:
„Angesichts des sachlichen Befunds der vorliegenden Analyse und der dazu im Kontrast stehenden Entscheidungen der Politik, kann bei geschädigten Außenstehenden möglicherweise die Befürchtung aufkommen, dass das bestimmende Schutzziel des nationalen Krisenmanagements nicht mehr die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Regierungsparteien und Regierungsmitgliedern.“
Auch die Medien würden massiv an Glaubwürdigkeit verlieren. Tatsächlich war die soziale Ächtung Kohns nur mit Hilfe der breiten Mehrheit der klassischen Medien möglich. Kaum kritische Fragen gab es in der hochheiligen Bunderspressekonferenz, in der Bundesinnenminister Horst Seehofer entgegen allen Fakten Kohn als Privatmann hinstellte – und in keiner Weise auf dessen Argumente einging. Das taten auch Journalisten nicht. Sie beschränkten sich darauf, unkritisch die Worte des Ministers zu wiederholen.
Ein besonders krasses Beispiel lieferte der Bayerische Rundfunk ab. Der Sender erklärte seinen Leser ellenlang, warum Kohn kein „Whistleblower“ sei, denn ein solcher würde geheime Dokumente veröffentlichen, nicht seine Privatmeinung. Abgesehen davon, dass TE diesen Begriff nie benutzt hat und diese eine frei erfunden Erfindung der Faktenchecker vom staatsnahen Funk ist: Recherchiert hat der Mitarbeiter des Senders nicht, nur den früheren Ministerpräsident Seehofer nachgebetet, man weiß ja, was sich gehört.
Und auch der Stern, der die JP Morgan-Studie groß und breit veröffentlichte: Dass die Inhalte der Studie mit Kohns Erkenntnissen übereinstimmen – kein Wort davon. So schleicht sich langsam die Realität über den Umweg USA doch in Deutschland ein.