Strafanzeigen gegen Amtsträger gehören zum großen Besteck in der politischen Auseinandersetzung, zumal kurz vor einer entscheidenden Wahl. Das wichtigste an ihrer Anzeige ist ihre öffentliche Vermeldung. Die Strafanzeige der sächsischen AfD-Fraktion gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer, Innenstaatssekretär Günther Schneider und Landeswahlleiterin Caroline Schreck (alle CDU) wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und gegen Innenminister Roland Wöller wegen „Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat“ könnte trotzdem eine Rolle in der noch längst nicht aufgeklärten sächsischen Wahlzulassungs-Affäre spielen.
Zur Erinnerung: am 5. Juli 2019 entschied Landeswahlleiterin Caroline Schreck, die Bewerber der AfD von Listenplatz 19 bis 61 zu streichen, und nur die ersten 18 Plätze zuzulassen.
Die Begründung fiel durchaus seltsam aus: die Partei habe ihre Kandidaten auf zwei Terminen im Februar und März gewählt. Die Vorstellung der Kandidaten und die Diskussionen dauerten damals so lange, so dass die Versammlung unterbrochen und auf einem zweiten Termin im März fortgesetzt wurde. Schreck war der Auffassung, dass es sich um zwei getrennte Versammlungen gehandelt habe. Sie sah deshalb die Chancengleichheit aller Bewerber nicht mehr als gegeben an. Zum anderen wurden die Plätze 31 bis 61 im sogenannten Blockwahlverfahren abgestimmt, während die Delegierten über die ersten Plätze einzeln abstimmten.
Juristisch wacklig war diese Argumentation vor allem deshalb, weil das sächsische Landeswahlgesetz gar nicht explizit die Wahl auf einer Veranstaltung vorschreibt. Außerdem besteht die Aufgabe des Wahlleiters darin, Kandidaturen zu ermöglichen und Parteien auf Formfehler hinzuweisen – und nicht, einen vermeintlichen Fehler auszunutzen, um die Liste zusammenzustreichen.
Die AfD erwirkte mittlerweile beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof, dass die Partei mit 30 statt 18 Kandidaten antreten darf. Denn, so die Leipziger Richter, bei der Streichung handle es sich um eine „qualifizierte Rechtswidrigkeit“.
Es steht die offene Frage im Raum: ermutigte jemand aus der Staatsspitze die Landeswahlleiterin oder übte Druck aus, dass sie zu der spektakulären Entscheidung gegen die AfD kam?
In der Strafanzeige, deren Text TE vorliegt, behaupten die Anzeigenerstatter, ein Fachbeamter des Innenministeriums habe Schreck ausdrücklich vor ihrer Entscheidung gewarnt, während sie von anderer Seite „bearbeitet“ worden sei, dabei zu bleiben. TE dokumentiert die Passage der Strafanzeige:
„Der Leiter des Referats 21, Herr Burkhard Kurths, habe nach dem Erhalt des „Mängelschreibens“ jeweils mehr als einmal telefonisch mit Landeswahlleiterin Schreck und ihrem Stellvertreter gesprochen, um zu versuchen, diese von ihrem sich abzeichnenden „qualifiziert rechtswidrigen“ Vorhaben abzubringen. Er sei sogar so weit gegangen, mit dem Auto von Dresden nach Kamenz zu fahren, um die Landeswahlleiterin in dieser Angelegenheit zur Rede zu stellen.
Ermittlungsansätze: Zeugnis Burkhard Kurths, zu laden über das Innenministerium
Andererseits sei Frau Schreck von Innenstaatssekretär Professor Schneider im Auftrag des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer in den Tagen zwischen dem Mängelschreiben der Landeswahlleiterin (19. Juni) und der inkriminierten Entscheidung des Landeswahlausschusses vom 5. Juli 2019 in der entgegengesetzten Richtung bearbeitet worden. Ihm sei es gelungen, die Landeswahlleiterin zur Beibehaltung ihrer ‚Rechtsauffassung’ zu bewegen, die nach den Feststellungen des Verfassungsgerichtshofes in einer Weise ‚qualifiziert rechtswidrig’ war, die qualitativ mit Missbrauch und Willkür gleichzuachten ist.“
TE liegt auch die Eidesstattliche Versicherung eines Rechtsreferendars am Landgericht Chemnitz vor, der angibt, ein Mitarbeiter des sächsischen Innenministeriums, Dozent in dem von dem Referendar besuchten Kurs, habe am 5. Juli schon gegen 14.40 Uhr angekündigt, es werde in Sachen AfD eine Entscheidung des Landeswahlausschusses geben, die „wie eine Bombe“ einschlagen werde.
Zu dieser Zeit hatte die Landeswahlleiterin ihre Entscheidung öffentlich noch nicht bekannt gegeben.
Eine Einflussnahme von Kabinettsmitgliedern beweist das alles natürlich noch nicht.
Rechtsbeugung und Anstiftung eines Untergebenen zu einer Straftat setzt rechtlich hohe Hürden wie Vorsatz voraus. Die Anzeige der AfD sieht sowohl Vorsatz wie Schuld als Voraussetzung gegeben, weil der Ablauf und die unterschiedliche Rechtsauffassung hinsichtlich des entscheidenden AfD-Wahlparteitags bekannt gewesen seien und daher früher hätten angemahnt werden müssen. Zudem sei die Landswahlleiterin in ihrer Laufbahn „bereits über Jahre als Kreiswahlleiterin in Bautzen und als stellvertretende Landeswahlleiterin tätig“ gewesen. „Hier lassen sich sicherlich bei strafprozessualer Ermittlung Fälle finden, in denen sie eine völlig andere Rechtsauffassung anwandte als der jetzt gegen die AfD ins Feld geführte „qualifiziert rechtswidrige“ Standpunkt der Landeswahlleiterin“, so der Text. Dahinter steht die Unterstellung, dass Schreck etwa der Partei „Die Linke“ sehr wohl den Übergang von der Einzelwahl von Listenkandidaten zur Blockwahl zugestanden habe, die sie nun der AfD zu verwehren versuche. Die Landeswahlleiterin sei für ihre Aufgabe nur zeitlich befristet abgeordnet gewesen und habe damit unter Druck gesetzt werden können. Im übrigen sei an den Verhandlungen, die im Schriftsatz aufgeführt werden, auch ein noch unbekannter Beamter des Kanzleramts beteiligt gewesen. Damit sind die Zutaten beieinander, die in der Schlußphase des Wahlkampfs noch Wirkung entfalten können.
Und insgesamt dürfte die dilettantische und vom Landesverfassungsgericht teilrevidierte Listenstreichung der AfD eher genutzt haben.
Trotzdem stellt sich die drängende Frage: amtiert in Sachsen eine Wahlleiterin, die parteipolitisch entscheidet, ob nun unter Druck oder aus Gefälligkeit?
Nach Informationen von TE will die AfD dazu unabhängig von der Strafanzeige nach der Wahl einen Untersuchungsausschuss beantragen.